»Diese Psychopathen lassen sich nicht besänftigen«

Nick Cohen, Kolumnist des britischen »Observer«

Bis zur großen Antikriegsdemonstration in London im Jahr 2003 war Nick Cohen über­­zeug­ter Linker. Noch im Januar 2002 erklärte er, dass die einseitige US-amerika­ni­sche Außenpolitik Anlass biete, antiameri­kanisch zu werden. Nachdem sich die Stop the War Coalition m2it Islamis­ten solidari­sierte, wurde er zum Befürwor­ter des Irak-Kriegs und war einer der ersten Unterzeich­ner des Euston Manifesto. Cohen ist Journalist und Autor. Zuletzt ver­öffent­lichte er das Buch »What’s Left?«, in dem er der Linken vorwirft, den Widerstand gegen den Faschismus aufgegeben zu haben. Nick Cohen lebt in London.

interview: doris Akrap

Die Anschläge von London und Glasgow werden in den meisten Stellungnahmen in ­einen Zusammenhang mit dem Krieg im Irak gestellt. Wird der islamistische Terror aufhören, wenn sich die Briten aus dem Irak zurückziehen?

Nein. Auf gar keinen Fall. Die Anschläge der islamistischen Gruppierungen wurden geplant, lange bevor wir in den Irak gegangen sind. Diese Attentate werden uns das ganze Leben lang begleiten.

Sie würden also Hassan Butt zustimmen, einem ehemaligen Mitglied der in Großbritannien agierenden islamistischen Gruppe Al-Muhajiroun, der anlässlich der Anschläge erklärte, der wahre Grund für die Gewalt sei nicht die britische Außenpolitik, sondern die islamistische Theologie?

Tatsächlich versteht man die hiesige Situation der jihadistischen Bewegung nur, wenn man deren Entwicklung seit den neunziger Jahren betrachtet. Für islamistische Gruppen wie Hizb ut-Tahrir waren die Fehler der britischen Regierung während des Bosnien-Kriegs eine Steilvorlage. Ihren Jihadismus legitimierten sie mit dem Vorwurf, die Briten hätten bloß zugeguckt, wie die Muslime abgeschlachtet werden. Heute ist die Legitimation des Jihadismus, dass die Briten in Afghanistan und im Irak intervenieren.

Die Autobombe in London sollte vor einem Nachtclub hochgehen, in dem eine ladies night stattfand. Wir wissen von den »Kunstdünger-Bombern«, die kürzlich wegen terroristischer Ver­schwörung verurteilt wurden, dass sie schon vor etlichen Jahren einen Anschlag auf den berühmten Nachtclub »The Ministry of Sound« geplant hatten. Der Verurteilte Jawad Akbar sagte damals, die Opfer seien keine Unschuldigen gewesen, denn es seien ja nur herumtanzende Flittchen. Es ist also egal, welche Politik die Briten betreiben. Es wäre auch egal, wenn man den Frauen verbieten würde, in Nachtclubs zu gehen, oder Salman Rush­die nicht zum Ritter schlagen würde. Diese Psychopathen lassen sich nicht besänftigen.

Ist es trotzdem denkbar, dass sich die Spekulationen, die neue Regierung werde sich aus dem Irak zurückziehen, bewahrheiten?

Die Regierung ist nach den Anschlägen erstaunlich ruhig geblieben. Unter Tony Blair hatten wir dieses würdelose Spektakel von Ministern, die so­fort ins Parlament rannten und neue Gesetze erließen. Ein großes Lob für die neue Innenministe­rin Jacqui Smith, die angekündigt hat, keine über­eilten Maßnahmen zu ergreifen. Zwar signalisiert Gordon Brown, dass er keine so enge Beziehung zu George W. Bush pflegen wird, wie es sein Amts­vorgänger tat. Ich glaube aber nicht, dass Brown die Truppen aus dem Irak abziehen wird. Den Hass und die mittelalterlichen Verschwörungstheorien der extremen Rechten wird es trotzdem nicht mildern, wenn sich Brown weniger proame­rikanisch verhält als Blair.

Großbritannien ist ein Land mit sehr restriktiven Sicherheitsgesetzen …

Machen Sie sich nicht lächerlich! Das stimmt nicht. Wir sind ein sehr freies Land.

Sie selbst haben doch vor zwei Jahren strikt gegen die geplante Einführung der »identity cards« und gegen die Bestrafung von »anti­sozialem Verhalten« protestiert.

