Olympische Besatzung

Lauschende Videokameras, kreisende Hubschrauber, überall Polizei und Militär – in den griechischen Olympia-Städten herrscht ein repressiver Ausnahmezustand. von harry ladis, athen

Wenn man sich in diesen Tagen durch Athen bewegt, hat man den Eindruck, die Stadt werde belagert. 53 363 Soldaten, fast die Hälfte des gesamten griechischen Militärs, sind im Einsatz. Dazu 51 Marineschiffe, 182 Flugzeuge und Hubschrauber der Luftwaffe und 513 Militärkraftfahrzeuge. Dieses enorme Aufgebot wird von 70 000 Polizisten und zahlreichen privaten Sicherheitsdiensten begleitet. Alles zusammen sorgt seit Anfang August für unerträglich »sichere« Lebensbedingungen im Athener Großraum sowie in den restlichen fünf olympischen Städten.

Der Feind heißt offiziell Terrorismus. Natürlich existiert bei solchen Großereignissen eine tatsächliche Bedrohung, doch im Visier der Sicherheits- und Repressionsapparate steht auch die Gesellschaft an sich, nicht zuletzt aus Angst vor Protesten: Über 1 000 neu installierte Videokameras, davon 300 hochmoderne, die auch Gespräche in einer Entfernung von 100 Metern belauschen und aufnehmen, Bewegungsprofile speichern und einen Menschen sogar von hinten erkennen können, symbolisieren den raschen Fortschritt, mit dem sich die griechische Wirtschaft eine möglichst widerstandsfreie Umgebung verschaffen will. Niemand will den wiederholten Behauptungen des Sicherheitsministers Giorgos Vulgarakis Glauben schenken, die Kameras würden nach den Spielen lediglich zur Prävention von Verkehrsunfällen genutzt; bis auf die regierungskonformen Massenmedien sind sich alle darin einig: The control is here to stay.

Eine erste Datenbank von über 300 000 Personen wurde durch die Überprüfung aller Personaldaten der freiwilligen Olympia-Helfer geschaffen, die gegen alle Vernunft ihre Arbeitskraft gratis zur Verfügung stellen. Durch die Kameras und die unzähligen täglichen Kontrollen sollen diese Basisdaten binnen kurzer Zeit derart erweitert werden, dass bald fast jeder gespeichert sein dürfte, der sich auf der Straße bewegt.

Solch ein Großprojekt kann die griechische Regierung nicht alleine bewältigen. Die USA, Großbritannien und andere haben sich – individuell oder auch als Teil der Nato – schon lange bereit erklärt, im Notfall jeden Beitrag zu leisten. Unter anderem kann eine in Deutschland stationierte Antiterroreinheit der Nato innerhalb von wenigen Stunden auf jede denkbare terroristischen Bedrohung reagieren, Ungarn stellt spezielle Kräfte gegen biologische Angriffe zur Verfügung, 200 FBI-Agenten sind mit der Überwachung des Hafens von Piräus beauftragt, wo acht US-Kreuzer ankern. Ein Kommando von rund 300 bestens ausgebildeten israelischen Spezialkräften steht für den Fall eines terroristischen Anschlags bereit.

Der Diskurs in den Medien beschränkt sich darauf, ob die nationale Hoheit dadurch verletzt wird, und man gibt sich mit der Versicherung des Ministers Vulgarakis zufrieden, Griechenland werde den Oberbefehl haben. Dass die dramatischen Sicherheitsvorkehrungen nicht nur Reaktion auf eine tatsächliche oder angebliche terroristische Bedrohung sind, sondern vor allem und in erster Linie bewusst in Kauf genommene Folge des Großereignisses Olympische Spiele, wird dabei nicht thematisiert.

