Stören lernen

An vielen Hochschulen regt sich Protest gegen die Einführung von Studiengebühren. Rektorate werden besetzt und Straßen blockiert. von jörg kronauer

Demonstrationen, Blockaden, Besetzungen – an den deutschen Hochschulen kommt es derzeit wieder zu Protesten. Mehrere Landesregierungen führen Studiengebühren in Höhe von halbjährlich 500 Euro ein, zu zahlen vom ersten Semester an. Immer mehr Studierende, die sich das nicht leisten können oder wollen, setzen sich dagegen zur Wehr.

Die Proteste begannen in Nordrhein-Westfalen. Dort hat der Landtag im März das so genannte Gesetz zur Sicherung der Finanzierungs­gerechtigkeit im Hochschulwesen (HFGG) verabschiedet, das am 1. April in Kraft trat. Es eröffnet den Hochschulen des Landes die Möglichkeit, vom Herbst an Studiengebühren bis zu einem Betrag von 500 Euro pro Semester einzuführen. Bereits im Februar hatten Studierende in Bielefeld und Paderborn mit Rektoratsbesetzungen dagegen protestiert. Nach den Ferien ging es weiter. Auch in Bochum, Köln, Duis­burg und Siegen wurden Rektorate besetzt. Drei davon ließen die Hochschulleitungen gewaltsam von der Polizei räumen, nur in Siegen dauerte die Aktion bei Redak­tions­schluss noch an.

Während die Proteste in Nordrhein-Westfalen auf andere Art weitergeführt werden, beginnen sich auch in Hessen Studierende zu wehren. Dort hat die Landesregierung einen Gesetzentwurf erarbeitet, der im September im Landtag beraten werden soll. Den Planungen zufolge könnten Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester ab Herbst 2007 erhoben werden. Vollversammlungen an den Hochschulen werden derzeit so zahlreich besucht wie seit Jahren nicht mehr, an der Fachhochschule Fulda nahmen fast 40 Prozent aller eingeschriebenen Studierenden daran teil. In Marburg wurde im Anschluss an eine Vollversammlung und eine Demonstration für eineinhalb Stunden die Stadt­autobahn besetzt.

Die bislang größte Aktion fand in Frankfurt statt. Dort demonstrierten in der vergangenen Woche rund 6 000 Studierende gegen die Pläne der Landesregierung. Größere Polizeieinsätze gegen die Protestierenden sind in Hessen zwar bislang ausgeblieben, doch werden dort die Räumungsmaßnahmen der Polizei in Nordrhein-Westfalen aufmerksam wahrgenommen. »Da wächst die Solidarität, aber auch die Wut«, berichtet Amin Benaissa, der Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren, der Jungle World. Die Frankfurter Studierenden knüpfen inzwischen Kontakte zu Gewerkschaften, um sie für eine Beteiligung an den Protesten zu gewinnen.

Die hessischen Pläne gelten aus zwei Gründen als besonders skandalös. Der erste Grund ist folgen­der: Der Artikel 59 der Landesverfassung sichert eigentlich ein gebührenfreies Studium zu. Dank bemerkenswerter Flexibilität im Umgang mit Grundrechten hat es ein Gutachter der Landesregierung geschafft, die an­geb­liche Rechtmäßigkeit hoher Studiengebühren zu begründen. Noch fieser ist ein zweites Element des hessischen Konzepts. Demnach wird es den Hochschulen des Landes freigestellt, Stu­dierende aus Ländern außerhalb der Europäischen Union in besonderem Maße zu schröpfen. Studiengebühren in dreifacher Höhe, 1 500 Euro im Semester, sollen die Verwaltungen von ihnen kassieren dürfen.

