Riot in the Block

Nach dem Tod eines von der Polizei verfolgten Jugendlichen rebellierten
die Aborigines in Sydney. von martin kröger

Kindermörder« und »Killer« – die Sprechchöre der rund hundert Jugendlichen und Erwachsenen brachten die Stimmung innerhalb der Aborigine-Community von Redfern über die örtliche Polizei auf den Punkt. Am vorletzten Sonntag lieferte sich die wütende Menge in dem Innenstadtviertel Sydneys eine Straßenschlacht mit der Polizei, die die Lage in der australischen Metropole erst nach neun Stunden wieder unter Kontrolle bekam.

Zuvor brannten die Jugendlichen die örtliche Bahnstation nieder und schlugen Schaufensterscheiben ein. Von Anfang an waren die Polizisten selbst das Ziel der aufgestauten Aggressionen der jungen Menschen, die die Uniformierten mit Steinen, Flaschen, Molotowcocktails und selbst gebastelten Raketen angriffen. Insgesamt 40 der 200 eingesetzten Polizisten wurden während der Straßenkämpfe verletzt, viele erlitten Knochenbrüche durch Wurfgeschosse.

Die Auseinandersetzungen begannen, als am Sonntagvormittag in Redfern der Tod des 17jährigen Thomas Hickey, genannt »TJ«, bekannt wurde. Der junge Aborigine war am Tag zuvor, dem 14. Februar, mit hoher Geschwindigkeit vom seinem BMX-Fahrrad gestürzt und auf einen Metallzaun gefallen, an dem er sich aufspießte. An den Verletzungen, die er sich hierbei zuzog, starb er am nächsten Tag im Krankenhaus.

Für seine Mutter, Gail Hickey, standen die Schuldigen fest: Ein Polizeifahrzeug habe ihren Jungen verfolgt und in den Tod getrieben, sagte sie im australischen Radio. Ihr Sohn habe schon immer panische Angst vor der Polizei gehabt, die in dem Viertel, in dem es große Probleme mit Drogenkonsum und Kriminalität gibt, ständig auf Patrouille ist. »Sie behandeln unsere Kinder wie Hunde«, kritisierte Gail Hickey die ständige Präsenz der Polizei im Viertel. »Sie müssen sofort aufhören, unsere Kinder so zu behandeln«, forderte sie.

»Wenn du schwarz bist und einen Polizeiwagen siehst, gibt es nur noch eines: renn!« So beschreibt auch Marilyn Cargill, die Tante des zu Tode gekommenen, die Situation junger Aborigines, wenn sie in Kontakt mit der örtlichen Polizei kommen. Thomas Hickey war zeitweilig bei seiner Tante untergekommen. Inzwischen ist die 37jährige Cargill selbst in Haft, weil sie während der Straßenschlacht Raketen auf Polizisten abgefeuert haben soll. Die Beteiligung an der Beerdigung ihres Neffen am Dienstag dieser Woche wurde ihr vom zuständigen Haftrichter untersagt.

Währenddessen lehnt die Polizei von Redfern jede Verantwortung für den Tod des Jugendlichen ab. »Die Wahrheit ist, dass die Polizei normal patrouillierte. Als dann der Junge das Fahrzeug der Polizei passierte, setzten die Beamten ihren Einsatz fort, der Jugendliche aber beschleunigte aus unerfindlichen Gründen sein Fahrrad und verlor die Kontrolle«, ließ die Polizei sofort nach dem Vorfall auf einer Pressekonferenz verbreiten. Zunächst hatten die Beamten behauptet, es sei überhaupt kein Polizeifahrzeug in der Nähe des Todesortes gewesen. Dass die Polizei sich mit widersprüchlichen Versionen sofort selbst entlastete und nach dem Tod des Jungen starke Präsenz vor Ort zeigte, hat nach Augenzeugenberichten erheblich zum Ansteigen der Spannungen auf der Straße und unter den Freunden des Toten beigetragen.

Drei Tage nach dem Vorfall meldete sich dann eine Augenzeugin, die als Sozialarbeiterin in dem Armenviertel beschäftigt ist, in der Tageszeitung Sydney Morning Herald zu Wort und bestätigte die Version der Mutter von Thomas Hickey: »Als ich herauskam, sah ich, wie der Junge mit dem Fahrrad durch den Park fuhr und hinaus auf die Phillip-Straße. Dann sah ich einen Polizeiwagen, der ebenfalls versuchte, in die Straße zu gelangen, aber nicht durch das Parktor fahren konnte. Dann blieben sie stehen. Sie hatten Sirenen und Blaulicht an«, berichtete die Zeugin, die anonym bleiben wollte.

