»Da wird eine Mauer um das Internet gezogen«

Die vertraulichen Antworten des Bundes­innenministeriums auf die Fragen des Bundesjustizministeriums zur Einführung der Schnüffel-Software per elektro­nischer Amtspost wurden in der vorigen Woche zuerst auf dem Weblog netzpolitik.org veröffentlicht. Markus Beckedahl ist Betreiber des Weblogs, der sich als eine »politische Plattform für Freiheit und Offenheit im digitalen Zeitalter« ­versteht.
interview: doris akrap

Das Bundesinnenministerium will dem Bundes­kriminalamt die Befugnis erteilen, mit gefälsch­ten E-Mails, die offiziell den Absender einer anderen staatlichen Behörde tragen, private Computer zu hacken. Können Sie besser als Wolfgang Schäuble erklären, wie der so genannte Bundestrojaner funktionieren soll?

Es gibt sicherlich bessere Möglichkeiten, unbemerkt in ein System einzubrechen, als fingierte Behördenmails zu verschicken. Der Bundestrojaner wird aber entwickelt und soll trotz Moratorium bald einsetzbar sein.

Das Hauptproblem bei der geplanten Online-Durchsuchung ist die verfassungsrechtliche Seite, denn es geht darum, ob der Staat in »informa­tionstechnische Systeme« seiner Bürger einbrechen darf oder nicht. Und hier fängt der Skandal an: Die Definition eines »funktionstechnischen Systems«, wie es das Innenministerium geliefert hat, ist so weit gefasst, dass darunter alle vernetz­ten Geräte fallen. Das könnte dann auch ein Handy oder ein Kühlschrank sein. Würde an dieser Definition festgehalten, hieße das für die Zukunft, dass alle weiteren technischen Entwicklungen und Geräte auch dieser Definition entsprechen und sie durchsucht werden könnten, ohne neu darüber diskutieren zu müssen.

Entwickler von Antivirenprogrammen behaup­ten, jeden Trojaner zu erkennen. Ist es denkbar, dass die Hersteller vom Staat aufgefordert werden, absichtlich Sicherheitsmängel einzubauen, statt für Sicherheit zu sorgen?

Das ist eine Scheindebatte. Der Einbau von absichtlichen Sicherheitslücken wäre verheerend für die IT-Sicherheit. Nicht nur die Chinesen würden sich freuen. Antivirenhersteller können auch nur bekannte Trojaner erkennen. Es gibt Sicherheitslücken im Internet, die lange Zeit unentdeckt bleiben. Die werden auf einem speziellen Schwarz­markt gehandelt und für Wirtschaftsspionage benutzt. Das Innenministerium könnte auf diesem Schwarzmarkt die Sicherheitslücken ein­kau­fen oder eine Dienstleistungsfirma damit beauftragen, die das Wissen dann als verdeckte Agenten besorgen. Der Bundesnachrichtendienst soll schon so arbeiten. Der schwarz-roten Koali­tion und ihrer Kampfrhetorik in Sachen innere Sicherheit traue ich allerdings ziemlich viel zu.

Ist das nicht eine verkehrte Welt, wenn der Staat zum Hacker wird und Hackerclubs zu Datenschützern werden?

Die Frage ist: Warum wird der deutschen Industrie die Verwendung von Hackertools verboten, mit denen deutsche IT-Systeme sicherer gestaltet werden könnten? Gleichzeitig löst der Staat eine derartige Verunsicherungsdebatte aus, dass das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger geschädigt wird. Das ist kurios und schädlich für eine digitale Gesellschaft.

Wenn der Bundestrojaner dazu führt, dass die Bürger das Vertrauen in den Rechtsstaat verlie­ren, wäre das doch angesichts der kaum mehr nachzuvollziehenden staatlichen Überwachung zu begrüßen.

Begrüßenswert ist das nicht. Was ist denn die Alternative zu einem funktionierenden Rechtsstaat? Der Ruf nach dem starken Mann, der die Probleme löst? Natürlich wäre ein Staat wünschenswerter, der die Freiheitsrechte und Grundrechte der Bürger akzeptiert und respektiert. Aber das scheint auch unter der Großen Koalition nicht möglich zu sein.

Schon seit Jahren beschlagnahmen die Behörden Computer oder kopieren Festplatten. Inwiefern sind die staatlich gefälschten E-Mails eine neue Stufe des Eingriffs in bürgerliche Freiheiten?

