Krieg um Software

Die EU wirft dem Microsoft-Konzern vor, seine Marktposition in Europa missbraucht zu haben, und will ihn deshalb bestrafen. von burkhard schröder

Bill Gates muss vielleicht in naher Zukunft viel Geld nach Europa schicken. Die EU-Kommission will den Konzern Microsoft dazu verdonnern, eine Geldbuße bis 300 Millionen Euro zu zahlen. Microsoft habe gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen und seine marktbeherrschende Position bei den Betriebssystemen ausgenutzt. Die Strafe wäre mehr symbolisch gemeint, denn die Summe – auch in dieser Höhe – kann Bill Gates aus der Portokasse zahlen.

Für Microsoft sei es inakzeptabel, sagte Jürgen Gallmann, der Geschäftsführer in Deutschland, am vergangenen Freitag in Hannover, die Entwicklung künftiger Produkte mit staatlichen Institutionen abzusprechen. Recht hat er. Wer dem widerspricht, vertritt den staatsmonopolistischen Kapitalismus. Und dieser ist schon seit zwanzig Jahren out. Auch wenn das überraschend klingt: Karl Marx würde den Konzern verteidigen.

Die Hintergründe, warum Juristen auf die ökonomisch abwegige Idee kommen, den Software-Markt per Gesetz beeinflussen zu wollen, sind jedoch interessant. Stell dir vor, es herrscht Handelskrieg, und keiner redet davon. Das Ziel beider Kriegsparteien – USA und EU – ist es, den einheimischen Unternehmen eine möglichst reibungslose Profitmaximierung zu garantieren. Beide Seiten suggerieren, der jeweilige Staat sei eine Art ideeller Gesamtkapitalist und könne den Markt für die nationalen Produkte vorteilhaft manipulieren durch Strafzölle für die Konkurrenten.

Die Welthandelsorganisation (WTO), die als eine Art kosmopolitischer Gesamtkapitalist fungiert, bemängelte, dass die US-Regierung die einheimischen Unternehmen mit Steuergesetzen begünstigt. Die Foreign Sales Corporation (FSC) zum Beispiel ist eine Art staatliche, aber virtuelle Briefkastenfirma der USA. Wer über sie exportiert, spart Steuern. Man kann das auch verschleierte, also im Sinne der WTO »illegale« Exporthilfe nennen. Die EU schützt zum Beispiel die europäischen Bauern vor landwirtschaftlichen Billigprodukten aus den USA. Diese Produkte sind unter anderem genetisch manipuliert und  daher billiger. Die Europäer zahlen deshalb hohe Geldbußen. Umgekehrt nehmen sie pro Jahr 116 Millionen Dollar an Strafzöllen für US-Produkte ein, wie für Milchpulver, Schinken und Atomkraftwerke.

Software ist eine Ware wie jede andere. Auch andere Konzerne mussten in der Vergangenheit ihren zeitweiligen Marktvorteil durch Geldbußen ausgleichen: Volkswagen zahlte 90 Millionen Euro wegen »verbotener Marktabschottung«, die Telekom 12,6 Millionen wegen Missbrauchs ihrer »marktbeherrschenden Stellung«. Microsoft ist aber fast doppelt so viel wert General Motors, die Größenordnung der Bußen daher Peanuts. Der jetzige Streit ist für die EU ein Präzedenzfall mit größerer Symbolwirkung als Autos oder Telefonleitungen. Und dabei outet sich die europäische Politik: Sie vertritt ihre Klientel und deren Profitinteressen. Was zu beweisen war.

Außerdem steht Bill Gates auf der Beliebtheitsskala ungefähr dort, wo Goliath während seines Kampfes gegen David zu finden war. Deshalb lassen sich die europäischen Interessen im Krieg dem gemeinen Volk leicht verkaufen. Viele Menschen weltweit haben aus Gründen, die sie vermutlich selbst nicht erklären können, Software von immer demselben Unternehmen gekauft. Microsofts Anwalt David Tulchin sagte in einem ähnlichen Verfahren, die hohen Marktanteile seien »das Resultat der Entscheidungen von Millionen Menschen«. Dagegen kann man kaum etwas vorbringen. Geldbußen für Bill Gates befriedigen die Rachegelüste zahlloser Computer-Benutzer für ebenso zahllose allgemeine Schutzverletzungen.

Die EU-Kommission hat mit ihrer jüngsten Entscheidung ihre These, wie der Markt funktioniere, untermauert: Ein Monopol verhindert, dass viele kleinere Kapitalisten Profit machen. Daher muss der Staat den Markt per Gesetz diversifizieren. Was im nationalen Rahmen gilt, muss auch international gelten – weil das Kapital potenziell keine Grenzen kennt. Die WTO verhält sich zum Streit über Strafzölle zwischen EU und USA wie der deutsche Zollverein zu eben den gleichen Konflikten zwischen Preußen und Bayern im 19. Jahrhundert. Einen »Missbrauch« der Marktmacht hat es noch nie gegeben, weil es zur Natur des kapitalistischen Marktes gehört: »Je ein Kapitalist schlägt viele tot« (Marx).

Nationale Gesetze, auch wenn sie im europäischen Rahmen erlassen werden, sind der Volkssturm des Kapitalismus, eine Art primitive Magie, die von denen benutzt wird, die naiv glauben, man könne das brutale Gesetz von Angebot und Nachfrage regional per Vernunft oder Dienstanweisung regulieren. Ein vergebliches Unterfangen.

Zahlreiche Gerichtsverfahren in vielen Ländern drehen sich um die Frage, ob Microsoft seine Macht nicht nur nach den Regeln des kapitalistischen Marktes gebrauchen dürfte: »Missbrauch« der Marktmacht kann nur heißen, dass Gates jeden Preis für seine Produkte nehmen könnte, weil die Konkurrenz nicht existiert. Der Konzern könnte dann, ohne dass es jemand merkte, die Planwirtschaft bei Software-Produkten einführen. Positive Aussagen sind besser zu verkaufen. Daher heißt es nicht, die EU sei gegen den Software-Sozialismus oder gegen den monopolistischen Kapitalismus. EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti verkündete, die EU-Kommission habe beschlossen, dass eine klare Entscheidung, Microsoft mit einer für hiesige Verhältnisse happigen Summe zu bestrafen, besser »für die Verbraucher und den Wettbewerb« sein werde.

Unter anderem bemängelten die EU-Kartellwächter, dass das Multimediaprogramm Windows Media Player so stark in das Betriebssystem integriert sei, dass andere Produkte kaum eine Chance hätten. Die meisten Computer sind heute vernetzt, daher muss ihre Software kompatibel sein. Andere Firmen sind aber gezwungen, ihre Produkte den Standards von Microsoft anzupassen, um überhaupt etwas verkaufen zu können. Die Verhandlungen zwischen der EU und Microsoft-Chef Steve Ballmer drehten sich um mögliche Kompromisse. Wenn es um die Vergangenheit ging, kam man sich näher, bei der Zukunft gab es keinen Konsens. Das verrät vieles über die Taktik des Konzerns in den nächsten Jahren.

In Wahrheit ist natürlich auch der EU und ihren Marktregulierern nicht daran gelegen, dass Microsoft weniger Software verkauft. Wenn das so wäre, würde der Markt mit halb- oder illegalen Importen überschwemmt, die aus Osteuropa oder Asien stammten. Das schmälerte den legalen Profit und ist daher weder im Interesse der USA noch der Europäischen Union.