Die Kunst, auf Fragen passende Antworten zu geben, ist im hessischen Wissenschaftsministerium nicht besonders weit entwickelt. Wie begründet das Haus, dass die hessischen Hochschulen in Zukunft Menschen, die nicht aus der EU kommen, dreimal so stark wie Deutsche belasten dürfen? »Sehen Sie, das EU-Recht verlangt, dass wir Ausländer aus EU-Staaten gleich behandeln«, erläutert der zuständige Ministerialbeamte. Verpflichtet das EU-Recht denn dazu, Ausländer, die nicht aus der EU sind, einer speziellen Behandlung zu unterziehen? »Nein, das nicht.« Welche Ziele verfolgt das Ministerium mit der Spezialgebühr denn dann? »Manche Studiengänge sind besonders teuer, etwa das Musikstudium«, teilt der Staatsbedienstete mit. »Gerade an der Frankfurter Musikhochschule studieren viele Ausländer aus Nicht-EU-Staaten.«

Unter den Protestierenden stößt die Sondergebühr für Kommilitonen aus Nicht-EU-Staaten auf scharfen Protest. »Das ist eindeutig rassistisch«, verurteilt Benaissa den Vorschlag des hessischen Wissenschaftsministers Udo Corts (CDU). Die hessische Variante der globalen Umverteilung ruft auch im Deutschen Studentenwerk empörte Reaktionen hervor. »Das ist absolut kontraproduktiv«, sagt Pressesprecher Stefan Grob und verweist auf eine nur wenige Mona­te alte Untersuchung seiner Institution. Demnach haben deutsche Studierende im Durchschnitt 770 Euro im Monat zur Verfügung, ihre Kommilitoninnen und Kommili­tonen aus Entwicklungs- und Schwellenländern aber gerade mal 600 Euro. Fast zwei Drittel von ihnen müssen jetzt bereits einer Arbeit nachgehen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Da das deutsche Ausländerrecht ihre Erwerbsmöglichkeiten zusätzlich einschränkt, könnten die hessischen Studiengebühren für viele von ihnen das vorzeitige Ende des Studiums bedeuten.

Ob es der hessischen Landesregierung gelingen wird, die Protestierenden gegeneinander auszuspielen und Studierende aus ärmeren Staaten zu isolieren, ist noch nicht entschieden. Fredrik Dehnerdt, ein Student, der der Offenen Gruppe an der Universität Hamburg angehört, warnt davor, sich gegeneinander ausspielen zu lassen. »Schü­ler, Studenten, prekär Beschäftigte und Gewerkschafter müssen vielmehr gemeinsam auf die Straße gehen«, sagt er und berichtet von den Hamburger Ak­tio­nen der vergangenen Woche. Dort wurden am Mittwoch Barrikaden rings um das Hauptgebäude der Universität errichtet, rund 1 000 Schüler und Studierende legten gemeinsam zeitweise den Verkehr lahm. Danach besetzten rund 100 Studierende die Wissenschaftsbehörde. Wissen­schaftssenator Jörg Dräger (parteilos) ließ sie von der Polizei räumen und stellte Strafanzeige gegen rund 60 Personen.

Fredrik Dehnerdt übt scharfe Kritik an dem Vorgehen. »Hausrecht ersetzt keine inhaltliche Diskussion«, sagt er. Großen Wert legen die Stu­dierenden darauf, dass ihre Aktionen vollkommen friedlich verlaufen. Dass jedoch Hochschul­leitungen und Wissenschaftsbehörden immer öfter Gewalt einsetzen, um sich die Proteste vom Hals zu schaffen, ruft wachsenden Unmut hervor. Eine Vollversammlung in Hamburg hat ihre Solidarität mit den Studierenden erklärt, die der Wissenschaftssenator mit einem Strafverfahren einschüchtern will, und Dräger zum Rücktritt aufgefordert. »Das war der Auftakt für einen heißen Protestsommer«, meint eine Studentin und sinniert darüber, warum die Argumente der Protestierenden ignoriert werden. »Vielleicht brauchen wir eine neue Radikalität«, sagt sie. Doch Radikalität gilt derzeit bei vielen Studierenden noch als Unwort. Die Repressa­lien, mit denen sie zum Schweigen gebracht werden, könnten diese Ansicht verändern.