Die Retter aus Moldawien

Wegen extremer Nachwuchsprobleme warb ein schwedischer Amateur-Fußballclub fast eine komplette Mannschaft aus dem ­Ausland an. Viele Vereine im schwedischen Hinterland leiden unter der Abwanderung Jugendlicher in die Städte. von bernd parusel

Die Spieler des nordschwedischen Fußballclubs Junsele IF heißen seit Juni nicht mehr Erik, Nicklas oder Fredrik, sondern Vladimir, Vitalie und Serghei. Junsele Idrotts­förening spielt in der dritten Regionalliga Schwedens und landete in der vorigen Saison auf einem respektablen fünften Platz.

Dieses Jahr stand die A-Mannschaft des Vereins jedoch plötzlich vor dem Aus. Wie viele kleinere Orte in Nordschweden leidet Junsele unter Abwanderung, die Jugend zieht zum Studieren oder Arbeiten in die Städte. Der Fußballclub bekam das besonders heftig zu spüren. Im Lauf des vergangenen Winters war ein Spieler nach dem anderen verschwunden, und als Ende April die Fußballsaison begann, hatte Trainer Misha Dunets nur noch zwei für die Wettkampfmannschaft geeignete Spieler übrig.

Um überhaupt zu Ligaspielen antreten zu können, trommelte er zunächst alles zusammen, was irgendwie auf dem Rasen stehen konnte: unerfahrene 15jährige, aber auch Ältere, die schon lange mit dem Fußball aufgehört hatten. Das klappte nicht besonders gut: Nach den ersten vier Begegnungen in der »Divi­sion 3« hatte Junsele IF eine Tordifferenz von 0 : 38. Manchmal hatte man nur neun Spieler auf dem Platz.

Als Junsele schon fast dabei war, die Saison verloren zu geben, kam jedoch die Rettung. Misha Dunets hat gute Kontakte nach Moldawien, und die nutzte er, um dort acht Fußballprofis aufzutreiben, die bereit waren, für ein paar Monate mit einem Touristenvisum nach Schweden zu kommen. Die Moldawier sehen ihren Einsatz für Junsele als Abenteuer. Ohne Lohn, nur gegen Kost und Logis, halten sie nun die A-Mannschaft am Laufen. »Wir sind hierher gekommen, um Junsele zu helfen. Warum der Mannschaft Spieler fehlen, wissen wir nicht, aber wir werden alles tun, damit der Club wieder Spiele gewinnt«, zitiert die Zeitung Dagens Nyheter einen der Moldawier. Die Erfolge stellten sich tatsächlich ein. Zunächst verlor die neue Mannschaft, die jetzt aus acht Moldawiern, ­einem Ukrainer und einem 17jährigen schwedischen Zwillingsbrüderpaar besteht, drei weitere Spiele. Dann aber gab es einen 4:1-Sieg und zwei Unentschieden.

Nicht alle Junseler sind indes glücklich mit ihrer »Fußball-Fremdenlegion«. Der Verein müsse akzeptieren, dass es keine lokalen Spieler mehr gebe, und von Grund auf eine neue Mannschaft aufbauen, meinen manche. Andere aber sagen, der Ort brauche eine Division-3-Mannschaft – allein schon fürs Prestige. Jun­sele ist im Sommer als Fußball-Trainingslager für Jugend­liche aus der Umgebung beliebt. Sie bringen Stimmung und Geld. »Da müssen wir selber auch zeigen, dass wir etwas für unsere Situation tun können, anstatt uns einfach hinzulegen und zu sterben«, sagt ein Fan.

Das Problem der Abwanderung vor allem junger Leute hat Nordschweden und Teile Mittelschwedens während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tief geprägt und trifft, wie das Beispiel Junsele zeigt, auch heute noch vor allem kleinere Städte und Gemeinden. Vielerorts ist die Stimmung schlecht, die Grundstückspreise fallen, und die Menschen hegen Groll gegen die Politiker in Stockholm, die aus ihrer Sicht das Hinterland vernachlässigen. Holz- und Papierindustrie sowie Bergbau sind die wichtigsten Wirtschaftszweige in der mittel- und nordschwedischen Provinz, benötigen jedoch weniger Arbeitskräfte als früher.

