Allein und ohne Uniform

Nach dem Attentat auf Benazir Bhutto hat die größte pakistanische Partei ein Führungsproblem. Präsident Musharraf könnte sein wichtigster potenzieller Verbündeter abhanden kommen.

Die Ermordung Benazir Bhuttos sei »ein erster großer Sieg über die Verbündeten der Ungläubigen«, triumphierte Mustafa Abu al-Yazid in einem Telefonat mit der Asia Times online. Der Ägypter al-Yazid gilt als Regionalkommandeur al-Qaidas in Afghanistan und der pakistanischen Grenzregion sowie als Vertrauter von Ayman al-Zawahiri, dem wichtigsten Ideologen der Terrororganisation.

Erst zehn Wochen vor dem Attentat war Bhutto wieder nach Pakistan zurückgekehrt. Den schwe­ren Anschlag kurz nach ihrer Ankunft hatte sie unbeschadet überlebt, dem Anschlag am Donnerstag der vergangenen Woche in Rawalpindi entkam die Vorsitzende der op­positionellen Pakistanischen Volkspartei (PPP) nicht. Mehr als 20 Menschen starben, darunter ranghohe Parteimitglieder.

Der Tathergang ist ungeklärt. Die Regierung gab an, Bhutto sei an den Folgen der Explosion gestorben, die ein Selbstmordattentäter auslöste, der PPP zufolge wurde sie erschossen. Augenzeugenberichte und Videos stützen die These, dass es einen zweiten Täter gab.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es für die PPP im Hinblick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen gut ausgesehen. Umfragen zufolge lag sie mit 35 Prozent weit vor allen Mitbewerbern. Geschickt hatte sich Bhutto in den letzten zwei Monaten von Präsident Pervez Mu­sharraf distanziert, mit anderen Oppositionellen taktiert und sich dennoch ein Bündnis mit dem bedrängten Staatsoberhaupt vorbehalten. Unter dem starken Druck der landesweiten Proteste und seiner internationalen Verbündeten hatte Musharraf am 28. November seinen Posten als Armeechef abgegeben und am 15. Dezember nach rund einem Monat das Kriegsrecht aufgehoben.

In seiner Fernsehansprache nach dem Attentat drohte er: »Wir werden nicht eher ruhen, bis wir diese Terroristen ausgerottet haben.« Er selbst entging nur knapp mindestens zwei Mordversuchen von Islamisten. Deren Anschläge werden immer häufiger. Eine Woche vor Bhuttos Tod star­ben bei einem Selbstmordattentat auf den ehemaligen Innenminister Aftab Khan Sherpao in ei­ner Moschee 57 Menschen. Angriffe auf die Si­cher­heitskräfte und Militäreinrichtungen häuften sich im Jahr 2007. In der Hauptstadt Islamabad suchen Jihadisten die offene Konfrontation, die Kämpfe um die Rote Moschee waren nur der Auftakt zu einer Reihe von Anschlägen. Dass Bhutto sich dereinst als Premierministerin auch mit diesen Kräften verbündet hatte, um Einfluss im Nachbarland Afghanistan zu gewinnen, wird heute gerne übersehen.

Die militärischen Offensiven gegen die oft mit al-Qaida und den Taliban verbündeteten Jihadisten in den autonomen Stammesgebieten (Fata) an der Grenze zu Afghanistan sind zumeist Misserfolge. Der Konflikt dort dehnt sich immer mehr auf benachbarte Gebiete aus. Teile der Nordwestlichen Grenzprovinz (NWFP) gelten inzwischen als unkontrollierbar, darunter das einst bei Touristen beliebte Swat-Tal. Aus diesen Regionen entsenden islamistische Organisationen, wie zum Beispiel die Lashkar-e-Jhangvi (LeJ), ihre Attentäter in die Städte Pakistans. Dem pakistanischen Innenministerium zufolge legen abgehörte Funksprüche eine Verbindung der LeJ zum Attentat auf Bhutto nahe.

Die Ermordung der 58jährigen, die seit nahezu drei Jahrzehnten die größte pakistanische Partei anführte, stürzt die PPP in eine tiefe Krise. Eine ebenbürtige Nachfolge für die eloquente Machtpolitikerin gibt es nicht. Sie selbst konnte vom politischen Erbe ihres unter dem Militärherrscher Zia ul-Haqq hingerichteten Vaters Zulfikar Ali Bhutto profitieren. Dass Benazir Bhutto ihren politischen Ehrgeiz nun ebenfalls mit dem Leben bezahlte, hat Auswirkungen auf die Partei: Nach ihrem Tod stand kein prädestinierter Vertreter des Familienclans bereit, um die PPP anzuführen.

