Ein Fall für die Gedenkprofis

Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) hat ein neues Gedenkstättenkonzept vorgelegt. Der Entwurf, der die Opfer des nationalsozialistischen Regimes und des DDR-Regimes gleichsetzt, könnte eine Mehrheit im Bundestag bekommen. von ron steinke

Am Ende seiner in mehreren Sprachen gehaltenen Rede hob Pieter Dietz de Loos noch zu einer Passage an, die er nur auf Deutsch vortrug. Der Präsident des Internationalen Lagerkomitees Dachau (CID) schilderte im Frühjahr bei der Gedenkveranstaltung zum 62. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers die desolate finanzielle Situation der Gedenkstätte. Für die rund 800 000 Besucherinnen und Besucher pro Jahr seien nur sechseinhalb Personalstellen vorhanden, die Einstellung neuer Mitarbeiter sei nicht möglich, und in der nahe gelegenen KZ-Gedenkstätte Flossenbürg würden sogar Mitarbeiter entlassen.

Die Bundesregierung hatte zwar bereits in ihrem »Gedenkstättenkonzept« aus dem Jahr 1999 versprochen, die Situation der dringend sanierungsbedürftigen Gedenkstätte in Dachau »real zu verbessern«. Die Finanzierung dieses Versprechens überließ der damalige Kulturstaatsminister Michael Naumann (SPD) aber im Wesentlichen dem Freistaat Bayern. Als Loos sich kürzlich an den Freistaat wandte und im Namen des CID klar­stellte, dass man ohne neue Fördermittel bald in die äußerst unangenehme Situa­tion kommen werde, zur Erhaltung der Gedenkstätte Eintrittsgeld verlangen zu müssen, beließen es die bayerischen Behörden dabei, ihr Wohlwollen gegenüber diesem »Vorschlag« auszudrücken. Neue Fördermittel wird es von ihnen nicht geben.

Vielleicht liegt es auch an dieser Erfahrung, dass Loos im Gespräch mit der Jungle World die Frage stellt, ob die Förderung der KZ-Gedenk­stätten nicht besser bei der EU aufgehoben wäre.

Derweil aber kommen neue Beteuerungen aus Berlin. Merkels Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) hat kürzlich einen »Diskussionsentwurf« für ein neues Gedenkstättenkonzept vorgelegt. Damit will der Bund unter anderem alte Versprechen einlösen. Die ehemaligen Kon­zen­­trationslager in Dachau, Bergen-Belsen, Hamburg-Neuengamme und Flossenbürg sollen künftig in die dauerhafte Förderung des Bundes aufgenommen werden. Die Höhe der Zuschüsse lässt Neumann noch offen.

Das neue Konzept könnte den genannten Gedenk­stätten, deren Finanzierung seit Jahren als unzulänglich kritisiert wird, möglicherweise ein wenig Entspannung bringen. Der Arbeitskreis der KZ-Gedenkstätten bemängelt jedoch, dass dies um den Preis eines »erinnerungspolitischen Paradigmenwechsels« geschehen könne. Denn der Kulturstaatsminister plant, die staatlich geförderten NS-Gedenkstätten künftig in ein neues Gesamtkonzept des Gedenkens an »beide Diktaturen auf deutschem Boden« einzugliedern. Darin sollen neu zu schaffende Gedenkstätten für das von der DDR begangene Unrecht, wie etwa das frühere Gefängnis des KGB in der Potsdamer Leistikowstraße, auf einer Stufe neben KZ-Gedenkstätten stehen. »Diese geschichtliche Vermengung ist völlig inakzeptabel«, kritisiert Loos.

In dem Entwurf des Kulturstaatsministers heißt es dazu: »So wie die Erfahrung mit der Schreckens­herrschaft des Nationalsozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg die demokratischen Parteien im antitotalitären Grundkonsens verband, verbindet sie heute auch das Wissen um das Gesche­hen in der SED-Diktatur.« Will sagen: Der Konsens ist in beiden Fällen der gleiche, das »Totalitäre« auch. Neumann schickt zwar ein Bekenntnis vorweg: »Die Erinnerung an die NS-Terrorherrschaft wird durch das Wissen um die Singularität des Holocaust bestimmt.« Andererseits jedoch: »Parallel dazu ist es die Aufgabe von Staat und Gesellschaft, an das Unrecht der SED-Diktatur zu erinnern und so das Gedenken an die Opfer des Kommunismus in Deutschland zu bewahren.«

