Belehrungen für den großen Satan

Der iranische Präsident Ahmadinejad hat einen Brief an George W. Bush geschrieben. Darin prophezeit er den Niedergang des Liberalismus. von martin schwarz, wien

Es gab keine Pressekonferenz und kein offiziel­les Statement. Als UN-Generalsekretär Kofi Annan am Donnerstag der vergangenen Woche die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) besuchte, wurden die wirklich problematischen Themen unter Ausschluss der Öffentlichkeit angesprochen. Mit Mohammed al-Baradei, dem Generaldirektor der IAEA, wollte sich Kofi Annan wegen der schwelenden Atomkrise mit dem Iran abstimmen und nur nebenbei den Lateinamerika-Gipfel der Europäischen Union in Wien besuchen.

Eines mahnte Annan, leise zwar, aber immerhin unmissverständlich an. Der Streit um das iranische Nuklearprogramm ist in eine Phase getreten, in der weder der UN-Sicherheitsrat noch die Atomenergiebehörde die Entwicklung wesentlich beeinflussen können. »Ich habe sowohl in persönlichen Kontakten mit der amerikanischen Regierung als auch öffentlich sehr klar gesagt, dass ich es für wichtig halte, dass die USA an den Tisch kommen und sich wie die europäischen Staaten und der Iran daran beteiligen, eine Lösung zu finden«, sagte Annan in Wien. Denn alleine mit den Europäern zu verhandeln, sei dem Iran zu wenig.

Tatsächlich hat man im Iran ein recht eindeutiges Bild über die Gewichtung der Kräfte zwischen den USA und den europäischen Machtzentralen. Die Europäer könnten zwar verhandeln, aber jedem Verhandlungsergebnis müsse doch erst die US-Regierung zustimmen, bevor es verbindlich werde. Die Analyse ist nicht grundlegend falsch, zeigt aber vor allem, worauf es dem iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad tatsächlich ankommt: auf die Anerkennung des Islamischen Republik durch die USA und die Bestätigung der Führungsrolle des Iran in der Golfregion.

Das Atomprogramm ist für das iranische Regime ein Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Und deshalb lehnt es seit geraumer Zeit jeden neuen Vorschlag zur Beendigung des Disputs ab. Bereits in dieser Woche sollen Deutschland, Frankreich und Großbritannien dem Iran neue Vorschläge machen, die über ein ähnliches Maßnahmenpaket aus dem Vorjahr hinausgehen. So soll der Iran etwa in die Welthandelsorganisation WTO aufgenommen werden und die Erlaubnis erhalten, Ersatzteile für Flugzeuge zu beschaffen. Im Gegenzug aber müsste das islamistische Regime alle Ver­suche zur Anreicherung von Uran stoppen. »Wenn der Iran unsere Vorschläge nicht annimmt, sind wir auch gewillt, mit stren­gen Maßnahmen zu antworten. Aber es wäre dumm, wenn wir unsere Hand nicht ausstrecken würden«, sagte der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy.

Das Problem scheint jedoch zu sein, dass der iranische Präsident gar keinen Wert auf ein Angebot aus Europa legt. Klar gemacht hat das sein Außenminister Manouchehr Mottaki, der am Samstag am Rande eines Gipfeltreffens von acht großen islamischen Staaten auf der indonesischen Insel Bali feststellte, dass für die neuen europäischen Vorschläge schlicht die Verhandlungsgrundlage fehle: »Anreize sind für den Iran nicht im Geringsten von Interesse, es sei denn, sie beinhalten die Anerkennung des Rechts auf die Nutzung der Atomtechnologie«, sagte der Minister. Auch auf die Uran­anreicherung, die Schlüsseltechnologie für den Bau von Atombomben, will Mottaki nicht verzichten. Damit schloss er die Kom­promisslösung aus, die Brennstäbe für Atom­kraftwerke aus Russland zu beziehen und nach Gebrauch dort wieder abzuliefern. Dies hät­te dem Iran die Nutzung der Atomenergie er­mög­licht, die Urananreicherung aber beendet.