Die Küstenregion ist etwas weniger stark von Entvölkerung betroffen. Wichtig war dort die Gründung der Universitäten in Umeå und Luleå. 2005 wurde auch in der Region Jämtland eine »Multicampus-Universität« gegründet, deren Fachbereiche über mehrere Kleinstädte im südlichen »Norrland« verteilt sind. Das soll junge Leute in der Gegend halten und neue anziehen. Zudem hat der schwedische Staat versucht, Behörden von Stock­holm in die Provinz zu verlegen. Aus Sicht der Nordschweden geschehen die Umzüge jedoch zu zögerlich und schaffen zu wenig Jobs. Viele Gemeinden werben deshalb um die Rückkehr von Jugendlichen, die zum Studieren nach Stockholm oder in den Süden gezogen sind. Lokalzeitungen schreiben Preise für den »Heimkehrer des Jahres« aus. Auch hofft man, Großstädter anzuziehen, die genug von Verkehr und Alltagsstress haben.

Junsele IF ist trotzdem nicht der einzige Verein, der mit Personalproblemen kämpft. Der Fußballclub des Örtchens Ytterhögdal, ebenfalls in Nordschweden, lässt seit kurzem fünf Brasilianer für sich spielen.

Eine dauerhafte Lösung ist die Verstärkung aus dem Ausland aber kaum. Eher wird von Sportbegeisterten darüber diskutiert, den Schulsport zu stärken und den Kindern und Jugendlichen frühzeitig zu demonstrieren, dass Bewegung und Wettkampf Spaß machen können. Auf der Debattenseite von Dagens Nyheter meldete sich Mitte Juli eine Reihe prominenter schwedischer Spitzensportler zu Wort. »Die Schule ist die einzige Instanz, die alle Kinder erreicht«, schrieben die Hürdenläuferin Susanna Kallur, der Stabhochspringer Alhadji Jeng, die Skifahrerin Pernilla Wiberg und 16 weitere Profis und Funktionäre. Die Anzahl der Sportstunden in Schweden liege im euro­päischen Vergleich auf niedrigem Niveau, die Lehrpläne enthielten statt präzisen Mindestvorschriften lediglich eine unverbindliche Empfehlung, derzufolge sich Kinder mindestens 30 Minuten pro Tag bewegen sollen. Nötig sei eine Stunde körperliche Anstrengung pro Tag, fordern die Sportler. Dies wirke dem Problem der Übergewichtigkeit unter Jugendlichen entgegen, biete eine Alternative zum verbreiteten, stundenlangen Fernsehen und Computerspielen und stärke die Konzentrationsfähigkeit.

Da nichts dagegen spricht, dass die Schulen einen Teil des Unterrichts in lokale Vereine auslagern, die so leichter junge Talente rekrutieren können, dürften sich auch viele kleine Clubs für die Idee begeistern.

Sorgen um den Nachwuchs gibt es unterdessen nicht bei den Amateuren. Der Vorsitzende des schwedischen Fußballverbands, Lars-Åke Lagrell, kritisierte mehrfach den hohen Anteil ausländischer Spieler in der obersten Liga des Landes, dem »Allsvenskan«. In der laufenden Saison sind in den 14 Allsvenskan-Mannschaften insgesamt 62 ausländische Spieler aktiv. Lagrell befürchtet, dass dies dazu führen kann, dass die Vereine nicht mehr genug für die Jugend­förderung tun. In Gesprächen mit den Spitzenclubs brachte er deshalb »eine gewisse Unruhe über unsere Nationalmannschaft« zum Ausdruck. »Sie könnte verarmen, wenn junge Spieler nicht die Chance bekommen, sich in den Ligamannschaften zu entwickeln.« Es sei zwar klar, dass man auch ausländische Spieler brauche, aber es müsse eine ausgewogene Mischung gefunden werden. Nach Diskussionen entschieden die Clubs, dass künftig jeder Erstligaverein mindestens sieben Spieler haben muss, die vier Jahre oder länger in Schweden gespielt haben und jünger sind als 21.

Dass sich kleine Vereine wie Junsele IF die Vereinbarung offenbar nicht immer zum Vorbild nehmen und oft nicht anders können, als auf ausländische Verstärkung zu hoffen, macht dem Verbandspräsidenten noch keine Sorgen. Er verstehe zwar nicht, wie sie sich mit Ausländern, die noch nicht einmal bezahlt werden, am Leben halten könnten, sagte er Dagens ­Nyheter. Dass die Anwerbung aber Jungfußballern an Ort und Stelle schaden könnte, hält er nicht für ein Problem: »Wenn es keine gibt, können sie auch nicht benachteiligt werden.«