Die Veröffentlichung des »Diskussionsentwurfs« für ein neues Gedenkstättenkonzept wurde vom Kulturstaatsminister um ein halbes Jahr länger hinausgezögert, als ursprünglich angekündigt war – aber anscheinend nur, um ein wenig die Spannung zu steigern. Denn das Konzept ist inhaltlich keineswegs neu. Es deckt sich weitgehend mit einem Entwurf der CDU aus dem Jahr 2004, den Neumann damals gemeinsam mit anderen Unionsabgeordneten wie etwa Günter Nooke und Peter Gauweiler veröffentlichte. Die damaligen Oppositionsabgeordneten zogen ihren Entwurf zunächst zweimal zurück: einmal während der Hohmann-Debatte und einmal während des Streits um ein sächsisches Gedenkstättengesetz. Schließlich brachten sie ihr Konzept im Juni 2004 in den Bundestag ein. Gleichzeitig veröffentlichten sie es damals in der Welt als »Plädoyer für eine Neukonzeption unserer nationalen Erinnerung«. Der Titel lautet: »An beide Diktaturen erinnern.«

In dem »Plädoyer« erscheint der NS-Staat vor allen Dingen als die erste von zwei Diktaturen, unter denen »die Deutschen« im 20. Jahrhundert zu leiden gehabt hätten. »Beide Diktaturen standen jeweils auf ihre Weise einem demokratischen Rechtsstaat diametral entgegen und bekämpften diesen«, heißt es zur Begründung für »offenkundige Zusammenhänge«. Die unterschwellige Gleichsetzung der DDR mit Hitler-Deutschland, der SED mit der NSDAP, der Konsequenzen des 8. Mai 1945 mit seinen Ursachen unter dem begrifflichen Dach der »zwei Diktaturen« hat heute, drei Jahre und einen Regierungswechsel später, gute Chancen, eine Mehrheit im Bundestag zu bekommen.

Denn aus der SPD ist in dieser Hinsicht kein Widerspruch zu hören. Der Vizepräsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse (SPD), und die Sprecherin der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der SPD-Bundestagsfraktion, Monika Griefahn, nannten Neumanns geplantes Gedenkstättenkonzept einen »interessanten Dis­kus­sions­beitrag«. Sie kritisierten zwar, dass die Arbeit der Birthler-Behörde in absehbarer Zeit von den Archiven der Länder und des Bundes übernommen werden soll. Ihr grundsätzliches Einverständnis mit dem Geschichtsbild Neumanns hat die SPD jedoch bereits im Koalitionsvertrag festgehalten. Dort wird für die Gedenkpolitik, kurz und bündig, das »Ziel der angemessenen Berücksichtigung der beiden Diktaturen in Deutschland« genannt.

Die Kritik an diesen Bemühungen um eine einheitliche Totalitarismusgeschichte Deutschlands ist derzeit vor allem den Leitern der Gedenkstätten selbst und dem Zentralrat der Juden überlassen. Dessen Vizepräsident, Salomon Korn, erklärte: »Die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist eine wichtige Aufgabe, aber jeder Versuch einer Parallelsetzung mit der NS-Diktatur, und sei es nur eine missverständlich verbale, muss der Wahr­heit und Wahrhaftigkeit wegen unterbleiben«. Der Chefredakteur der Welt, Thomas Schmid, lobte Neumanns Konzept hingegen: »Es stünde unseren Gedenkprofis gut an, alles Denkbare zu tun, um die zwei totalitären Erfahrungen Deutsch­lands dem großen Publikum so klar und differenziert wie möglich aufzubereiten.«

Wer auch immer mit »Gedenkprofis« gemeint sein mag, mit Bernd Neumann kann es in dieser Hinsicht jedenfalls niemand aufnehmen. Das zeigt ein weiterer Blick in sein »Plädoyer« aus dem Jahr 2004. Der heutige Kulturstaats­minister sprach sich dort noch zusätzlich für die Errichtung von eigenständigen Gedenkstätten für die »Opfer von Krieg und Vertreibung« sowie für die »zivilen Opfer der Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges« durch den Bund aus. Diese zwei Punkte haben es letztlich nicht in seinen amtlichen Entwurf für ein neues Gedenkstättenkonzept geschafft. Aber irgendetwas muss man sich schließlich auch noch aufheben. Vielleicht ja für das nächste Gedenkstättenkonzept in ein paar Jahren.