Ferien bei Endemols

Warum man Menschen ein ganzes Jahr lang in den
Big-Brother-Container sperren darf. von elke wittich

Wenn alles so läuft wie immer, werden die Feuilletonschlagzeilen der nächsten Tage ungefähr so aussehen: »Evangelische Kirche nennt neuestes Big-Brother-Projekt Verstoß gegen die Menschenwürde«, »Medienbeauftragte fordert Sendeverbot«, »Lehrerverband gegen Menschenversuchs-TV«, »Katholikentag: Gipfel des Zynismus«.

In den Spalten neben den Schlagzeilen dürfen sich dann diejenigen austoben, die in ihren Redaktionen als ausgewiesene Satiriker gelten. Von Wolfgang Menges »Millionenspiel« werden sie schreiben, ein bisschen Orwell zitieren und sich dabei insgeheim sehr ärgern, dass Big Brother kein amerikanisches Format ist, denn sonst hätten sie eine wie auch immer geartete Parallele zum Irakkrieg ziehen können, aber nun beschreiben sie halt in einem Einschub im US-Fernsehen live gesendete Verfolgungsjagden und entwickeln daraus mögliche, noch gemeinere neue Sendeformate.

Gegen Ende der nächsten Woche, wenn sich alle wieder ein kleines bisschen beruhigt haben, wird dann noch irgendein nachrangiges Regierungsmitglied eines Flächenstaates aktiv und darf zur Belohnung die Headline »Kultusminister prüft Klage gegen RTL2« lesen.

Wenn aber nicht alles so läuft wie immer, haben der Sender und die niederländische Produktionsfirma Endemol ein echtes Problem. Weil dann der Start ihres neuesten Projekts, die fünfte Auflage von Big Brother, schlicht unbemerkt bleibt und einfach niemand zuschauen wird.

Davon ist jedoch nicht auszugehen, da die Verantwortlichen alles dafür getan haben, dass BB-5 auch wirklich in die Schlagzeilen kommt. Neben der Bewohnerhaltung in gleich drei Bereichen (reich, normal, arm) besticht die neue Staffel vor allem durch ihre Laufzeit: Ein volles Jahr sollen die 15 Kandidaten in Köln-Hürth weilen, »365 Tage leben sie ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Privatsphäre unter vollkommener Beobachtung«, verspricht die Homepage. »Und das auch noch in diesem Jahr mit der Olympiade in Athen, der Fußball-Europameisterschaft in Portugal und den Präsidentschaftswahlen in den USA im Herbst. Unsere Kandidaten werden davon nichts mitbekommen. Dafür werden sie die Bedeutung der Worte Luxus, Aufopferung, Durchhaltevermögen und Teamgeist genau kennen lernen, bevor nach einem Jahr einer von ihnen das Haus mit einer Million Euro im Gepäck verlassen wird.«

Wie um zu beweisen, dass sich nicht nur mindergebildete Loser, denen zumindest die US-Präsidentenwahl am Arsch vorbeigeht, für den Einsatz in Köln-Hürth melden würden, hatte RTL2 schon vor zwei Monaten stolz annonciert, dass man diesmal explizit auch nach Akademikern ohne sportliche Ambitionen suche – was BB-Fans erst mal aufatmen ließ. Die Staffeln zwei bis vier hatten schließlich vor allem unter dem überproportionalen Aufkommen von Fitnesssüchtigen gelitten, die mit der Hoffnung auf eine Musikkarriere angetreten waren. Zusammengenommen dürften die damals gesendeten Szenen workoutender oder singender Bewohner locker für ein sehr, sehr langes Wochenende reichen.

Das war stinkend öde, zumal sich bis an die Leistungsgrenze verausgabende BB-Bewohner kaum Zeit für ihre Hauptaufgaben haben: Intrigieren, übles Nachreden, Dissen. Aber darf man das, Leuten ein Jahr ihres Lebens stehlen?

Natürlich darf man.

Tausende potenzielle Bewohner haben sich schließlich freiwillig für BB-5 gemeldet. Unter ihnen, so ist zu vermuten, waren auch viele arbeitslose Akademiker, denen die Aussicht, die Konjunkturflaute kostengünstig im Container abzusitzen, sehr verlockend erschienen sein muss.

