Der Naturbegriff ist korrumpiert

Der Wissenschaftsbetrieb ist zunehmend den Marktgesetzen unterworfen. Eine ­linke Auseinandersetzung mit dem Klimawandel kommt nicht um eine Kritik der Wissenschaften und des Naturbegriffs herum. von cord riechelmann

Wenn Al Gore, Herbert Grönemeyer und die deutsche Vanity Fair sich große Sorgen um das Klima machen und auf der anderen Seite der Schriftsteller Michael Crichton und der Ökologe Joseph H. Reichholf die Hysterie um die wärmer werdende Erde scharf kritisieren, fällt die Entscheidung, auf welche Seite man sich schlägt, nicht schwer. Crichton liefert im Anhang seines Romans »Welt in Angst« eine überzeugende Analyse, warum die meisten Prinzipien des Umweltschutzes in erster Linie dazu dienen, die wirtschaftlichen Vorteile des Westens gegenüber der so genannten Dritten Welt zu erhalten, und Reichholf ordnet in seiner »kurzen Naturgeschichte des letzten Jahrtausends« die derzeitige, seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu beobachtende Erderwärmung in einen längeren historischen Kontext ein. Mit dem Ergebnis, dass die derzeitige Wärmeperiode weder einmalig noch sonderlich außergewöhnlich ist. Um das Jahr 1000 herum war es hierzulande schon einmal so warm wie heute. »Wahrscheinlich noch wärmer. In Bayern gedieh damals Wein, auch in wesentlich kälteren Regionen als heute. Bayern hat damals Wein exportiert«, sagte Reichholf kürzlich in einem Interview in der taz.

Reichholf wie Crichton geht es aber nicht nur um eine Relativierung der schwarz an die Wand gemalten Weltuntergangsszenarien. Beide verbinden mit ihrer Kritik eine Kritik der gegenwärtigen Wissenschaftspolitik. Wenn, so kann man sie auf einen Nenner bringen, die Politik in den entwickelten westlichen Ländern, durch die Berichte der Klimaforscher alarmiert, außergewöhnlich viel Geld in die Klimaforschung fließen lässt, führt das nicht zwangsläufig zu einer besseren Wissenschaft und einem rationaleren Umgang mit den Naturphänomenen. Im Gegenteil: Auch Wissenschaftler brauchen Geld, also werden sie ihre Forschungsvorhaben den Anforderungen der politischen Vorgaben anpassen, im schlimmsten Fall in der Folge auch die Ergebnisse. Man kann den dahinter steckenden Wissenschaftsbegriff natürlich als idealistisch kritisieren, an der Diagnose ändert das aber erst mal nichts. Und mit irgendetwas muss man ja anfangen, wenn man eine Lichtschneise in den Nebel der Nachrichten um das Klima hauen will.

Staatliche Forschungsförderungen großen Stils hatten in diesem Jahrhundert von den Atomforschungsprogrammen bis zum Human-Genom-Projekt zur Entzifferung des menschlichen Erbgutes immer auch die Entwicklung einer Privatindustrie zur Folge. Und im Fall der Atomindustrie kann man zurzeit in Berlin in jeder U-Bahnstation die Absurdität der Ideologieproduktion von aus staatlichen Subventionen hervorgegangenen Unternehmen erleben. »Klimaschützer« steht da groß auf Plakaten, die ein Atomkraftwerk zeigen, vor dem in saftigem Grün Kühe oder Schafe weiden. Dazu gibt es die Information, dass der CO2-Ausstoß der Kraftwerke null Prozent betrage. Der Fall macht auf eine ­besonders blöde Art klar, wohin man kommt, wenn man sich auf die Diskussionen um das Klima auf der Ebene der Reduktion eines vermeint­lichen Verursachers einlässt. Man landet bei der Alternative, zwischen Pest und Cholera wählen zu müssen.

Natürlich hat CO2 etwas mit dem Klima zu tun, so wie Wasser, Luft, Feuer und Erde auch. Die Form des Umgangs mit den Elementen allerdings wird von der Form des Wirtschaftens bestimmt, und die Form des Wirtschaftens ist seit einigen Jahren in einer so noch nicht bekannten Weise von den Wissenschaften abhängig. »Innovationen«, die sich in neuen Produkten niederschlagen, kommen genauso wie das Personal der Unternehmen, die die Produkte als Gewinne verwerten, seit einigen Jahren fast ausschließlich aus Universitäten oder staatlichen Forschungsinstitutionen. Deshalb ist eine Kritik am gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb, wie Reichholf und Crichton sie betreiben, gleichzeitig eine Kritik an der Wirtschaftsweise, die den Umgang mit den natürlichen Ressourcen nie anders als in einem Ausbeutungsverhältnis wird verwirklichen können. Und das hängt auch mit dem in Wissenschaft, Staat und Wirtschaft wirksamen Naturbegriff zusammen. Der Witz an der Sache ist nun, das der Naturbegriff, wie er etwa früher beim Club of Rome und heute bei Al Gore zum Ausdruck kommt, auch von kritischen Intellektuellen und sozialen Bewegungen wie der 68er-Studentenrevolte entwickelt wurde.