Für die Europäer ist es ein Desaster, dass Mot­taki ihre Vorschläge verwarf, noch bevor sie offiziell vorgelegt werden konnten. Sie dürfen nicht mit immer neuen Vorschlägen und Annäherungsversuchen Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen lassen, notfalls auch militärisch einzuschreiten, wenn der Iran weiter an seinem Nuklearprogramm arbeitet. Doch wo­rüber soll die Troika noch verhandeln, wenn die Iraner schon vor den Verhandlungen Zugeständnisse ablehnen?

Ahmadinejad bekräftigte am Sonntag noch einmal, es komme nicht in Frage, »auf unsere Rechte zu verzichten«. Ihn gelüstet es offensichtlich nach Grundsätzlicherem. Mit seinem Brief an den US-Präsidenten George W. Bush, der in der vorigen Woche veröffentlicht wurde, folgt er dem Vorbild des Paten der Islamischen Republik, Ayatollah Khomeini, der im Januar 1989 ein ähnliches Schreiben an den damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow richtete. Damals prophezeite Khomeini einen raschen Untergang des Kommunismus und des Sowjetimperiums. »Ich möchte Ihnen vorschlagen, den Koran zu lesen. Nicht weil die Muslime oder der Islam Sie brauchen würden, sondern weil der Islam universelle Werte verkörpert, die (…) die fundamentalen Probleme der Menschheit lösen können.« Ahmadinejad schreibt Bush: »Der Liberalismus und die westliche Demokratie haben nicht dazu beigetragen, die Ideale der Menschheit zu verwirklichen.« Er prophezeit, dass der Islam die nächs­te Epoche der Menschheit prägen und nach dem Kommunismus auch den Liberalismus verdrän­gen wird.

Auf insgesamt 18 Seiten philosophiert der iranische Präsident über die Werte des Okzident und des Orient und über den Islam und den Westen. Über das Atomprogramm und ähnliche eher banale Fragen des technologischen Fortschritts aber äußert er sich nur am Rande. Die ideologische Grundsatzerklärung soll der iranischen Bevölkerung und den Muslimen in anderen Ländern zu verstehen geben, dass sich da einer auf gleicher Höhe mit dem anderen großen Führer der Welt unterhält und ihm eine tiefschürfende Wertediskussion aufzuhalsen wünscht.

In dieser neu konstruierten bipolaren Welt steht Ahmadinejad als Vertreter einer strahlenden islamischen Zukunft George W. Bush gegenüber, dem Herrscher über ein verfallendes Imperium. Der Machthaber im Iran erneuert so seinen Führungsanspruch in der Umma, der islamischen Gemeinschaft. Und er hofft vermut­lich, auch die Unzufriedenen im eigenen Land besänftigen zu können. Doch Umfragen zufolge ist eine Mehrheit der Iraner gegen das Atom­programm, wenn es zu einer militärischen Kon­frontation führe.

George W. Bush gedenkt nicht, ein offizielles Antwortschreiben zu verfassen, und lehnt direkte bilaterale Verhandlungen bislang ab. Es muss ihm zutiefst zuwider sein, seine Unterhändler in den Iran zu schicken. Schließlich würde das einer Anerkennung des islamistischen Regimes gleichkommen. Doch die instabile Lage im Irak hat bereits eine Abkehr von der grundsätzlichen Ablehnung jeglicher Kontakte erzwungen. Weil der Iran großen Einfluss auf die im Irak lebenden Schi­iten hat und das schiitische Establishement die einflussreichste politische Gruppierung ist, bedarf es iranischer Unterstützung, um den Irak zu stabilisieren. Und genau darüber werden sich Unterhändler aus dem Iran und den USA in den nächsten Wochen bei schon vereinbarten Gesprächen unterhalten.