Warten auf die Wahlen

Nach der Beerdigung Arafats wächst die Hoffnung auf eine Wiederaufnahme
der Friedensverhandlungen. von michael borgstede, ramallah

Das riesige Arafat-Porträt ertrinkt fast in dem Blumenmeer. Eine Ehrenstaffel bewacht das Grab, immer wieder kommen Frauen, Kinder oder ganze Familien vorbei, bringen Blumen und Briefe mit und vergießen einige Tränen. Doch eigentlich ist es zwei Tage nach der chaotischen Beerdigung des Palästinenserführers in Ramallah erstaunlich ruhig. Die befürchteten gewalttätigen Demonstrationen sind ausgeblieben, von einem Bürgerkrieg kann keine Rede sein. So weit scheint alles nach Plan zu laufen. Arafat musste wohl erst sterben, bevor die politischen Institutionen der Palästinenser ihre Funktionsfähigkeit unter Beweis stellen konnten.

Weniger als acht Stunden nach Arafats Tod wurde der Sprecher des Legislativrates, Rauhi Fattuh, als Übergangspräsident eingeschworen. Am Sonntag legte er per Dekret den Termin für die in der Verfassung geforderten Neuwahlen auf den 9. Januar fest. Am selben Tag nominierte das Zentralkomitee der Fatah-Partei Mahmoud Abbas als ihren Kandidaten.

Abbas wird die Wahlen wohl gewinnen. Die islamistische Hamas wird keinen Kandidaten stellen, da die Autonomiebehörde im Rahmen der Osloer Verträge entstand, die die Hamas nicht anerkennt. Kurzzeitig für Unruhe sorgte die Nachricht, der in Israel inhaftierte Fatah-Aktivist Marwan Barghouti wolle sich zur Wahl stellen. Er gilt im Gegensatz zu Abbas und Premierminister Ahmed Qurei nicht als korrupt; eine Umfrage vom September wies ihn als beliebtesten palästinensischen Politiker nach Arafat aus. Sofort kursierten Gerüchte über eine mögliche Entlassung des zu mehrfach lebenslanger Haft Verurteilten. Während der israelische Außenminister Silvan Shalom sich kategorisch dagegen aussprach, sah Innenminister Avraham Poras durchaus die Möglichkeit eines Gefangenenaustausches. Andere Quellen berichteten, Barghouti wolle die Einheit der Palästinenser nicht gefährden und werde deshalb auf eine Kandidatur verzichten.

George W. Bush will die Schaffung eines Palästinenserstaates bis zum Ende seiner Amtszeit 2008 zu einem Schwerpunkt seiner Außenpolitik machen und drängt die Israelis, den Palästinensern freie Wahlen zu ermöglichen. Nach einem Bericht der New York Times soll Ariel Sharon sogar darüber nachdenken, die Armee für die Dauer des Wahlkampfes aus den palästinensischen Gebieten abzuziehen. Armeechef Moshe Yaalon sagte, die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Sicherheitskräften sei in den Tagen um Arafats Beisetzung besser gewesen „als seit langem“. Weitere Treffen zur Koordination von Sicherheitsaktivitäten seien bereits geplant. Das alles weckt vorsichtige Hoffnungen, es könnte bald wieder ein Friedensprozess die Road Map entlangrollen.

Bei all dem Optimismus geraten die zahlreichen Hindernisse auf dem Weg leicht aus dem Blickfeld. Wird eine demokratisch legitimierte Palästinenserführung automatisch über die Autorität verfügen, der Bevölkerung unangenehme Kompromisse zu vermitteln? Den Verzicht auf Jerusalem und das Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge hat Arafat immer abgelehnt, diese Position kann keiner seiner Nachfolger ignorieren.

Der neue Vorsitzende des Fatah-Zentralkomitees, Faruk Kadumi, hat ebenfalls Führungsansprüche angemeldet. Er ist ein erklärter Gegner der Osloer Verträge und nie aus dem Exil in Tunis zurückgekehrt. Sollte es Qurei und Abbas nicht gelingen, ihn politisch zu isolieren, wird er bei Friedensverhandlungen auf dem Bremspedal stehen.

Zur Wiederaufnahme von Gesprächen kann es nach Aussage von Ministerpräsident Sharon aber sowieso erst kommen, wenn die neue Palästinenserführung gegen die Terrorgruppen vorgegangen ist. Dass Abbas dazu in der Lage sein wird, darf bezweifelt werden. Die Schießerei am Sonntag bei einer Trauerfeier für Arafat in Gaza zeigt die Macht seiner Gegner.