Der Wahlkampf in den USA

Risse in der gläsernen Decke

In ihrer Rücktrittsrede hat Hillary Clinton ihre Anhänger dazu aufgerufen, nun ­Obama zu unterstützen. Dessen Gegner ­McCain hat mit der Unpopularität der ­republikanischen Regierung Bush zu kämpfen, doch er ist immer noch der ­weiße Mann.

Eigentlich hatte John McCain einen Startvorteil. Erst am Samstag erklärte Hillary Clinton ihren Verzicht auf die Präsidentschaftskandidatur, wäh­rend McCain bereits seit Februar faktisch nominiert ist und für sich werben konnte. Doch genutzt hat es ihm nichts. Den neuesten Umfragen zu­folge liegen McCain und Barack Obama gleichauf, und eine Reihe von Bundesstaaten, die bei der Wahl 2004 republikanisch wählten, sind nun battleground states.
Dass er ungeachtet seiner Bemühungen, Distanz zu George W. Bush zu halten, nun einmal Republikaner ist und mit einer nicht eben belieb­ten Regierung identifiziert wird, ist vielleicht ­McCains größtes Problem. Über 70 Prozent der Amerikaner meinen, dass sich das Land in die falsche Richtung entwickelt. Angesichts des Kriegs im Irak, der Immobilienkrise und der Gefahr einer Rezession, hoher Benzinpreise und immen­ser Staatsschulden muss McCain dem Eindruck entgegenwirken, seine Präsidentschaft wäre eine Fortsetzung der Regierung Bush, wie die Demokraten behaupten. Deren Parteivorsitzender, Howard Dean, wird nicht müde zu betonen, dass McCain im Senat zu 95 Prozent im Interesse ­Bushs votiert hat.

Allzu scharf wiederum kann McCain sich nicht von der Regierung distanzieren, zumal er die ­finanziellen Kräfte und die Wählerbasis der Repu­blikaner noch nicht für sich mobilisieren konnte. Die Spenden der Unternehmer fließen eher Obama zu, der überdies deutlich mehr Kleinspenden aus der Bevölkerung erhält. Während George W. Bush die finanzielle und ideelle Unterstützung eines Großteils der christlichen Konserva­tiven und Fundamentalisten genoss, ist ­McCain in diesen Kreisen nicht sehr populär. Man bezwei­felt, dass er für konservative Werte kämpfen wird und kritisiert seine persönliche Lebensführung. McCain verließ 1980 seine erste, nach einem Autounfall behinderte Ehefrau, um die junge Tochter eines reichen Bierlieferanten zu heiraten. Erst mit dieser Heirat und dem Umzug nach Arizona, dem Standort des Bierimpe­riums, begann seine politische Karriere.
Auch die Rechtsliberalen sind mit ihrer Partei unzufrieden. Der radikale Rechtsliberale Ron Paul ereichte zweistellige Ergebnisse bei den republikanischen Vorwahlen noch in diesem Monat, obwohl McCain die Wahl längst gewonnen hatte. Den Rechtsliberalen bietet sich der ehemalige republikanische Abgeordnete Bob Barr als Kandidat der Libertarian Party an. Bei einem knappen Wahlausgang könnten auch die zwei bis drei Prozent der Stimmen, mit denen der Kandidat einer dritten Partei allenfalls rechnen kann, entscheidend sein.
Statt seine Wahlkampforganisation aufzubauen, versuchte McCain verstärkt, sich das Image eines politischen Saubermanns zu verpassen. Er sah sich gezwungen, eine Reihe Lobbyisten un­ter seinen engsten Mitarbeitern zu entlassen. Mit seinen 71 Jahren muss er zudem die Anzahl seiner Auftritte begrenzen, und er gilt als schlech­ter Redner.
Obamas rhetorische Fähigkeiten hingegen wer­den selbst von seinen Gegnern anerkannt. In den vergangenen Wochen baute er jedoch auch seine Wahlkampforganisation aus. Mit Parteichef Dean, der seit 2006 mit landesweit geführten, offensiven Kampagnen gegen die Republikaner kämpft, arbeitet er nun an einer gemeinsamen Strategie. In den nächsten Wochen wird ein landesweites Netz von Wahlkampfbüros nach den Prinzipien des community organizing entstehen, kündigte Obamas Chefberater, David Axelrod, an. So sollen vor allem die Jüngeren und die Nicht­wähler erreicht werden.