Jetzt ist es also so weit. Am Freitag, den 13., findet die ausverkaufte Eröffnungsfeier statt. Nachdem der Kartenverkauf sehr schleppend angelaufen war, wurden in der letzten Woche etwa 40 000 Tickets pro Tag verkauft, so dass es wohl doch nicht zu Spielen vor leerer Kulisse kommen wird, wie zunächst befürchtet wurde. Unter den tausenden Zuschauern im Olympischen Stadion Athen, die für die Eröffnungsfeier bis 900 Euro auf dem Schwarzmarkt bezahlt haben – fast doppelt so viel wie das Grundgehalt in Griechenland –, werden unterschiedlichste Menschen anzutreffen sein. Und doch wird es anders sein als vor einem Monat, als man den Triumph der Fußball-Nationalmannschaft bei der EM in Portugal feierte, als griechische Fahnen tragende Albaner neben griechischen Nationalisten standen, als jeder in der Stadt seine Kleinwaren verkaufen konnte und Obdachlose die Illusion hatten, einmal nicht allein auf der Straße übernachten zu müssen.

Diesmal wird man vergeblich nach illegalisierten Migranten, Junkies, Obdachlosen und Kleinhändlern suchen. Allein vom 1. bis zum 20. Juni sind nach Angaben des Sicherheitsministeriums fast 6 000 Personen aus diesen Randgruppen kontrolliert, und das bedeutet in der Regel, aus dem Stadtzentrum verjagt worden. Zwar scheiterte der Plan der Regierung, in der nahe gelegenen Stadt Aspropirgos eine ehemalige Kaserne umzubauen und übergangsweise als Gefängnis zu nutzen, am Protest der Bevölkerung; doch die angeblich nötigen Haft-Kapazitäten sollen nun durch die bereits existierenden Gefängnisse gedeckt werden. Die Säuberungsaktionen werden intensiv fortgesetzt; im Krieg des Staates gegen die Lumpenproletarier gibt es keinen olympischen Waffenstillstand. Dazu gehören auch beschleunigte Abschiebungen von Flüchtlingen. Nach Afrika und Asien wurden allein im Juli 400 Menschen abgeschoben, am 2. August weitere 90 nach Ägypten. Albaner werden täglich massenweise mit Bussen abtransportiert.

Die Einheimischen sind während der Spiele zudem verpflichtet, sich an eine Reihe neuer Vorschriften zu halten: Ein Strafzettel von 156 Euro droht Autofahrern, die ohne die nötige Lizenz den so genannten olympischen Streifen – das heißt jeweils die linke Fahrbahn jeder Straße innerhalb des olympischen Straßennetzes – befahren. Außerdem wurden jede Menge Verbote eingeführt, deren Geltung nicht unbedingt mit der Olympiade enden wird; das betrifft das Demonstrationsrecht ebenso wie Ordnungswidrigkeiten wie das Wegwerfen von Zigarettenstummeln.

Betroffen vom olympischen Ausnahmezustand sind schließlich auch unsere vierbeinigen Freunde bzw. Feinde. Während 100 ausgebildete Polizeihunde voraussichtlich 10 000 Arbeitsstunden bei der Überprüfung von Räumen, Wagen und sonstigen Einrichtungen leisten sollen und sich dafür in klimatisierten Hundehäusern ausruhen dürfen, sind tausende wild lebende Stadthunde in den letzten Monaten in spezielle Tierheime gepfercht oder einfach vergiftet worden.

Zuweilen ergänzen sich Sicherheitswahn und Vierbeiner aufs Skurrilste. Einem Bericht der Tageszeitung Eleftherotypia zufolge wurde letzte Woche am Bahnhof der olympischen Hafenstadt Patras die Polizei alarmiert, weil ein amerikanischer Tourist gemeint hatte, das Wort »Bombe« in einem Gespräch zwischen Arabern gehört zu haben. Wie sich aber wenig später, nach Eintreffen der Antiterror-Experten, herausstellte, hatten die zwei Araber über einen bekannten streunenden Hund der Gegend gesprochen, der »Bob« heißt.

Der frühere Kulturminister, Evangelos Veniselos, hat seine Meinung zum Besten gegeben, wieso Gegner der Spiele nicht viel zu melden haben. Die Olympischen Spiele seien eine »Übung für das nationale Bewusstsein«, erklärte er, und beschrieb damit trefflich, wie der herrschende Konsens funktioniert. Wer gegen den Olympia-Wahn ist, stellt sich außerhalb der Nation. Gegen solche Konstrukte sind die Olympiagegner derzeit weitgehend machtlos. Da bleibt den Oppositionellen eigentlich keine andere Wahl, als mitsamt ihren Hunden an den Strand zu fahren und geduldig auf das Ende dieses Alptraums zu warten.