Weltmeister im Frauenhandel

Die Kampagnen gegen Zwangsprostitution dürften den Prostituierten mehr Kontrollen anstelle von mehr Rechten bringen. von anke schwarzer

Einen Monat vor der Fußballweltmeisterschaft durchsuchten Polizeibeamte am Freitag in mehreren Bundesländern hunderte von Bordellen, Clubs, Bars und Wohnungen und kontrollierten min­destens 1 600 Personen. Etwa 100 wurden Agenturmeldungen zufolge festgenommen. Die groß angelegte Razzia habe sich gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel gerichtet, hieß es. Die Gründe für die Festnahmen von 34 Personen in Rheinland-Pfalz klingen jedoch anders. Vor allem sei es um »illegalen Aufenthalt und illegale Aufnahme einer Tätigkeit in Barbetrieben« gegangen.

Mehrere Frauenverbände nutzten in den ver­gangenen Monaten die günstige Gelegenheit, die Themen Zwangsprostitution und Frauenhandel in die Medien zu bringen, rechnen sie doch damit, dass beides durch die große Nachfrage nach käuflichem Sex während der Fußballweltmeisterschaft befördert werden wird. Die Medien sprangen darauf an, denn Sex sells. Der Stern, der Spiegel und andere Zeitschriften schilderten die schlimme Situation ausgebeuteter Frauen, referierten das ernste Interesse der Frauenverbände, setzten Barbusige im Rotlicht auf ihre Titelseiten und bebilderten die Texte mit nackten Beinen und lächelnden Gesichtern. »Hier ist nicht nur der Ball rund«, schrieb der Stern unter ein Foto, auf dem sich zwei nackte Frauen mit Pumps auf einer Decke mit Leopar­denmuster räkeln. Im Fernseher dahinter läuft ein Fußballspiel.

Terre des Femmes, der Deutsche Frauenrat und andere Initiativen riefen die Kampagnen »Abpfiff« und »Stoppt Zwangsprostitution« ins Leben. Mittlerweile gibt es auch die Kampagne »Rote Karte für Zwangsprostitution« der Europäischen Union. Die Botschaften lauten: Freier sollen nicht die Diens­te von Zwangsprostituier­ten in Anspruch nehmen. Vor und während der Weltmeisterschaft sollen Männer auf das Problem aufmerksam gemacht, über Hintergründe informiert, zum Handeln angeregt und zum Einschreiten aufgefordert werden. »Rein, raus? Sag nein zur Zwangsprostitution«, heißt das Motto.

Überspitzt formuliert, wird den Freiern nahe gelegt, sexuelle Dienstleistungen nur von fair gehandelten Frauen in Anspruch zu nehmen. In dem Faltblatt »Männer setzen Zeichen« von Terres des Femmes heißt es: »Der Kunde hat die Wahl: Fair Play im Rotlichtmilieu«. Wählt er richtig, ist alles in Ordnung.

In Broschüren erfährt man, dass niedrige Preise, schlechte Deutschkenntnisse, Spuren von Gewalt und ein besonders geringes Alter Hinweise auf Zwangsprostitution sein können. »Diese Warnsignale sind unrealistisch«, sagt Veronica Munk, die Vorsitzende von Amnesty for Women in Hamburg. Vor allem aber kritisiert sie an den Kam­pagnen, dass sie ein Bild der Prostituierten zeichneten, welches sie nur als Opfer darstelle. Die Legalisierung von Prostitution im Jahr 2002 ermögliche es Huren, als selbständige Dienstleisterinnen aufzutreten. Die Mehrheit von ihnen prostituiere sich nicht unter Zwang, sagt Munk. Auch habe sie den Eindruck, dass auf der Ebene der EU gegen Menschenhandel vorgegangen werde, indem man die Prostitution als solche einzudämmen versuche. Amnesty for Women beteiligt sich aus politischen Gründen nicht an den Kampagnen. »Sie tragen dazu bei, Prostitution zu unterdrücken und Migration zu begrenzen«, lautet Munks Fazit.