Die Beteiligung von knapp 60 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen 2004 war für US-Verhält­nisse bereits hoch, es gibt jedoch weiterhin ein großes Potenzial. Die Demokraten hoffen, dass 70 Millionen Amerikaner Obama wählen werden – gut acht Millionen mehr, als 2004 für Bush stimm­ten. Dass die beiden führenden Demokraten zunächst 500 Tage lang in der heftigsten Vorwahlsaison seit 1980, als Senator Edward Kennedy versuchte, den amtierenden Präsidenten Jimmy Carter abzulösen, gegeneinander standen, hat zu einer Politisierung in der Gesellschaft beigetra­gen, die die Demokraten vielleicht nutzen können.
Recht spät räumte Obamas Kontrahentin Hillary Clinton das Feld. Obama nutzte die Zeit für seine Erholung und spielte am Samstag sogar eine Runde Golf. So richtete sich die politische Aufmerksamkeit auf die angekündigte Rückzugsrede Clintons, die ihm ihre »volle Unterstützung« zusicherte und ihre Anhänger aufforderte, sie sollten »so hart für Obama arbeiten wie für mich«. Eine solche Rede wurde nicht nur von den Partei­granden erwartet, sie war auch für die Herstellung einer gewissen Einheit in der Partei nötig. Denn obwohl Obama die Mehrheit der Delegierten für sich gewinnen konnte, unterlag ihm Clinton nur knapp. Fast 18 Millionen Wäh­lerinnen und Wähler votierten für sie – gut ein Viertel der nötigen Stimmen für die Präsidentschaft.
Insbesondere der harte Kern ihrer Unterstützer und die unter ihren Anhängern stärker repräsentierten demographischen Gruppen, darunter Frauen und die »weiße Wählerschaft«, vor allem die Arbeiter in den von der Deindustrialisierung betroffenen Regionen, müssen sich nun mit einem Kandidaten anfreunden, gegen den Clinton mit zuweilen harten Worten agitiert hat. Doch es liege schließlich in ihrem Interesse, dass ab 2009 ein Demokrat im Weißen Haus sitzt, argumentierte Clinton.
Erst unter Lyndon B. Johnson wurden die »Di­xie­crats«, die rassistischen Demokraten der Südstaaten, Mitte der sechziger Jahre entmachtet. Auch heute noch würden viele Demokraten einen Weißen, zur Not auch eine Weiße, vorziehen. Gerechtigkeit zwischen Schwarzen und Weißen sei »kein Nullsummenspiel«, hat Obama im März in seiner Rede zu race erklärt. Mit ihrem Appell an die Interessen bietet Clinton sich als integrierende Figur an. Die beiden großen Parteien müssen zahlreiche Wählergruppen mit unterschiedlichen Interessen für sich gewinnen; für Obama bedeutet dies, dass er Clintons »weiße Wählerschaft« in den battleground states wie Ohio, Pennsylvania und Virginia brauchen wird, auch wenn viele von ihnen rassistische Ressentiments hegen.
Ob er die Stimmen auch bekommen oder es ­McCain zugute kommen wird, dass er der weiße Mann ist, wird sich erst im November erweisen, denn viele Rassisten äußern ihre Vorurteile bei Um­fragen nicht. Manche Ressentiments ­haben an Bedeutung verloren. Der Texaner Lyndon B. Johnson gewann 1960 die Unterstützung der Südstaaten, in denen eigentlich jeder »Papist« als potenzieller Verräter galt, für den Katho­liken John F. Kennedy. In den folgenden Jahren verlor der vormals virulente Antikatholizismus ziemlich schnell an Bedeutung.

Der Rassismus allerdings wird nicht so schnell ver­schwinden. Es wäre dennoch ein nicht zu leugnender Fortschritt in der Geschichte dieser Republik, wenn Obama das Präsidentenamt gewinnen sollte. Wie der Satiriker Jon Stewart jüngst anmerkte, geht Obama nicht nur ins Rennen um das Weiße Haus, sondern auch um die Ehre, später auf einer Münze abgebildet zu werden. Sie wird nur als besonders bedeutend geltenden Präsidenten zuteil, Kennedys Porträt etwa ziert die Halbdollar-Münze.
Clinton wird das nun wohl nicht mehr schaffen, obwohl auch eine Frau im Weißen Haus ein Novum gewesen wäre. Sie formulierte in ihrer Rücktrittsrede wie nie zuvor eine feministische Botschaft und stellte ihre Kampagne um das Präsidentenamt in die Geschichte des Kampfs für die Gleichberechtigung der Frauen in den USA. Es seien durch ihre Kandidatur »18 Millionen Risse in der höchsten gläsernen Decke« entstanden; die »gläserne Decke« bezeichnet in den USA die unsichtbare Barriere, an der viele hochqualifizierte Frauen auf der Ebene des mittleren Managements »hängenbleiben«, so dass sie nicht in die Führungsetage aufsteigen. Wenn eine Frau das nächste Mal für das Amt kan­didiere, werde das Geschlecht der Kandidatin »unbedeutend« sein, da sie den Frauen den Weg zum Weißen Haus geebnet habe, prophezeite Clinton. Leider habe sie ihr »Ziel nicht erreichen können«, doch niemand solle zurückblicken, sondern ständig weiter für die »gleichen Chancen, den gleichen Lohn und den gleichen Respekt« für Frauen kämpfen.
Das wäre dringend nötig in einem Land, in dem der Anteil weiblicher Abgeordneter niedriger ist als in Afghanistan und in dem das Oberste Gericht 2007 die Lohndiskriminierung von Frauen faktisch wieder unbehindert gestattete. Damit sind die nach dem 1964 verabschiedeten Civil Rights Act erreichten Fortschritte gefährdet, und im Senat blockieren George W. Bush und die Republi­kaner die Wiederherstellung der antidiskriminatorischen Gesetzgebung. Die dringlichen aktuel­len Fragen hat Clinton nur indirekt erwähnt, sie betonte, dass man für den Erfolg einen demokra­tischen Präsidenten brauche.
Im Hinblick auf die politische Repräsentation wird immerhin in beiden Parteien diskutiert, dem Präsidenten eine Vizepräsidentin an die Seite zu stellen. Bei den Republikanern könnten dies die ehemaligen Konzernchefinnen Carly Fiorina (Hew­lett Packard) oder Meg Whitman (E-bay) sein, oder auch die Senatorin Kay Bailey Hutchinson aus Texas. Unter den Demokraten sind neben Clin­ton auch Kathleen Sebelius, Gouverneurin von Kansas, und Senatorin Claire McCaskill aus Missouri im Gespräch.