Weg auf Verdacht

Diskussion über Sicherungshaft

von oliver tolmein

Es ist mal wieder die Zeit der vorletzten Dinge und der allerletzten Fragen. Tabus werden im »Kampf gegen den Terrorismus«, der gegenwärtig als Menschheitsgeißel auftritt, nicht geduldet, und für einen Skandal sorgen in der allzeit bereiten Öffentlichkeit eigentlich nur noch Politiker und Anwälte, die nicht der Auffassung sind, dass man genauso gut wie über die Mehrwertsteuererhöhung auch über die Androhung von Folter für Kindesentführer oder die flächendeckende Rundumüberwachung mittels Gendatenbanken und der Erfassung biometrischer Merkmale auf Rfid-Chips »ergebnisoffen« diskutieren könne.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der seit Jahren agiert wie ein im Bundeskabinett vorgeschobener Posten der noch nicht mit der Regierungsmehrheit ausgestatteten CDU/CSU, hat jetzt das Thema Sicherungshaft zur Diskussion gestellt. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung propagierte er die Idee der Verständigung von christlicher und islamischer Welt, bevor er die »Hassprediger« angriff. Schließlich nutzte er eine Frage nach der schärferen Anti-Terror-Gesetzgebung Großbritanniens als Vorlage für sein »rein theoretisches Gedankenspiel«, eine präventive Sicherungshaft auch in Deutschland zu erwägen.

Dass Schilys früherer Anwaltskollege Christian Ströbele (Grüne) daraufhin die Sicherungshaft mit der nationalsozialistischen »Schutzhaft« verglich, brachte auch kein Licht in die Angelegenheit. Der Innenminister will Sicherungshaft als Variante der Abschiebehaft verstanden wissen und als ähnliche Zwangsmaßnahme wie die von der Polizei oftmals gewaltsam durchgesetzte Unterbringung psychisch kranker Menschen nach den Unterbringungsgesetzen der Bundesländer.

Staatlich verordneter Freiheitsentzug ohne Urteil unter Bedingungen, die der Strafhaft ähneln, gibt es schon heute. Und wer sich über die vorgeschlagene neue Maßnahme empört, ist gut beraten, sich mit den alten, bereits praktizierten Maßnahmen auseinanderzusetzen. Anders als bei der willkürlich angewandten »Schutzhaft« der Nationalsozialisten ist das Bemerkenswerte an der Abschiebehaft und der zwangsweisen Unterbringung, dass sie rechtmäßig erfolgen, dass also der Staat schon heute Gruppen von Menschen definiert und besondere Bedingungen benennt, unter denen Menschen ihrer Freiheit umfassend beraubt werden dürfen, ohne dass sie sich etwas hätten zuschulden kommen lassen. Dieses Recht des Staates, Menschen, die nichts Verbotenes tun, die auch keine Straftaten begangen haben, die aber als »gefährlich« eingestuft werden, wegzusperren, soll mit dem neuen Instrumentarium ausgeweitet werden.

Dass die Grundrechte dieser »gefährlichen« Personen dabei berücksichtigt werden sollen und deswegen ein rechtsförmiges Verfahren ihre Beseitigung aus der Öffentlichkeit legitimieren soll, macht das Vorhaben nicht besser, sondern dokumentiert nur, dass es keine Gerechtigkeit durch Verfahren alleine geben kann.

Denn so oder so bleibt als Effekt, dass die Kandidaten für die Sicherungshaft ein Sonderopfer bringen, das weit über das an sich in dieser Gesellschaft zugemutete Maß hinaus reicht. Der Einwand übrigens, dass so eine Zwangsmaßnahme unnötig sei oder es die von Schily ins Visier genommene Gruppe erklärter Staatsfeinde gar nicht gebe, zielt am Problem weit vorbei und dokumentiert ein Unverständnis der Normen eines freiheitlichen Rechtsstaats, das Schilys Desinteresse an diesem in nichts nachsteht.