Die neue Stufe ist, dass der Staat unbemerkt in unsere Computer eindringen möchte. Mittlerweile ist auf unseren Rechnern mehr Privat- und Intimsphäre abgespeichert, als in den Schlafzimmern unserer Eltern überwacht werden kann. Bei einer normalen Durchsuchung stehen Menschen vor der Tür, die in der Regel einen Durchsuchungsbefehl haben, und man hat das Recht, einen Anwalt dazu zu rufen. Bei einer verdeckten Online-Durchsuchung lässt sich nicht sicherstellen, dass Daten dadurch manipuliert werden. Das vage Unsicherheitsgefühl bleibt, dass der Staat heimlich in unseren Rechnern ’rumschnüffeln könnte. Wer möchte schon die ganze Zeit mit dem Gefühl im Netz surfen, dass der Staat beim Online-Dating mitlesen könnte?

Wie werde ich heute schon überwacht, wenn ich meinen Computer anschalte?

Wenn der Computer angeschaltet wird, ist man noch nicht überwacht. Wenn man an das Internet angeschlossen ist, gibt es verschiedene Stufen potenzieller Überwachung, die von Providern über Geheimdienste reichen. Demnächst wird wohl auch der Staat darunter sein, wenn im Herbst das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung tatsächlich verabschiedet wird. Damit soll es ermöglicht werden, erstmals bei den Providern sechs Monate lang alle so genannten Verbindungsdaten abzuspeichern.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Sicherheits­politiker auf die Idee kommen, auch die Inhalte dieser Daten speichern zu wollen. Der Bundes­trojaner ist auch ein Versuch, die Verwendung von Verschlüsselungssoftware und Anonymisierungstools zu unterwandern. Diese werden von Bürgern genutzt, um den Schutz der Privat­sphäre in die eigene Hand zu nehmen.

Trojaner und andere Überwachungsmaßnahmen werden mit der Terrorismusbekämpfung, der Verbreitung verfassungsfeindlicher Inhalte oder der Verhinderung von Kinderpornografie begründet. Ist eine Zensur im Internet in jedem Fall falsch?

Zensur im Internet ist aus demokratischer Sicht gefährlich, weil sie anders funktioniert als in der realen Welt. Dort hat man beispielsweise die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die offen und transparent kommuniziert, warum sie welche Medien auf den Index setzt. Bei einer Zensur im Internet ist nicht mehr nachzuvollziehen, was gespeichert und was entfernt wurde. Man versucht, Probleme aus der Welt zu schaffen, indem man sie ausradiert oder ausblendet. Das kann aber nicht der richtige Weg sein, um die Jugend vor dem Bösen in der Welt zu schützen. Man sollte junge Leute lieber auf die reale Welt vorbereiten.

Bei der Debatte um die Bundestrojaner handelt es sich um den ersten Fall, in dem aus ­einer Information, die aus einem Weblog stammt, eine Meldung wird, die von der »Tagesschau« bis zur Boulevardpresse übernommen wird. Werden Weblogs zukünftig der »Tagesschau« den Rang ablaufen?

Das glaube ich nicht. Die traditionellen Medien ver­lieren zwar immer mehr ihre Gatekeeper-Funktion, viele davon bleiben aber auch in einer netzwerkzentrierten Umgebung mächtig. Blogs sind eine Kulturtechnik; sie führt zu einer größeren Medienvielfalt. Die Fragmentierung des Mediensystems ist in anderen Ländern schon viel fortgeschrittener. In Deutschland ist es selten, dass ein Scoop durch ein Blog erzielt wird.

Eine andere aktuelle Debatte dreht sich um die Sperrung des Portals youtube.com, weil dort rechtsextreme Videos zu sehen sind. Wie lange wird es solche Debatten um die Sperrung des Web 2.0 noch geben?

Es wird ziemlich spannend, wenn die Politiker mitbekommen, dass es noch andere Seiten als Youtube gibt. Dieses Thema nutzen die Politiker gerne, um sich als Ruhe- und Ordnungsstifter zu präsentieren. Wenn die Nazivideos bei Youtube gelöscht werden, dann tauchen sie an 30 anderen Stellen wieder auf. Will man das nachhaltig zensieren, ist man ziemlich schnell da, wo Staaten wie Saudi-Arabien, China oder Tunesien schon sind. Da wird eine hohe Mauer um das Internet gezogen und nur noch das erlaubt, was harmlos ist, anstatt Meinungsvielfalt und Freiheit zuzulassen.