Miss Führer

ich-ag des jahres

Wunder der Schauspielkunst: Gustaf Gründgens spielt immer Gustaf Gründgens, Bruno Ganz spielt immer Bruno Ganz, aber Hitler ist jedesmal ein anderer. Etwas outré gibt der alte Schicklgruber die Rolle, anmutig Chaplin und hinreißend Udo Kier.

In »Mrs Meitlemeihr«, einem Kurzfilm von Graham Rose, ist Kier Miss Hitler. Denn Faust III greift hier mal nicht nach den Sternen, sondern in den Schminktopf. Glücklich dem umkämpften Führerbunker entronnen, muss er, kostümiert als Miss Meitlemeihr, in London ausharren, bis Bormann die Flucht nach Argentinien arrangiert hat. Das dauert, Miss Hitler leidet Hunger und läuft auch noch ihrem jüdischen Nachbarn in die Arme, der einsame alte Witwen ungern darben lässt.

Schon glaubt sie ihn abgewimmelt zu haben, da klopft es an der Tür: »Miss Meitlemeihr! Miss Meitlemeihr! Huhuuu! It’s me!« Mr. Veldermann (John Levitt) ist klein, korpulent, unrasiert, aber von einem Charme, dem selbst eine Miss Hitler nicht widerstehen kann. Vielleicht fordert auch der Magen sein Recht, denn ein Candlelight-Dinner mit Gefilte Fish wird serviert. So etwas gab es auf der Wolfsschanze selten. Der Schnaps fließt in Strömen, die beiden tanzen Rumba, doch als der Nachbar sie endlich flachgelegt hat, zieht er entsetzt die Hand aus dem Schlüpfer: »A cock!«

Als ich den Film kürzlich auf dem »Shortcuts«-Festival in Köln sah, lachte außer meiner Begleiterin und mir niemand im ganzen Saal. Aber die Kölner ernähren sich von Trennkost, zwei Wochen des Jahres alte Zoten im Karneval, die restlichen 50 Kunst und neue Meister. Mag auch sein, dass nach Hitlers tränenseligem Untergang seine Wiederauferstehung im Fummel nicht unbedingt das ist, was die Generation der Enkel erwartet.

stefan ripplinger