Schmutzig, aber wirkungsvoll

Nuklearwaffen sind kompliziert. Wahrscheinlicher ist ein terroristischer Anschlag mit einer »schmutzigen Bombe«. von martin schwarz, wien

In den Korridoren des Hauptquartiers der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien herrschen derzeit ein wenig Nervosität und Ungewissheit. Er kommt nicht, sagen die einen. Er kommt vielleicht, sagen die anderen. Er, das ist George W. Bush. Und der, so besagen jedenfalls Gerüchte bei der UN in Wien, soll Mitte September als Stargast auf einer Konferenz über die von ihm kreierte »Global Threat Reduction Initiative« auftreten.

Unabhängig davon, ob Bush selbst an der Konferenz in Wien teilnimmt, steht fest, dass dort die Gefahren eines nuklearen Terrorismus erörtert werden sollen und über Maßnahmen zur Bekämpfung einer solchen Form des internationalen Terrors beraten werden soll. Oben auf der Agenda der Konferenz steht die Abschätzung des Risikos eines Anschlages mit einer so genannten schmutzigen Bombe, einem konventionellen Sprengkörper also, der von radioaktivem Material ummantelt ist.

Derlei Sprengsätze sind im Gegensatz zu Nuklearwaffen relativ leicht herzustellen, denn als Rohstoff genügen radioaktive Materialien, wie sie in der Industrie oder der Medizin verwendet werden. Alleine in der Europäischen Union wurden in den vergangenen 50 Jahren etwa 500 000 Mal radioaktive Quellen in Industrie oder Medizin benutzt, in den USA lizenzierte die Nuclear Regulatory Commission (NRC) bisher rund 157 000 Mal den Gebrauch radioaktiven Materials.

Ein ehemaliger Mitarbeiter der Nuclear Regulatory Commission warnt denn auch vor einer allzu freizügigen Genehmigungspraxis: »Diese Lizenzen sind leicht zu bekommen. Wenn Sie also an radioaktive Materialien kommen möchten, können Sie es in den Vereinigten Staaten ganz legal tun.« Besonders heikel ist dabei, dass immer wieder radioaktives Material verschwindet, ohne dass der Verbleib rekonstruiert werden könnte. In den USA ist das seit 1996 etwa 1 500 Mal vorgekommen, in der Europäischen Union passiert es jährlich etwa 70 Mal. Die Dunkelziffer, so befürchtet man zumindest in der IAEA, liegt wesentlich höher.

»Die meisten Staaten wissen nicht einmal, wo ihre radioaktiven Quellen überhaupt sind«, sagt der IAEA-Experte Gordon Linsley. Insbesondere in Russland, wo radioaktive Quellen beinahe täglich spurlos verschwinden. Doch die Informationen bleiben meist in Moskau hängen. »Die Russen arbeiten nicht mit uns zusammen«, bedauert ein IAEA-Mitarbeiter gegenüber Jungle World. Der Mann hat die nicht gerade einfache Aufgabe, eine Datenbank mit Zwischenfällen über abhanden gekommene radioaktive Quellen zu füttern.

Für Terroristen könnten »schmutzige Bomben« deshalb besonders attraktiv sein, weil sie vergleichsweise einfach herzustellen sind und die psychologische Wirkung eines solchen Anschlages enorm wäre. Da es im Unterschied zu Nuklearwaffen nicht zu einer Kernspaltung kommen würde, wären vergleichsweise wenige Todesopfer zu beklagen.

Ein Team des Consulting-Unternehmens Enviros ersann im Februar 2003 eine Simulation, bei der eine »schmutzige Bombe«, bestehend aus Cäsiumchlorid und fünf Kilogramm Explosivstoffen, am Trafalgar Square im Zentrum Londons gezündet wurde. Das Ergebnis: Etwa zehn Menschen würden auf dem belebten Platz an den unmittelbaren Folgen der Explosion sterben. Die Langzeitwirkung aber wäre wesentlich fataler. Im Umkreis von einem Kilometer würde voraussichtlich jeder hundertste an Krebs erkranken. Wegen der Kontaminierung mit Cäsium würden einige Gebiete der Stadt etwa 200 Jahre lang unbewohnbar bleiben. »Wenn es Terrororganisationen darauf anlegen, einem Land wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, so könnten ›schmutzige Bomben‹ ein geeignetes Mittel sein«, befürchtet der Schweizer Terrorexperte Emmanuel Egger.

Auch bei den Olympischen Spielen in Athen wurde die Möglichkeit eines solchen Terroranschlages einkalkuliert. Zum ersten Mal überhaupt war die IAEA in den vergangenen zwei Wochen in die Sicherheitsvorkehrungen bei solch einem internationalen Ereignis involviert und kümmerte sich vor allem um die Abwehr »schmutziger Bomben«, die in einer internen Analyse der IAEA als größte Terrorgefahr für die Spiele klassifiziert wurden.

Dabei gilt al-Qaida nicht als einziger potenzieller Interessent. Einem Bericht der Wiener UN-Behörde für Terrorprävention und Verbrechensbekämpfung (UNODC) aus dem Jahre 2001 zufolge waren damals rund 130 Terrororganisationen auf der ganzen Welt technisch und finanziell in der Lage, eine »schmutzige Bombe« herzustellen. Heute, so schätzen Mitarbeiter der UNODC, sind es noch mehr. Das heißt noch lange nicht, dass alle in dem Bericht unter dem Label »terroristisch« aufgeführten Organisationen sich solcher Mittel auch bedienen wollten.

Doch außer Zweifel steht, dass sich Terrororganisationen angesichts aktueller politischer Verwerfungen eines reichen Reservoirs bedienen können, um an Rohstoffe zu kommen: Vor einigen Monaten tauchten Gerüchte auf, wonach in Transnistrien, einer abtrünnigen Region Moldawiens, größere Mengen radioaktiven Materials verschwunden sein sollen. Und dem transnistrischen Regenten Igor Smirnow traut man so ziemlich jedes Geschäft mit so ziemlich jedem Kunden zu, um den persönlichen Kontostand zu erhöhen. Auch im Irak, so warnte erst kürzlich wieder die IAEA, sind radioaktive Quellen in großer Zahl verschwunden.

Wirklich unter Kontrolle haben aber können weder die IAEA noch die USA die Risiken einer Anwendung solcher »schmutziger Bomben«, weil hier im Gegensatz zu echten Nuklearwaffen die privatwirtschaftliche und wissenschaftliche Nutzung Ausmaße erreicht hat, die eine Kontrolle erschweren. Die liegt nämlich mehr oder minder bei den Eigentümern der Quellen – Industriebetrieben und medizinischen Einrichtungen also – und wird recht unterschiedlich gehandhabt. Vielleicht aber wird es auch bald in europäischen Metropolen zu seltsamen Missverständnissen zwischen friedlichen Bürgern und den Behörden kommen, wie sie bereits in New York passiert sind: Da nämlich müssen Patienten, die sich radioaktiven Therapien unterzogen haben, eine entsprechende Bestätigung eines Arztes immer mit sich tragen. Denn in New Yorker U-Bahnen schlagen regelmäßig Sensoren an, die radioaktive Strahlung anzeigen.

Martin Schwarz ist Autor des im April 2004 bei Droemer-Knaur erschienenen Buches »Atomterror. Schurken, Staaten, Terroristen – die neue nukleare Bedrohung«. Weitere Informationen unter www.iaeo.org