Zu Beginn der Kampagnen kursierte die Zahl von 40 000 Zwangspros­ti­tu­ier­ten, die in den zwölf Austragungs­städten der WM erwartet würden. Das Bundeskriminalamt wies wiederholt darauf hin, dass es keine Anhaltspunkte für diese Zahl gebe. Im Jahr 2003 registrierte die Behörde 1 235 Opfer von Menschenhandel, ein Jahr später 972. Die Opfer waren fast ausschließlich Frauen zwischen 15 und 25 Jahren; die meisten stammten aus Russland, Bulgarien und Rumänien. Der Anteil deutscher Frauen lag bei 13 Prozent, überdurchschnittlich viele von ihnen waren min­derjährig.

Amnesty for Women hat bislang nicht festgestellt, dass überhaupt mehr Prostituierte – ob freiwillig oder gezwungen – nach Hamburg geströmt seien. Die Expo 2000 in Hannover etwa habe gezeigt, dass zwar die Nachfrage etwas steige, aber nicht die Zahl der Prostituierten. »Manche Frauen verdienen während der WM eben mehr als ge­wöhn­lich, aber ansonsten sehe ich keine gro­ßen Veränderungen«, sagt Munk.

Nach den Informationen von Beratungsstellen sind die Puffs im Juni im Gegensatz zu sonst vollständig ausgebucht. Das heißt, Prostituierte sind dort rund um die Uhr ein­gemietet. Doch weder in Hamburg noch in Stuttgart und Köln stellen die Behörden so genannte Verrichtungsboxen auf, unter anderem deshalb, weil sie ihnen schlicht zu teuer sind.

Behshid Najafi ist langjährige Mitarbei­terin von Agisra, einer Beratungsstelle für Migrantinnen in Köln, welche die Kampagnen gegen Zwangsprostitution unterstützt. Sie hält die kursierenden Zahlen sogar für gefährlich. Es sei gut, dass über das Thema gesprochen werde. Doch wenn sich am Ende zeige, dass es vielleicht nur 100 Frauen waren, die zur Prostitution gezwungen wurden, dann heiße es wieder: »Das ist ja alles nicht so schlimm.« Das Problem sei auch, dass nur die Extremfälle an die Öffentlichkeit gelang­ten. »Frauen, die in der Prostitution arbeiten wollen, aber eben nicht unter dem gewalttätigen und extrem ausbeuterischen Diktat der Zuhälter, werden oft von der Polizei und der Justiz nicht ernst genommen, da sie es ja freiwillig machen«, kritisiert die Pädagogin.

Die Zuhälter schlagen und vergewaltigen die Zwangsprostituierten, aber das Ausländerrecht bildet die Grundlage dafür, dass diese Frauen so extrem erpressbar sind. Sta­tistiken belegen, dass vor allem Frau­en betroffen sind, die wegen ihrer Herkunft besonders schlechte Chancen haben, Visa zu bekommen. Waren es vor 15 Jahren vor allem polnische und tschechische Frauen, sind es heute, nach der Erweiterung der EU, Frauen aus der Ukraine, aus Bulgarien und aus West­afrika.

Zwar wurde in Deutschland vor einem Jahr der Tatbestand des Menschen­handels im Strafgesetz aufgenommen, doch hat Najafi zufolge noch keine Frau davon profitiert. »In Belgien haben die Frauen immerhin drei Monate Bedenkzeit, ob sie als Zeugin auftreten wollen und damit möglicherweise ihre Familie zu Hause gefährden, in Deutsch­land nur einen Monat. In Italien erhielten im letzten Jahr 8 000 Frauen ein Bleibe­recht, in Deutschland werden sie nach einem Prozess oder nach ihrer Aussage abgeschoben.« Wegen dieser rigiden Be­stimmungen und den raren Möglichkei­ten, sich legal in Deutschland aufzuhalten und zu arbeiten, sei Deutschland »ein Paradies für Menschenhandel«, sagt Najafi.

In den meisten Ländern ist Prostitu­tion verboten oder allenfalls geduldet. Viele Fans aus den USA oder Saudi-Ara­bien dürften sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Angesichts der Kampagnen gegen Zwangsprostitu­tion können Freier aus dem In- und Ausland mit gutem Gewissen zur Tat schreiten. Wer wird sich noch mit Grund­satzfragen plagen? Wen inte­ressieren die patriarchale Vergesellschaftung und die daraus resultierenden Machtgefüge und Deutungsmuster, wie etwa: »Män­ner brauchen Sex« oder »Hure und Heilige«? Die Kampagnen könnten am Ende, ungewollt oder beabsichtigt, dazu beitragen, das Verhalten der Freier zu normalisieren und zu verharmlosen.