Shake and bake

Die US-Strategie im Irak

von jörn schulz

Wenn die erste Verteidigungslinie sich nicht mehr halten lässt, muss man sich auf eine besser befestigte Position zurückziehen. Diese Regel gilt nicht nur im Krieg, sondern auch beim Umgang mit brisanten Enthüllungen.

Nur zur Beleuchtung des Schlachtfelds sei weißer Phosphor (WP) beim Kampf um Falluja im November 2004 eingesetzt worden, behauptete die US-Militärführung zunächst, nachdem ein im italienischen Fernsehen gezeigter Film den Einsatz der Brandgranaten dokumentiert hatte. Doch bereits in der März-April-Ausgabe des Militärmagazins Field Artillery hatten drei Offiziere WP als »starke psychologische Waffe gegen Insurgenten in Schützengräben und Schlupfwinkeln« bezeichnet, die in Falluja bei »›shake and bake‹-Missionen« eingesetzt wurde. In der vorigen Woche räumte das Pentagon den Kampfeinsatz von WP ein, es sei aber nur auf militärische Ziele geschossen worden. Den Hubschrauberbesatzungen dürfte es jedoch schwer gefallen sein, zwischen Zivilisten und Terroristen zu unterscheiden, wenn sie bei einem Nachtangriff eine Salve von Phosphorgranaten abfeuerten.

Einmal mehr wegen ihres brutalen Vorgehens in die Kritik geraten, präsentierten sich die US-Truppen in der vergangenen Woche überraschend als »good cops«. Sie lösten ein Gefängnis in Bagdad auf und verlegten 173 überwiegend arabisch-sunnitische Häftlinge. Viele von ihnen waren unterernährt und wiesen Folterspuren auf. Aussagen von Polizisten zufolge wurde das Gefängnis von der Badr-Miliz geführt, dem bewaffneten Arm des schiitisch-islamistischen Sciri, dem auch Innenminister Bayan Jabr angehört.

Dass diese Aktion den USA dringend benötigte Sympathien bei der arabisch-sunnitischen Bevölkerung verschaffen könnte, war sicherlich ein erwünschter Effekt. Vor allem aber wächst in der US-Regierung die Furcht vor einer Warlordisierung im Staatsapparat. Der Senat hat die US-Regierung in der vergangenen Woche aufgefordert, eine Abzugsstrategie für das kommende Jahr vorzulegen. Der Aufbau irakischer Sicherheitskräfte wird deshalb eine immer dringlichere Aufgabe.

»Wir haben der irakischen Regierung klar gemacht, dass es keine Kontrolle oder Führung der irakischen Sicherheitskräfte und Ministerien durch Milizen oder Religionsgemeinschaften geben darf«, hieß es in einer Erklärung der US-Botschaft. Die Regierungsparteien haben ihre Milizionäre in Armee und Polizei integriert, und es ist fraglich, wem sie tatsächlich gehorchen. Vor allem den von den schiitischen Organisationen kontrollierten Einheiten werden immer wieder Folter und extralegale Hinrichtungen vorgeworfen. Zudem haben die Terroranschläge zur Entstehung zahlreicher lokaler Milizen geführt.

Durch eine Klarstellung gegenüber der irakischen Regierung dürfte sich der Warlordisierungsprozess nicht aufhalten lassen. Dass es Ba‘athisten und Islamisten, die sich aus einer Minderheit der arabisch-sunnitischen Minderheit rekrutieren, gelingt, den Wiederaufbau eines ganzen Landes weitgehend zu blockieren, ist nicht in erster Linie, aber auch eine Folge der brutalen Praktiken im »war on terror«. Wer in der Nachbarschaft einen terroristischen Stützpunkt entdeckt, wird zögern, dies den US-Truppen zu melden, wenn er befürchten muss, dass sein Stadtviertel dann zum Ziel einer »shake and bake«-Mission wird. Es ist jedoch unklar, ob der Einsatz gegen die Folter in Bagdad eine einzelne Goodwill-Aktion war oder die Strategie sich in einer Weise wandelt, die Winston Churchill einst so beschrieb: »Die Amerikaner finden immer die richtige Lösung. Nachdem sie alle anderen Möglichkeiten erprobt haben.«