Bereits zuvor hatte die Regierung der Region North South Wales angekündigt, drei Untersuchungen zum Tod von Thomas Hickey einzuleiten. Eine davon wird nur dann in Gang gesetzt, wenn der begründete Verdacht besteht, dass durch Einwirken von Polizisten ein Mensch zu Tode gekommen ist. Sie stuft die Ereignisse als »kritischen Vorfall« ein.

Der Tod des Teenagers wirft ein Licht auf die prekäre soziale Lage, in der sich die meisten Aborigines in den australischen Städten noch immer befinden. Thomas Hickey bewohnte mit seiner Tante eine der Sozialwohnungen, die von der Regierung in den sechziger Jahren errichtet wurden. Das Gebiet wurde in einem der ersten Bodenerlasse an die Aborigines zurückübertragen, um ihnen das Wohnen in den Städten zu ermöglichen.

Die Anlage der Wohnhäuser, die »The Block« genannt wird, befindet sich in einem verfallenen und maroden Zustand. Aus dem einstigen sozialen Vorzeigeprojekt ist inzwischen eine Umgebung geworden, die durch Leerstand, Drogenhandel, Kriminalität und tagtägliche Konfrontationen mit der Polizei geprägt ist. Die Mehrzahl der Bewohner leidet unter Armut und Arbeitslosigkeit. Die Aussichten für die jungen Aborigines, einen guten Job oder eine gute Ausbildung zu bekommen, sind gleich null. Auch Thomas Hickey brach mit neun Jahren die Schule ab.

Schon länger gärt es deshalb in der lokalen Community, wie Lyle Munro, einer der Anführer, meint: »Es handelt sich nicht um eine Ausnahme, diese Entwicklung währt schon länger. Sie können jeden Jugendlichen hier aus der Gegend fragen, und die Mehrheit wird Ihnen sagen, dass sie alle schon einmal von der Polizei geschlagen wurden.« Seit Mitte der neunziger Jahre kommt es regelmäßig zu kleineren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der Tod des Jungen sei deshalb nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Tatsächlich liegen zwischen den Lebensbedingungen von weißen Australiern und der Mehrheit der Aborigines immer noch Welten, trotz aller multikulturellen Bekundungen und aller Sozialprogramme der australischen Regierung. Die Aborigines, die zwei Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, haben eine statistische Lebenserwartung von 56 Jahren für Männer und 63 Jahren für Frauen, demgegenüber können weiße männliche Australier mit 77 Jahren rechnen, weibliche sogar mit 82. Die Kindersterblichkeitsrate von Aborigines liegt doppelt so hoch wie beim Rest der Bevölkerung. In den australischen Gefängnissen sind 20 Prozent der Gefangenen Aborigines, bei Jugendlichen ist die Rate sogar noch höher. All diese Zahlen spiegeln die Marginalisierung der australischen Ureinwohner und ihre soziale Deklassierung in der weißen australischen Mehrheitsgesellschaft wider.

Daran werden die Auseinandersetzungen vom vorletzten Sonntag wahrscheinlich nichts ändern, auch wenn sie die sozialen Ungerechtigkeiten auf die politische Agenda zurückbrachten.

Während der konservative Oppositionsführer in New South Wales forderte, die betreffenden Wohngebiete mit Bulldozern platt zu machen und die Bewohner umzusiedeln, machte die regierende Labor-Partei die Eltern der Jugendlichen für die Gewalttätigkeiten verantwortlich. Zudem kündigte die Regierung an, bis zur Beerdigung von Thomas Hickey stillzuhalten, dann aber 40 Verdächtige, die an den Ausschreitungen teilgenommen haben sollen, festzunehmen.

Aden Ridgeway, der einzige Aborigine-Abgeordnete im australischen Parlament, forderte eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle, die auch die sozialen Verhältnisse einbeziehen müsse. Wenn die Fragen der Polizeikritiker nicht zufriedenstellend beantwortet würden, sei es »mehr als wahrscheinlich, dass es zu einem weiteren Ausbruch von Gewalt kommt«.