Bellende Hunde beißen

Die Gang ist ein Rudel und kennt keine Gnade: Nick Cassavetes’ Film »Alpha Dog« hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. von markus ströhlein

Zack (Anton Yelchin) steht vor seinem eigenen Grab. Nur wenige Stunden vorher hat der Teenager noch die beste Zeit seines Lebens verbracht. Er hat seinen ersten Rausch genossen, hat seine erste Nacht mit einem, besser gesagt mit zwei Mädchen erlebt. Und er hat geglaubt, neue Freunde gefunden zu haben. Doch diese Freunde sind seine Mörder. Sie haben Zack eine Grube geschaufelt. Sie knebeln den um sein Leben Flehenden. Die einzige Gnade, die sie ihm gewähren, besteht darin, ihn nicht mit einer Schaufel zu erschlagen. Schließlich erschießen sie Zack.

Es hätte anders kommen können. Am Anfang des Films »Alpha Dog« führt Zack das gewöhnliche Leben eines 15jährigen, sitzt beim Abendessen mit seinen Eltern am Tisch und langweilt sich. Seine Mörder kennen ihn noch nicht. Sie verbringen ihre Zeit im Haus des Kleinkriminellen Johnny Truelove (Emile Hirsch) im noblen San Gabriel Valley in Los Angeles. Die jungen Männer und jungen Frauen kommen aus gut betuchten Familien, bemühen sich jedoch, ihren Vorbildern aus Gangsterfilmen und dem HipHop nachzueifern. Mit den Drogen, die Truelove verkauft, hält er seinen kleinen Hofstaat bei Laune. Dafür hilft ihm die Gang bei der Arbeit.

Am Rand dieser Kifferidylle aus »Abhängen«, Videospielen, Bongrauchen und dem gelegentlichen Verkauf von Gras bahnt sich ein Konflikt an. Jack Mazursky (Ben Foster), ein aufbrausender, drogensüchtiger und erfolgloser Kleingangster, schuldet Truelove einige hundert Dollar. Es gibt keine Nachsicht für den Schuldner. Dieser verwüstet in der Nacht wutentbrannt Trueloves Haus.

Trueloves Gang entführt daraufhin kurzerhand Mazurskys kleinen Bruder, Zack. Zunächst mutet dieser Racheakt nicht wie eine Entführung an: Zack soll nur so lange in der Hand der Gang bleiben, bis sein Bruder seine Schulden bezahlt hat. Ihre Mitglieder behandeln ihn nicht wie einen Gefangenen, sondern wie einen der ihren. Sie geben ihm seinen ersten Joint, nehmen ihn mit zu Parties und machen ihn mit hübschen Frauen bekannt. Und in Frank (Justin Timberlake), Trueloves engstem Vertrauten, findet Zack scheinbar sogar einen Freund. Der Teenager lässt es sich gefallen. Alles ist besser als die Langeweile im Elternhaus.

Zacks Mutter schaltet indes die Polizei ein. Aus dem Böse-Buben-Streich wird so eine schwere Straftat: Kindesentführung. Truelove sieht sich vor der Wahl, entweder wegen der Entführung gefasst zu werden oder aber den Entführten zu töten. Er beauftragt schließlich Elvis damit, den Jungen »verschwinden« zu lassen. Der Auftragsmörder ist das schwächste Mitglied der Gang, das Ziel von Hänseleien und Herabwürdigungen. Umso gnadenloser führt er den Befehl aus, mit dessen Erfüllung er den Beweis seiner Loyalität erbringen und in der Rangordnung der Gruppe aufsteigen könnte. Zusammen mit Frank, der im entscheidenden Moment lieber gehorcht, als sich weiterhin schützend und fürsorglich vor Zack zu stellen, und einem weiteren Jungen bringt Elvis die Geisel um.

