Lachende Umstände

Der Weltuntergang wird als Familiendrama gezeichnet und mit Marxismus von Nicht-Marxisten unterlegt: der erste »Simpsons«-Kinofilm. Von Jürgen Kiontke

Die »Simpsons« – die Fernsehserie mit den Zitaten, Popzitaten, Anspielungen, noch mehr Anspielungen, Kontexten. Nun in der Langfassung. Da stellt sich gleich die Frage: Ist der erste »Simpsons«-Kinofilm eine wenig ausgefallene Marketing-Idee in der Art der »Star-Trek«-Filme, um der in die Jahre gekommenen Fernsehserie auf die Sprünge zu helfen?

Nein. Wenn es Ziel war, der Zeichentrickfamilie, die nun schon ihre 400. Folge erlebt hat, mit dem »Simpsons«-Spielfilm eine neue Dimension hinzuzufügen, muss man dem Produzententeam Erfolg bescheinigen. Obwohl alle wichtigen Aspekte der Serie in der ein oder anderen Form im Film enthalten sind, etwa die massenhafte Hollywood- und Selbstreferentialität, hat er eine düstere Grundnote, eine gänzlich andere Erzählstruktur und eine völlig neue Optik.

Der Film beginnt im Film: Zu Anfang des »Simpsons«-Kino-Debüts ersetzt das serieneigene Zeichentrick-Spin-off »Itchy und Scratchy« den üblichen Fernsehvorspann, in dem die Familie auf dem Sofa vor dem Fernseher landet. Die immergleiche Maus zerstückelt die immergleiche Katze wie üblich – aber diesmal gibt’s das Jucken und Kratzen auf dem Mond und mit Atomraketen.

Als nächstes tritt inmitten des Sees der »Simpsons«-Heimatstadt Spring­field die Band Green Day auf, deren Sänger sich während ihres Konzertes einen Augenblick Zeit nimmt, um Wichtiges zur Umweltproblematik zu sagen. Doch da hat dieselbe schon zugeschlagen: Samt Bühne verschwinden die Nu-Punker im verseuchten Schlamm wie einst das Streicher­ensemble mit der Titanic in den Ozeanwellen.

Nukleare Verseuchung, chemische und biologische Umweltverschmutzung, Überwachung und Fanatismus bilden die Umgebung für eine halbwahnsinnige Geschichte, in der Familienvater Homer mehr nebenbei eine sich schon länger anbahnende Katastrophe auslöst.

Seine Liebe zu einem Ferkel, dessen Fäkalien innerhalb von zwei Tagen auf mehrere Tonnen anwachsen, ist verhängnisvoll: Statt wie verordnet den Schweinkram auf der Sondermülldeponie zu verklappen, landet er im örtlichen, nicht nur mit Green-Day-Musikerleichen vorbelasteten Gewässer. Mit dem üblichen Hang zur Anarchie und Verfressenheit schafft der Mann es, Leid über die Stadt zu bringen.

Die Stadt hat so lange vor sich hingesaut, dass die Fische nicht mehr, gemäß bestimmter Gewissheiten des Atomzeitalters – »Jeder Fisch drei Augen, in jeder Garage zwei Autos«, so der Titel eine früheren Serienfolge –, wie bisher ein Auge zu viel haben, sondern mindestens 23.

Wie besessen scheint das »Simpsons«-Produzententeam seit jeher von den Auswirkungen der Atomenergieerzeugung. Das ist nah am Zeitgeschehen: Mit deren Bedeutung innerhalb des Industriezeitalters scheint es nicht nur im Kino ebenso bergab zu gehen wie mit dem Kleinbürgertum, dessen Protagonist Homer Simpson ist – und damit auch mit den Ordnungsvorstellungen. Zurzeit ist zumindest hierzulande das Pendant des Springfielder Atommeiler-Besitzers Montgomery Burns der Konzern Vattenfall – und dessen Kraftwerke entsprechen wohl den Vorstellungen des Sicherheitsbeauftragten Homer Simpson, der schon mal gern die Knöpfe der Konsole, mit denen man das China-Syn­drom stoppen kann, per Cola oder Bier verklebt. Vielleicht hat man bei Vattenfall zu viel »Simpsons« geguckt während der Arbeitszeit? Die zuständige schleswig-holsteinische Ministerin kommentierte jedenfalls die Aufzeichnungen der Mit­arbeitergespräche während des letzten Unfalls mit Verwunderung – dass die da doch sehr »umgangssprachlich geredet« hätten. Ansonsten wäre da »mehr Fachsprache« en vogue. Das Fazit lautet: Nicht alles, was im Fernsehen vorkommt, sieht man gern in der Realität.