Die beiden Brüder Benazir Bhuttos starben unter teils ungeklärten Umständen, und ihre Schwester Sanam trat bisher kaum aus Benazirs Schatten. Bhuttos Ehemann Asif Ali Zardari wird von vielen Pakistanis »Mister 10 Prozent« genannt, er hat nur in die politisierte Großgrundbesitzerfamilie Bhutto eingeheiratet. Der ehemalige Senator und Spross einer Fabrikantendynastie saß insgesamt elf Jahre in Haft, u.a. wurden ihm Korruption und der Mord an einem Richter vorgewor­fen. Dennoch hat sich die Clan-Politik wieder durchgesetzt, zum Nachfolger Benazir Bhuttos wählte die PPP am Sonntag ihren erst 19jährigen Sohn Bilawal, der aber vorerst weiter in Oxford studieren wird. Die politische Geschäftsführung wurde Zardari übertragen.

Das Attentat auf die Vorsitzende der PPP führte landesweit zu Gewaltausbrüchen. Mehrere Dutzend Menschen starben, hunderte Autos und Busse wurden angezündet, zahlreiche Polizeiwachen und Bahnhöfe brannten innerhalb der ersten 48 Stunden nach dem Attentat. Die Regierung erteilte am Freitag den Befehl, auf militante Demonstranten zu schießen, und entsandte Militäreinheiten in besonders stark betroffene Städte wie Karachi. Ein Großteil der Gewalttätigen sind Geringverdiener und Tagelöhner, die ihre Hoffnungen auf den Wahlsieg der charismatischen Politikerin gesetzt hatten und sich nun bitter enttäuscht sehen. Besonderen Rückhalt genießt die PPP überdies unter der schiitischen Minderheit, der auch der Bhutto-Clan angehört und die sich seit Jahren zunehmend durch sunnitische Extremisten bedroht sieht.

In den Reihen der Opposition wird der Vorwurf erhoben, dass die Regierung nicht für ausreichenden Schutz Bhuttos gesorgt habe, wenn nicht sogar Angehörige der Administration und Geheimdienste an dem Mord beteiligt seien. Nawaz Sharif, Vorsitzender der Pakistanischen Muslim-Liga und bis vor kurzem ein Gegner Bhuttos, forderte noch im Krankenhaus, in das Bhutto eingeliefert worden war, dass niemand Gewinn aus dem Geschehen ziehen solle: »Das ist eine Tragödie für ihre Partei und für unsere Partei.« Er rief zum Wahlboykott auf, womit er nicht ohne Eigennutz handelte – er selbst darf wegen Vorstrafen und Ermittlungen gegen ihn nicht bei der Wahl antreten. Regierungsvertreter deuteten an, dass die für den 8. Januar angesetzten Wahlen verschoben werden. Bei den Unruhen wurden auch viele Wahlbüros zerstört.

Eine Verschiebung würde Musharraf Zeit für weitere Verhandlungen geben. Er hat seinen wichtigsten potenziellen Bündnispartner verloren. Nach der Wahl hätten er und seine stark auf ihn zugeschnittene Partei PML-Q mit der PPP eine heterogene, aber durch eine voraussichtlich absolute Mehrheit abgesicherte Regierung stellen können. Ohne Bhuttos Persönlichkeit scheint dies fraglich, die Anhängerschaft der PPP ist nicht gut auf Musharraf zu sprechen.

Der Tod der verhältnismäßig liberalen Politikerin ist auch ein Rückschlag für die US-Regierung, die in Bhutto eine wichtige Verbündete und eine Alternative zur Unterstützung Musharrafs sah. Man hatte gehofft, mit einer Koalition zwischen Bhutto und Musharraf eine neue, demokratischere Strategie verfolgen zu können. Nun scheint die US-Regierung wieder auf Musharraf angewiesen zu sein, was ihr in Zeiten der in den USA erstarkenden Kritik an der Pakistan-Politik wachsende Probleme bereiten dürfte. Zumal sich die pakistanische Regierung dafür entscheiden könnte, wieder das Kriegsrecht zu verhängen, wenn die Situation in Pakistan weiter eskaliert.