Ja, das stimmt. Dagegen bin ich immer noch. Das praktische Argument gegen die »identity cards« ist, dass deren Einführung ungefähr 30 Milliarden Euro kosten würde; Geld, das besser in die Schulung von Polizeioffizieren gesteckt werden sollte. Das wäre eine intelligente Sicherheitsmaß­nah­me. Mein Argument ist ganz einfach, dass ich diese Karten nicht mag, weil sie sehr unenglisch sind. Es entspricht einfach nicht unserem Rechtsverständnis, dessen unveränderliche Grund­lage es ist, dass man erst in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt werden darf, wenn man gegen Gesetze verstoßen hat.

Konsequent sind die Briten da aber nicht, schließlich ist Großbritannien doch das Pionierland der flächendeckenden Videoüber­wachung, die offensichtlich jedoch nicht vor den islamistischen Attentätern schützen kann.

Das stimmt. Hier gilt nach wie vor eine liberale Asylgesetzgebung, so dass viele Islamisten, die in den neunziger Jahren vor der Verfolgung im Mittleren Osten flüchteten, hierherkommen und große Netzwerke aufbauen. Dazu kommt, dass viele britische Muslime aus Pakistan stammen; fahren sie dorthin, um ihre Familien zu besuchen, kommen sie mit jihadistischer Ideologie zurück. Außerdem gibt es eine weltweite faschistische Bewegung von den Philippinen bis Kanada, die auch in unserem Land ihre Spuren hinter­lässt.

Würden Sie sagen, es gibt eine faschistische Subkultur in Großbritannien?

Überall in der islamischen Welt findet man die klassischen Elemente des Faschismus, Homophobie, Rassismus, Verschwörungstheorien. Der islamische Faschismus ist zwar anders als der europäische Faschismus. Aber die Grundlage, die Verschwörungstheorie gegen die Freimaurer, ist das Kennzeichen aller rechten Bewegungen, ob in der Reaktion auf die Französische Revolu­tion, ob im zaristischen Reich, unter Hitler, Franco oder Mussolini, und findet sich auch auf den unterschiedlichsten islamistischen Webpages. Ich habe kein Problem damit, diese gegenwärtige psychopathische Bewegung »islamischen Faschismus« zu nennen.

Wenn der Fall so klar ist, woran liegt es dann, dass es keine antifaschistische Linke gibt, die sich gegen die islamistische Bewegung wendet?

Wenn Sie heute an einer europäischen Universität vor aufgeklärten Linken fordern, Frauen im Iran sollten dieselben Rechte haben wie Frauen in Berlin, wäre ich nicht überrascht, wenn Sie zu hören bekämen, dass das eine kulturimperialistische Po­sition sei. Ich selbst war früher Sozialist und Kriegs­gegner. Vor der großen Antikriegsdemonstration in London 2003 dachte ich, dass meine Genossen in alter Tradition die Sozialisten und Feministinnen im Irak unterstützen würden. Aber nichts da! Man machte mit den Islamis­ten gemein­same Sache. Da wurde mir bewusst, in welcher tie­fen Krise sich das linke Denken befindet. Leute der radikalen Linken übernehmen Positionen der radi­kalen Rechten, solidarisieren sich mit Bewegungen und Ideen, die in der Vergangenheit tabu wa­ren. Die Linke hat im 20. Jahr­hundert die großen Kämpfe um die Gleichberech­tigung der Frauen, gegen den Rassismus und die Homophobie gewonnen. Aber sie schleppt als Erbe mit sich herum, dass es rassistisch sei, andere Kulturen zu kritisieren, und seien sie noch so autoritär. Die Linke befindet sich damit in einem großen Schlamassel.

Was wäre denn eine wirklich linke Strategie, um die islamistische Ideologie zu bekämpfen und dabei nicht gänzlich zum Liberalen zu werden?

Die liberale Kultur in Europa ist überhaupt nicht mehr liberal, sie ist heuchlerisch. Es ist heute schwer zu definieren, was es überhaupt bedeutet, links zu sein. Solange man antiamerikanisch und antiwestlich ist, gilt man als links, egal wie man ansonsten zu gesellschaftlichen Problemen wie Frauenrechten, Demokratie oder kapitalistischer Ausbeutung steht. Heute muss man keine Gesellschaftskritik mehr formulieren, sondern nur die richtigen Bücher von Noam Chomsky oder Michael Moore im Schrank stehen haben, um sich einen Linken nennen zu können. Links zu sein, hat heute mehr mit Konsum als mit Kritik zu tun.