Nun gut, in Poptheoretikerkreisen verbucht man sowas wohl unter dem Stichwort Kontextualität. Das Zeichentrick-Genre gehört schließlich selbst ins industrielle Zeitalter, es ist eben ein Trick mit den Zeichen.

Gut, Umwelt. Dass die Umwelt von Springfield alles andere als okay ist, war aus der Serie hinlänglich bekannt. In der Kino-Version hat sich die Situation aber dahingehend geändert, dass der kalifornische Umweltaktivist Arnold Schwarzenegger nun das Präsidentenamt innehat. Und der ist nicht zimperlich in seinen Methoden: »Die Leute haben mich gewählt, damit ich regiere, nicht damit ich lese.«

Die staatliche Umweltschutztruppe EPA unter der Leitung eines zu Geld gekommenen Wichtigtuers (»Ich will der Gesellschaft etwas zurückgeben, nicht das Geld, aber irgendetwas«), den Schwarzenegger mit der Lösung des Problems beauftragt, riegelt Springfield mit einer Glasglocke ab, aus der nichts raus- und in die nichts mehr reingeht. Als eine Helikopter-Armada sie einfliegt, verdunkelt sie die Stadt wie einst die Riesenraumschiffe der Aliens in Roland Emmerichs »Independence Day«. Mögen die Springfieldianer an ihrem eigenen Schweinedreck zugrunde gehen. Da ist sie, die revenge of the Umweltschützers, die Rache der Grünen am verblödeten, vergnügungssüchtigen Proletariat. Die nächste Stufe ist dann die Ausrottung.

Der »Simpsons«-Zuschauer mag einiges an böser Ironie gewöhnt sein – in der Darstellung des Personals wird der Film auch für »Simpsons«-Verhältnisse selten drastisch. Die gesamte Einwohnerschaft macht sich in Ku-Klux-Klan-Manier nächtens mit Fackeln bewaffnet auf die Suche nach dem Übeltäter. Als der Lynchmob Homer und seine Familie ergreift, sind die Galgenstricke schnell geknüpft, und zwar für alle. Die bösen Jungs aus der Nachbarschaft sind wie immer die eifrigsten: Als besonderes Extra haben sie die Schlinge für das Simpsons-Baby Maggie mit einem Schnuller drapiert. In letzter Sekunde können die Simpsons entkommen, während im »Dome« das Morden und Plündern losgeht. Mit Zwischenstopp in Alaska, wo Homer mit den richtigen Pilzen sein kommunitaristisches Coming-out hat und nun als amerikanischer Comic-Held wiedergeboren wird, der seine Heimatstadt retten muss.

Jeder mag für sich entscheiden, ob das den legendär gewordenen Zeichentrickfiguren gerecht wird. Gerade in letzter Zeit wird den Produzenten vorgeworfen, sie hätten die ursprüngliche Konzeption als satirische Überzeichnung der amerikanischen Arbeiterklasse und ihrer krassen Entfremdung im Konsum vernachlässigt, um sich tagespolitischen Themen zuzuwenden.

Und in der Tat: Den größten Aufreger daheim wird der Film mit einem nackten Zehnjährigen produziert haben – der nackte »Simpsons«-Sohn Bart geht auf eine rasante Surf-Board-Fahrt durch die ganze Stadt, bis er an der Fensterscheibe des mit seinen Kindern Fritten fressenden religiösen Fundamentalisten Ned Flanders landet. »Gott segne diese Fritten«, will dieser gerade sagen, heraus kommt aber nur: »Gott segne diesen Penis.«

Letztlich seien die »Simpsons« zu einer Zeichentrick-Version gängiger Late-Show-Formate mutiert, die den reaktionären kulturellen Habitus des white trash reproduzierten oder gar erst erzeugten.

Umgekehrt kann niemand ernsthaft glauben, eine Fernsehserie, deren Witz im großen Ganzen in der perfiden Affirmation der Verhältnisse durch ihre Protagonisten besteht und die nebenbei ihre Heimatbasis in einem stockkonservativen Sender des Medienunternehmers Rupert Murdoch hat, würde sich nicht verändern innerhalb eines so großen Zeitraums.

Die Show, so der eher kulturkonservative Tenor, habe sich von der Satire zum Spektakel entwickelt, und »that’s not funny« – das ist überhaupt nicht lustig, wie es ein im Internet kursierender, sehr schöner Text mit dem Titel »Eine marxistische Analyse der Simpsons« (theproles.blogspot.com/search/label/culture) zusammenfasst.

