No Blood for Gas

Deutschland will Zugriff auf die nordafrikanischen Energievorkommen und übt sich in antikolonialer Symbolik, um europäische Rivalen auszustechen. von jörg kronauer

Wichtiger Termin!!« Gleich zwei Ausrufezeichen vergibt der Wirtschaftsverband »Afrika-Verein« für den Hinweis auf das Deutsch-Libysche Wirtschaftsforum Ende November. »Beträchtliche Mittel« werde die Regierung Libyens »in naher Zukunft« investieren, heißt es nach den Ausrufezeichen: »Erdöl, Erdgas & Petrochemie, Industrieentwicklung, Infrastrukturausbau und Dienstleistungen« – viel Geld ist jetzt in dem nordafrikanischen Land zu verdienen. Und das mit staatlicher Unterstützung. Der Afrika-Verein verkündet stolz, die Bundesregierung habe »politische Flankierung zugesagt«.

Mehrere Staaten bemühen sich um Einfluss im Mittelmeergebiet: die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich, Großbritannien und Italien, auch Spanien und die USA. Deutschland hat das südlich an die EU angrenzende Gebiet ebenfalls im Visier. Um die Region rund ums Mittelmeer an das europäische Zentrum anzubinden, unterstützte die Bundesregierung von Anfang an den Barcelona-Prozess. Der bildet freilich nur den Rahmen für innereuropäische Rivalitäten. Sie zeigen sich im nationalen Einflusskampf in Nordafrika.

Dort trumpft Deutschland derzeit auf, insbesondere in Libyen. Die deutsche Wirtschaft dürfe bei der Erschließung der libyschen Märkte »nicht zu kurz kommen«, warnte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Oktober bei seinem Besuch in Tripolis. Eine hochkarätige Wirtschaftsdelegation hatte er mitgebracht, erste Erfolge gab es schon: Siemens erhielt einen Auftrag im Umfang von 180 Millionen Euro zur Modernisierung der libyschen Stromversorgung. Doch die deutschen Libyen-Pläne reichen weiter, sie betreffen vor allem die Energieressourcen Erdöl und Erdgas.

Die deutschen Erdölimporte aus Libyen sind im ersten Halbjahr 2004 um rund 45 Prozent gestiegen, das nordafrikanische Land ist inzwischen der drittgrößte Erdöllieferant der Bundesrepublik. Es verfügt »neben den hohen Erdölreserven (…) vor allem über ein bedeutendes Potenzial für die Erdgasförderung«, schreibt die Kasseler BASF-Tochtergesellschaft Wintershall. Wintershall ist der größte deutsche Erdöl- und Erdgasproduzent und seit 1958 in Libyen in der Ölexploration und -produktion aktiv.

»Wir haben der staatlichen National Oil Company (NOC) klar gemacht, dass wir gerne in großem Stil in Libyen Gas explorieren und fördern wollen«, teilte der Vorstandsvorsitzende von Wintershall, Reinier Zwitserloot, kürzlich dem Handelsblatt mit. Zwitserloot gab sich nicht gerade bescheiden. Vorbild sei die Wintershall-Partnerschaft mit dem russischen Gasriesen Gazprom, erklärte er: Sie verschafft dem deutschen Unternehmen einen bevorzugten Zugriff auf die immensen Energievorräte Russlands und Privilegien bei ihrer Vermarktung in Europa. Auch den europaweiten Vertrieb von libyschem Erdgas will Wintershall jetzt in Zusammenarbeit mit der NOC an sich ziehen. Deutschland am Energiehahn anderer EU-Staaten – die Konkurrenz wäre nicht besonders erfreut.