Es hätte wie erwähnt anders kommen können. Das Quälende und Unentrinnbare der Hinrichtungsszene kann man am Beginn des Films noch nicht einmal erahnen. Der Regisseur Nick Cassavetes lässt sich Zeit, gibt der Handlung zunächst nur eine vage Richtung. Über eine lange Strecke erscheint der zweistündige Film beinahe richtungslos. Er könnte ein Teenager-Drama sein, aber auch eine Teenager-Komödie, eine filmische Sozial­studie oder ein True-Crime-Thriller. Dass Cassavetes in der ersten Stunde von »Alpha Dog« den Eindruck erweckt, ziellos draufloszufilmen, erweist sich letztlich als dramaturgisch dienlich, ob Zufall oder Absicht. Der Gegensatz zwischen der langen, zwanglosen Einführung und der zentralen Szene, in der Zack mit erschreckender Zwangsläufigkeit umgebracht wird, verleiht diesem unmenschlichen Akt etwas Erschütterndes und Beklemmendes, das man im Kino selten erlebt. An diese Szene erinnert man sich.

Das mag aber auch daran liegen, dass dem Film der Hauch des Authentischen anhaftet. Dem Plot liegt ein echter Kriminalfall zugrunde, der in den USA erst noch verhandelt werden muss. So ist Cassavetes denn auch bedacht, ein möglichst hohes Maß an Realismus zu erzeugen. Die digitalen Handkameras liefern grobkörnige, teils verwackelte Bilder. Die Darsteller pflegen einen derben Jugendslang. Die Shirts sind weit, die Hosen hängen tief, wie man es eben von Leuten kennt, die dem HipHop auch modisch verhaftet sind. Glücklicherweise bricht Cassavetes in der Szene des Mordes mit diesem Realismus. Er entgeht der Falle des Exploitativen und Voyeuristischen. Zu stark stilisiert und zu kammerspielartig sind diese fünf Minuten, als dass der wohlige Grusel des »Echten« aufkommen könnte.

Es ist dem Regisseur aber sehr wohl daran gelegen, »echte« Verhältnisse darzustellen. So hat er sich nach eigenen Angaben zum Ziel gesetzt, einen »sehr realen Blick auf die zeitgenössische Jugendkultur« zu bieten. Eine Kritik sozialer Verhältnisse gelingt ihm dabei nur in geringem Maß. Er wendet große Mühen auf, um Truelove und seine Gang als dekadente Mittelklassegören zu zeigen, deren einzige Arbeit darin besteht, den Swimmingpool der Eltern zu säubern, um ihn anschließend wieder im Zuge ausgelassener Parties zu verdrecken. Dass vom Wohlstand saturierte, verwöhnte Menschen nur auf dumme Gedanken kommen können, ist eine abgeschmackte Erkenntnis, die ansonsten nur so genannte Kulturkritiker verbreiten. Und warum die Figur Jack Mazursky als mit Hakenkreuzen tätowierter, psychopathischer Jude durch die Szenen toben muss, wird wohl Cassavetes’ Geheimnis bleiben.

Überzeugend ist hingegen der Blick des Regisseurs auf die Gang. Wie der Filmtitel nahe legt, herrscht in ihr die Hierarchie des »Rudels«. Der Anführer, Johnny Truelove, der »Alpha Dog«, hat in letzter, schrecklicher Konsequenz das Sagen. Cassavetes erklärt aber nicht etwa mit dem Verweis auf das »Rudel« zwischenmenschliche Beziehungen zu biologischen. Die scheinbaren Vorzüge dieses Systems der direkten Abhängigkeit, die Drogen, die Parties, das Geld, müssen sich die Mitglieder mit ihrem Gehorsam und mit ihrer Unterordnung unter den Willen des Anführers erkaufen. Die Gang und somit auch sich selbst zu erhalten, mündet in die Unmenschlichkeit. Die Ordnung des Rudels ist tödlich.

»Alpha Dog« (USA 2006). Regie: Nick Cassavetes. Start: 22. März