Die 68er-Revolte hat nämlich in einem entscheidenden Punkt nicht verloren, sondern gesiegt. Sie hat den Universitäten und Forschungsinstitutionen den Modernisierungsschub gebracht, der die Wissenschaftsinstitutionen auf die Höhe der Anforderungen der Wirtschaft ka­tapultierte. Die Unternehmen der so genannten Marktwirtschaft hatten vor den staatlichen Institutionen gemerkt, dass die kapitalistische Produktion in eine neue Phase tritt und dass diese Phase nicht ohne wissenschaftlich ausgebildetes Personal zu bewältigen ist. Man kann diesen Wandel an einer Zahl ablesen. Gab es in den sechziger und siebziger Jahren noch viele Vorstände und Aufsichtsräte in den großen Unternehmen, die aus der Produktionsstruktur des Unternehmens selbst kamen, aufgestiegene Facharbeiter zum Beispiel, so gibt es heute dort nur noch Uni-Absolventen, die gern an der Harvard Business School promoviert wurden, aber mit der Produktion nie etwas zu tun hatten. Um allerdings die Universitäten zum Ausbildungsort für die neue Elite der neuen Phase des Kapitalismus zu machen, musste man sie zuerst zerstören. Denn klassisch waren die Universitäten seit der Etablierung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert für die Ausbildung zum Beispiel der Beamten, Verwaltungsspezialisten und Lehrer zuständig.

Mit der Zerstörung der Universitäten als Staatsbeamtenreservoir wurden sie aber auch auf eine Weise dem Markt überlassen, die sie vorher nicht kannten. Die Forschungsinstitutionen werden zu Unternehmen, deren Marktwert sich am selbst erwirtschafteten Geld messen lassen muss. Dadurch wird die Wissenschaft selbst sozusagen methodologisch den Gesetzen des Marktes unterworfen. Deshalb ist Wissenschaftskritik, wie sie Reichholf und Crichton betreiben, so unvergleichbar und verschieden die beiden auch sind, die richtige und damit meinetwegen »linke« Antwort auf den Klimawandel. Al Gores Feldzug gegen die Klimawandelverursacher stellt genau so wenig wie Sigmar Gabriels Anti-Atomkraft-Politik den herrschenden Naturbegriff und die marktorientierte Forschung in Frage. Im Gegenteil: Beide singen das Lied von den Markt­chancen einer erneuerten Energiegewinnung ohne die Übel der alten Produktionsweise. Damit sind sie nichts anderes als Modernisierungs­agenten, wie es die Achtundsechziger auf andere Art auch waren. Am Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis, das menschliche Gesellschaften mit ihrer derzei­tigen Wirtschaftsweise gegenüber der Natur einnehmen, wird das nichts ändern.

Die Natur wird im Kapitalismus genauso wie in den alternativen Umweltschutzbewegungen immer als ein Außen des Menschen gedacht. Sie ist etwas, womit man Geld verdienen kann oder das man schützen muss. Eindringlich kann man die Funktionsweise dieses Naturbegriffs an der im S. Fischer-Verlag erschienenen Reihe »Forum für Verantwortung« studieren. Ob dort Jill Jäger fragt »Was verträgt unsere Erde noch?« oder Mojib Lativ Hintergründe und Prognosen zum Klima liefert, alle Autoren bleiben in der grundsätzlichen Mensch-Natur-Dichotomie hängen. Mit Walter Benjamin kann man sagen, ihr Naturbegriff ist genauso korrumpiert wie ihr Arbeitsbegriff. Ihre Fragen drehen sich alle um das immergleiche Kosten-Nutzen-Schema, das Natur und Mensch ja erst in die fatale Lage gebracht hat, das man für Wasser und Luft zahlen muss und Luft und Wasser deshalb in manchen Regionen so knapp werden, dass sich viele Menschen beides nicht »mehr leisten« können.

Insofern ist, um Ivo Bozics Eingangsfrage (Jungle World, 29/07) aufzugreifen, das Klima natürlich auch links beziehungsweise ein linkes Thema. Eine Analyse der Vorgänge, die den Klimawandel bedingen und gerade in den Regionen der ärmeren Länder tatsächlich Folgen zeitigen, die alles andere als lustig sind, wird nicht darum herumkommen, einen Naturbegriff zu entwickeln, in dem der Mensch der Natur weder erlegen ist noch sie hegt und pflegt. Das heißt aber auch, Natur nicht, wie Marx es tat, neben der Arbeit als eine der Quellen des menschlichen Reichtums zu betrachten.

Man müsste Mensch und Natur in einem buchstäblich begriffenen Verhältnis denken. Das heißt auf das Klima bezogen, die Gesetze der Natur einzubeziehen, statt zu versuchen sie zu beherrschen. Es würde bedeuten, die Prognose, auf der die Klimaforschung ebenso wie die gesamte Naturwissenschaft basiert, aus der Methode der Wissenschaft selbst herauszunehmen. Damit lassen sich dann allerdings nicht mal mehr Wetterdaten an private Fernsehwetterberichte verkaufen.