Die deutschen Wirtschaftserfolge in Libyen kommen nicht von ungefähr. Seit die EU begonnen hat, mit dem Barcelona-Prozess ihren Einfluss rund ums Mittelmeer zu festigen, bemüht sich die deutsche Außen- und Außenwirtschaftspolitik um eine zusätzliche Stärkung ihrer Position. Im März 1996, kurz nach »Barcelona«, gründete der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gemeinsam mit mehreren anderen Spitzenverbänden die »Nordafrika Mittelost Initiative der deutschen Wirtschaft (NMI)«. Im Juli 2002 verkündete der damalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller eine neue »Außenwirtschaftsoffensive«. »Neue Absatzmärkte« müssten erobert werden, erklärte Müller damals: »Hierzu zähle ich den gesamten Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika.«

Für die Wirtschaftsexpansion in wichtige Einzelstaaten gründete das deutsche Establishment zusätzlich Sonderinitiativen. Für das Öl- und Gasland Libyen etwa richtete die NMI bereits 1997 das »Deutsch-Libysche Wirtschaftsforum« ein, das sich Ende November zum siebten Mal in Tripolis trifft. Auch dem zweiten wichtigen Ressourcenstaat Nordafrikas, Algerien, verpasste die Initiative im selben Jahr ein eigenes Wirtschaftsforum, das »Deutsch-Algerische«. Die von Deutschland angestrebten Wirtschaftsprivilegien beziehen sich auch auf den algerischen Energiesektor, bestätigte Bundeskanzler Schröder kürzlich. Sie kollidieren direkt mit den Machtansprüchen der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.

Als beinahe offene Kampfansage konnte man Schröders Verhalten bei seinem Aufenthalt in Algerien im Oktober werten. Der deutsche Kanzler ehrte dort die Opfer des Unabhängigkeitskrieges gegen Frankreich mit einem Kranz. Er knüpfte damit an eine alte Strategie der deutschen Außenpolitik an, die darin besteht, sich den antikolonialen Widerstand zu Nutze zu machen – als taktischen Bündnispartner beim Kampf gegen die europäischen Kolonial-Konkurrenten Frankreich und Großbritannien.

In Nordafrika versuchte sich das Auswärtige Amt schon während des Ersten Weltkriegs daran. »Die mohammedanischen Algerier und Tunesier, vom Hass gegen Frankreich beseelt, sehnen sich nach Befreiung«, erklärte damals der Sonderbotschafter des Deutschen Reichs in Istanbul, Max von Oppenheim. Die Regierung knüpfte vorsichtige Kontakte zu Stammesfürsten, der Erfolg blieb jedoch aus: »Der tatsächliche Einsatz an Mitteln und Personen (…) war (…) völlig unzureichend«, urteilte im Rückblick der Historiker Fritz Fischer.

Doch Deutschland gab die Versuche nicht auf, nicht Nazideutschland, auch nicht die Bundesrepublik. »Ehemalige NS-Agenten der Berliner ›Abwehr‹ in Nordafrika stellten ihre dortigen V-Leute erst der ›Organisation Gehlen‹, dann der neuen deutschen Auslandsspionage (BND) zur Verfügung«, berichtet der Internetdienst www.german-foreign-policy.com. Der BND kooperierte mit der Befreiungsbewegung FNL, war in Waffenlieferungen und Anschläge gegen französische Versorgungseinrichtungen verstrickt. Zugleich bemühte sich die deutsche Regierung um wirtschaftlichen Einfluss. Zwischen 1950 und 1978 stand Algerien bei den bilateralen Nettoleistungen der BRD mit fast 4,2 Milliarden Mark unter allen arabischen Staaten auf Platz eins.

Der Durchbruch ist in Algerien trotz aller Bemühungen immer noch nicht erfolgt, auch in Libyen und den anderen Staaten des Mittelmeerraumes bleibt die internationale Konkurrenz stark. Doch das deutsche Establishment startet eine neue Offensive. Wie der BDI mitteilt, wird er gemeinsam mit dem Bundesverband der deutschen Banken und internationalen Organisationen eine »Finanzierungskonferenz zur Region Nordafrika Mittelost« durchführen. Ziel ist es, »Exportvorhaben (…) ebenso wie Strategien zur Mobilisierung von Kapital aus der Region für Investitionen in Deutschland« zu fördern.

Die betroffenen Märkte seien »teilweise mit spezifischen Sicherheitsrisiken belastet«, heißt es beim BDI. Daher führe man die Konferenz am 11. Februar »in direkter Kooperation mit der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik durch«. Die deutsche Wirtschaft nimmt einen neuen Anlauf im Kampf um die Vorherrschaft rund ums Mittelmeer. Dabei bezieht sie militärische Planungen offenbar ein.