Rote Fahnen, schwarze Berge

Die linke kurdische Guerillabewegung Komala kämpft gegen das islamistische Regime im Iran. Ihr Hauptquartier in Sargues besuchte thomas schmidinger

Aus der Ferne betrachtet, sieht Sargues aus wie viele andere Dörfer im Nordirak. Kleine, einstöckige Häuser drängen sich an den Berghang, so wie es für die kurdische Architektur typisch war. In den Bergen war man sicherer vor Angriffen und konnte zudem der drückenden Sommerhitze entfliehen; erst im 20. Jahrhundert begannen die Menschen, sich auch im Tal anzusiedeln.

Die EinwohnerInnen von Sargues sind jedoch nicht vor der Hitze geflohen, sondern vor einem diktatorischen islamistischen Regime. Das Dorf, das an den Hängen des Karadag, des in türkischer Sprache benannten »Schwarzen Berges« im Südosten von Suleimaniya liegt, ist das Hauptquartier der Komala, der linken kurdischen Peshmerga (Guerillakämpfer) aus dem Iran.

Wenn man auf der holprigen Straße von Suleimaniya in Richtung Halabja fährt und den Checkpoint der Puk-Peshmerga hinter sich gelassen hat, zweigt rechts eine kleine, aber mittlerweile geteerte Straße in das Gebirgsmassiv des Karadag ab. Dieses Gebiet war auch unter Saddam Hussein selten unter Kontrolle der Zentralregierung. Peshmerga der Puk und der Kommunistischen Partei des Irak hatten hier eine ihrer Bastionen und verschanzten sich in den »Schwarzen Bergen«. Wie überall im kurdischen Teil des Irak wurden auch hier viele Dörfer in den achtziger Jahren völlig zerstört. Eines dieser zerstörten Dörfer war Sargues.

An der Stelle des alten Dorfes wurde nach der Befreiung des kurdischen Nordirak das Hauptquartier der iranischen kurdischen Guerillabewegung der Komala errichtet. Das Hauptquartier war ursprünglich näher an der iranischen Grenze, doch die Aktivisten mussten sich nach einigen Angriffen des iranischen Geheimdienstes mit ihren Familien hierher zurückziehen. Seither werden hier die politischen und militärischen Aktivitäten der Gruppe im Iran geplant.

Wo vor einigen Jahren nur eine Zeltstadt existierte, wurden im Laufe der Zeit feste Häuser errichtet. Heute besitzt Sargues eine Bibliothek, einen Internetzugang und Satellitenfernsehen. Das gemeinsame Abendessen wird in einer gemauerten Kantine eingenommen. Es ist einfach und niemand bleibt allzu lange sitzen. Man will dem iranischen Geheimdienst nicht die Möglichkeit geben, alle Kader der Partei auf einem Fleck vorzufinden, und sitzt am Abend lieber in Kleingruppen zusammen, um über Politik oder die vielen kleinen Dinge des Lebens zu plaudern.

Die Komala ist keine der vielen kleinen, nur noch im europäischen oder US-amerikanischen Exil existierenden Splittergruppen der iranischen Linken. Zwar hatte auch sie schon einmal mehr Peshmerga unter Waffen, allerdings erfreut sie sich im kurdischen Teil des Iran immer noch einer großen Popularität. Gemeinsam mit der bürgerlichen Demokratischen Partei Kurdistans-Iran stellt sie im kurdisch dominierten Nordwesten des Iran wohl die stärkste Oppositionskraft dar.

Die stärkste sozialistische Guerillabewegung im iranischen Teil Kurdistans arbeitet jedoch nicht nur mit kurdischen Oppositionsgruppen zusammen. Wie der Generalsekretär der Komala, Abdullah Mohtadi, betont, versuche sie gleich auf mehreren Ebenen, die zersplitterte iranische Opposition zusammenzuführen. Die Allianzen mit Organisationen anderer Bevölkerungsgruppen würden verstärkt.

Rund 50 Prozent der iranischen Bevölkerung sprechen nicht die Amtssprache Farsi als Muttersprache. Autonomiebestrebungen der Azeris, Araber, Balutschen oder Lori wurden in den vergangenen Jahrzehnten ebenso unterdrückt wie jene der Kurdinnen und Kurden. Abdullah Mohtadi betont jedoch, dass es der Komala nicht um die Errichtung eines unabhängigen Kurdistan gehe. Vielmehr wolle er eine freiwillige Allianz gleichberechtigter Bevölkerungsgruppen im Rahmen eines föderalen Staates.

So bildet die dritte Ebene der oppositionellen Zusammenarbeit denn auch die Suche nach Gemeinsamkeiten mit nichtethnischen oder der persischen Bevölkerungsmehrheit zugehörenden Oppositionsgruppen. »Auch die Studenten-, Arbeiter- und Frauenbewegungen in den iranischen Städten sind für uns wichtige Bündnispartner in unserem Kampf gegen das Regime«, sagt der Generalsekretär der Partei.

In der Komala selbst scheinen Frauen eine wichtige Rolle zu spielen. Überall im Camp sieht man Frauen unter Waffen. Shirin, eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig, scheint in der Radiostation mehr oder weniger das Kommando zu führen. Stolz zeigt sie uns nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern bietet uns auch gleich an, mit ihr im Speisesaal des Camps zu Abend zu essen.

Früher, so meint sie, sei dies alles viel improvisierter gewesen: »Vor einigen Jahren haben hier alle noch in Zelten gehaust. Von einem Speisesaal wie diesem konnten wir damals nur träumen. Mittlerweile haben wir aber nicht nur feste Häuser, sondern auch eine kleine Bibliothek, Internetanschlüsse und eben unsere Radiostationen.« Shirin und ihre Freundinnen strahlen ein Selbstbewusstsein aus, das oft bei Frauen in militanten Befreiungsbewegungen zu beobachten ist.