Inwieweit diese Kritik aber den ironischen Kontext der »Simpsons« verlässt, mag dahingestellt sein. Ziemlich am Anfang bemerkt der Autor des Internetdokuments in etwa dies: »Ich sollte all die engagierten Marx-Leser warnen – dass ich so gut wie nichts über marxistische Kritik der Kultur weiß.«

So reicht das »Simpsons«-Universum weit hin­ein in die Gehirnwindungen, es hat die Wahrnehmung seiner Zuschauer schon so weit verändert, dass sie marxistische Studien betreiben, von denen sie nicht wissen, was das sein könnte. Der Text ist trotzdem prima, er behandelt in weiten Teilen die Koninzidenz von Entwicklungen des amerikanischen Arbeitsmarkts mit den Transformationen des Kleinbürgertums in Springfield.

Wie man es auch sieht – die Kontexte sind gewaltig. In der Komposition des Spielfilms muss sich das irgendwie widerspiegeln, und das versuchen die »Simpsons«-Zeichner mit einer erzähltechnischen Umpolung ihres Stoffes. Ist die Fernsehserie an das Kurzformat von Sitcoms angelehnt, unterliegt die Kinoversion einer ironisch gebrochenen Actionfilmstruktur. Der Mittelklasse-Hanswurst, sein Unglück, seine glorreiche Rückkehr – Homer Simpson teilt mit dem Familien-/Weltretterhelden John ­McClane, dem von Bruce Willis gespielten »Stirb-langsam«-Helden, nicht nur die Vorliebe für Kahlköpfigkeit. »Es geht um Umstände, die eine Familie, eine Stadt auseinanderbrechen lassen, und darum, wie man eine solch schwierige ­Situation wieder beheben kann«, wie der Produzent Al Jean ganz unironisch die Spielanlage des Films beschreibt.

Es ist der gewisse Ernst, ohne den der Action-Film nicht funktionieren kann, es kann keine rein ironische Rettung der Menschheit geben, sie muss auch authentisch sein, zumindest irgendwie; es geht ja um Leben und Tod, endzeitschockierend wie Filme à la »The Day after ­Tomorrow«, der Emmerich-Science-Fiction-Klimaschocker, oder vielleicht irgendwas mit einer fiesen Seuche. »Doomsday is family time«, sagt Marge Simpson, als ihre Tochter Lisa zum Date mit dem neuen Freund will.

Wie dieser Film um sich schlägt, bleibt er verschwommen, indifferent. Ist er offen reaktionär gegen Umweltpolitik, in dem er in ihrem Fahrwasser nicht nur Dirigismus, sondern offenen staatlichen Terror vermutet? Wie verträgt sich das mit der kritischen Darstellung der Aktivitäten des Atomkraftwerkbesitzers Burns? Setzt der Film eine Botschaft ab, um sie in der nächsten Szene gleich wieder zurückzuordern?

Die Antwort liegt in der filmischen Struktur. Immer wieder schimmert zwischen den vielen lustigen Einfällen die Ernsthaftigkeit durch, als läge den Witzen eine solide Trauer zugrunde. Mögen die Figuren sich auch noch so lächerlich aufführen, dieser Film kommt über Kreuz daher: Dein Handeln hat Folgen, auch wenn die Welt eine ewige Widerkehr des Gleichen ist, ein »Simpsons«-Kosmos als permanenter Ist-Zustand, mit dem ältesten einjährigen Kind des Universums. Es ist eine Welt voller Antimoral, die nicht mehr weiß, wogegen sie sein soll, weil die Moral schon lange verlorengegangen ist – der Ernst der Sache macht aus dem Spektakel ein Paradoxon.

Surrealität ist ein Kernbestandteil der Serie, ihr Gesetz besagt, dass niemand ungeschoren davonkommt. Die surreale Botschaft des Films lautet: Unsere Natur ist nicht lustig, die Leute darin sind nicht lustig, die Tiere auch nicht, die Pflanzen fahren ihr eigenes Ding – und sie schlagen zurück, wir selbst schlagen zu, und auch das wird nicht lustiger.

Dass man über diese Umstände lachen kann, ist nicht die schlechteste surreale Leistung dieses Films. Zur Unterstützung erhält der »Simpsons«-Film Tiefe und Mehrschichtigkeit durch konsequente Ausnutzung der Kinooptik: Bei einigen Szenen fällt die starke dreidimensionale Wirkung auf, dies vor allem in den Zeichnungen der Massenszenen in den nächtlichen Straßen Springfields und in panoramahaften Landschaftsszenen. Des Weiteren lässt man sich mit bestimmten Einstellungen mehr Zeit.

Und während man bei den meisten Filmen dieses Jahr denkt, was dauert das Ding bloß so lange, ist es beim »Simpsons«-Film genau umgekehrt. Der ist mit 88 Minuten eher rasant kurz. That’s, da zitiert man den marxistischen Nichtmarxisten wieder gern, not funny. Dass der Weg von der Satire über das Spektakel in der Ironie mündet – that’s allerdings sehr funny.

»Die Simpsons – Der Film« (USA 2007). R: David ­Silverman. Start: 26. Juli