Und so wird es möglicherweise auch nichts mit den Schlagzeilen über zynische Menschenverachterei, aber Endemol hat auch für diesen Fall vorgesorgt und alles versucht, dass wenigstens die Datenschützer Alarm schlagen könnten. Zum ersten Mal wurde sogar der von allen Bewerbern auszufüllende, streng geheime Fragebogen veröffentlicht.

Selbst Antworten zu intimsten Vorlieben und Abneigungen werden gefordert, was aber völlig verständlich ist: Schließlich kann niemandem daran gelegen sein, Leute mit einer Vorliebe für Sex mit Haustieren ins Haus zu holen, wenn es draußen im Garten seit Anbeginn von Big Brother Viecher hat. Und auch Menschen, die Spaß daran haben, anderen völlig ohne Grund Joch- und Nasenbeine zu brechen, dürften keine tauglichen Fernseh-WG-Bewohner sein.

Nun wird auf Schlagzeilen gehofft, zumal in den Niederlanden Ende 2003 gleich drei Endemol-Programme gefloppt waren. Der »Masterplan«, wo ein »Meister« drei Kandidaten »nach seiner Pfeife tanzen ließ und zu Aufgaben nötigte, die ihr Leben komplett verändern werden«, wurde aufgrund zu niedriger Einschaltquoten statt dreimal nur noch einmal in der Woche ausgestrahlt, was Endemol Nederland euphemistisch so kommentierte: »Wir hoffen, mit diesem neuen Rhythmus die Geschichte besser erzählen zu können, die Zuschauer haben das Spiel anscheinend nicht so gut verstanden.«

Die »Sterrenbeurs«, zu deutsch »Sternenbörse«, ein fikiver Aktienhandel mit Prominenten-Anteilen wurde trotz medienwirksamer Klagen von Betroffenen im Spätabendprogramm versteckt, ein Glücksspiel-Format von den Aufsichtsbehörden gleich verboten. Bert van Veer, Programmdirektor von RTL4 und Veronica, erklärte jedoch, dass diese Rückschläge auf keinen Fall auf eine größere Endemol-Krise hindeuteten: »Wenn man einmal im Leben etwas so Großes wie ›Big Brother‹ gemacht hat, muss man nichts mehr beweisen. Dieser Erfolg liegt anscheinend wie eine Last auf Endemols Schultern.«

Auch Fons Van Westerloo, Direktor von RTL Nederland, sagte: »Natürlich hat der Stress für Endemol zugenommen. Gleichzeitig hat sich aber auch die Zahl der Fernsehsender in den letzten Jahren drastisch erhöht. Man kann schon fragen, ob in den Niederlanden genug Kreativität vorhanden ist, um so viel Sendezeit zu füllen. Denn bei mehr Sendern ist auch die Chance einfach mal viel größer, dass ein Programm schlichtweg floppt.«

Dagegen helfen Schlagzeilen, wie gerade in Schweden: Als der Teilnehmer Jean Kafashian nach 28 Tagen aus dem Haus gewählt wurde, ahnte er noch nicht, dass statt der erhofften Karriere eine Staatsanwältin auf ihn wartete. Der 22jährige hatte sich an seiner betrunkenen Mitbewohnerin Olga Kourchnirtchouk zu schaffen gemacht, ihr – was jedoch nicht genau zu sehen war – angeblich eine Gurke in den Slip gesteckt und ihre Beine mit Butter beschmiert. »Besoffene dekorieren«, ein aus Großbritannien übernommenes Partyspiel, fällt in Schweden unter den Passus »sexueller Übergriff« und kann entweder eine Geldbuße oder bis zwei Jahre Gefängnis bedeuten.

Nach landesweit publizierten Titeln wie »Sexualverbrechen bei BB« zog sich zwar der Hauptsponsor zurück und die beiden Hauptdarsteller Kafashian und Olga Kourchnirtchouk erlitten oft gezeigte Nervenzusammenbrüche, aber die Einschaltquoten waren nach dem vorangegangenen Tief sofort wieder »mehr als nur in Ordnung«.

Blöde vorkommen muss sich nun nur die Staatsanwältin, aus deren voreilig geäußerter Anklage nach genauerer Sichtung des Materials wohl eher nichts wird.

Aber so völlig ganz allein steht sie ja nicht: Mit ihr stehen ja schließlich auch noch alle Medienexperten blöd da, die bei den jeweiligen Starts der ersten BB-Staffeln den Untergang des Abendlandes prophezeit hatten.