Ob sie die während des bewaffneten Kampfes eroberten Positionen auch in die Zeit nach dem Guerillakrieg retten können, wird sich erst erweisen müssen. Die Komala weist darauf hin, dass Frauen auch in zentralen Positionen in der Partei vertreten seien. Dies ist jedoch noch keine Garantie für eine ausreichende Partizipation an der gesellschaftlichen und politischen Macht nach dem Ende des bewaffneten Kampfes.

Bei anderen Guerillabewegungen wie der guatemaltekischen URNG, der eritreischen EPLF oder auch der der kurdischen Puk verschwanden die Frauen bald nach dem Ende der bewaffneten Kämpfe wieder hinter dem Herd. Die guten Vorsätze der Komala allein werden nicht genügen, um eine solche Entwicklung zu verhindern. Die Sensibilität für das Thema ist jedoch vorhanden, es wird viel diskutiert, und einige Unterschiede zwischen der Komala des Jahres 2005 und vielen Befreiungsbewegungen der siebziger Jahre deuten darauf hin, dass die Beteiligung von Frauen an den Kämpfen nicht nur als temporäre Dienstpflicht betrachtet wird.

Obwohl am Eingang des Camps noch rote Fahnen zu sehen sind, wird auf martialische kommunistische Ikonographie weitgehend verzichtet. So definiert sich die Gruppe nach außen nicht mehr unbedingt als »kommunistisch«, schon gar nicht als leninistisch, sehr wohl aber als sozialistisch. Darunter versteht die Komala jedoch nicht ein am »arabischen Sozialismus« oder anderen autoritären Modellen orientiertes System. Vielmehr strebt sie eine pluralistische demokratische Gesellschaft an, die sich allerdings an linken Grundpositionen wie der Gleichheit der Geschlechter, einer manchmal etwas diffus wirkenden »sozialen Gerechtigkeit« und persönlicher Freiheit orientiert.

Dass die Freiheit des Einzelnen, die in vielen anderen linken Strömungen in Theorie und Praxis zu kurz gekommen ist, für die Komala eine wichtige Rolle spielt, mag auch mit ihrem Gegner zusammenhängen. Wer ein sich »antiimperialistisch« gebärdendes islamistisches Regime zum Feind hat, unter dem es genau diese persönliche Freiheit nicht gibt, weiß die liberalen Errungenschaften der französischen Revolution, auf der ja der Marxismus erst aufbauen konnte und wollte, mehr zu schätzen als europäische Antiimperialisten, die sie oft ausschließlich als Ablenkungsmanöver der herrschenden Klasse oder gar »des Imperiums« begreifen. So beurteilt die Komala auch die gegenwärtigen Veränderungen im Nahen Osten anders als die Mehrheit der europäischen Linken.

»Man mag von den USA prinzipiell halten, was man will; dass sie mit dem Sturz Saddam Husseins die Möglichkeit einer Demokratisierung der Region eingeleitet haben, gehört sicher nicht zu den Fehlern ihrer Politik«, sagt der Generalsekretär der Partei. Eine ausländische Militärintervention im Iran lehnt er jedoch ab. »Ich denke, dass der Druck von innen und außen genügen wird, um das Regime zu Fall zu bringen. Es gibt eine starke Opposition, die alle gesellschaftlichen Gruppen erfasst. Besonders die jungen Leute haben einfach genug von diesem Regime, das sie in jeder Hinsicht beschränkt. Sie haben keinerlei Freiheiten und keine ökonomische Zukunft.«

Zwar sieht Abdullah Mohtadi auch die Fehlschläge der US-Politik im Nahen Osten, allerdings betrachtet er die Entwicklung tendenziell als positiv: »Dass heute die autoritären Regimes im Iran oder in Syrien sich zumindest zu Reformen gezwungen sehen, ist ein Resultat des Drucks von außen. Früher wurden die Diktaturen der Region vom Westen unterstützt, jetzt haben sie Angst.« Umso unverständlicher scheint ihm deshalb die Position der meisten europäischen Staaten. »Man kann mit Regierungen wie dem iranischen Regime keinen fruchtbaren Dialog führen. Was hier unter dem Titel eines Dialogs mit dem Islam läuft, ist nur eine Legitimation theokratischer Tyrannen.«

Hussein, ein junger Akivist, der die meiste Zeit des Jahres als politischer Flüchtling in Berlin lebt und nur im Sommer einige Wochen im Komala-Camp im Irak verbringt, teilt diese Meinung: »Ich verstehe nicht, warum die Deutschen sich gegenüber dem Regime in Teheran so naiv verhalten. Nur weil sie die USA hassen, heißt das doch noch lange nicht, dass sie jede antiamerikanische Diktatur unterstützen müssen.« Während wir mit ihm an Kindern vorbeispazieren, die in der schwächer werdenden Abendsonne Fußball spielen, erzählt er in perfektem Deutsch von seiner Frustration über die deutsche Linke. Immer wieder haben er und seine Freunde versucht, deutsche KommunistInnen und SozialistInnen auf die Diktatur im Iran und die Verfolgung iranischer Oppositioneller hinzuweisen.

Während er von seinen Hoffnungen auf eine Zeit nach dem Ende der iranischen Theokratie erzählt, gleitet sein Blick über die Berge am anderen Ende der Hochebene zwischen Sulemaniya und Halabja. Die Berge im Hintergrund, deren Gipfel noch von Schnee bedeckt sind, liegen teilweise bereits im Iran. Im Sommer werden wieder die jungen Peshmerga der Komala über diese Berge in den Iran gehen und dort ihren Kampf weiterführen.