Innere Sicherheit

Republik der Flics

Die konservative Regierung Frankreichs will die Gesetze zur Inneren Sicherheit weiter verschärfen. Die Reform betrifft vor allem soziale Randgruppen und Immigranten.

Beim dritten Mal war der Mörder erfolgreich. Zuerst tauchte der 45jährige Lkw-Fahrer Joël Damman in seinem Jeep vor einem Café auf, schoss, ohne jemanden zu treffen, und fuhr in aller Seelenruhe davon. Eine halbe Stunde später, so berichteten Zeugen, kam er zurück und zielte erneut auf die Gäste des Cafés. Einige Minuten darauf brach der 17jährige Mohammad Maghara schwer verletzt zusammen. Er starb auf dem Transport ins Krankenhaus, drei weitere Personen wurden bei dem Vorfall in der nordfranzösischen Hafenstadt Dunkerque verletzt. Ein Motiv konnte die Polizei nicht entdecken, der Mörder und das Opfer kannten einander nicht. Und Damman blieb während der Tat sowie bei seiner Verhaftung vollkommen ruhig.

»Eine Mischung aus Alkohol und Rassismus«, erklärte später die Polizei lapidar, habe einen »explosiven Cocktail« (Libération) gebildet. Damman hatte am vorletzten Freitag offenkundig vor, mit einem »Araber« abzurechnen. Denn das Café im früheren Arbeitervierteln von Dunkerque wird vor allem von Einwanderern aus dem Maghreb besucht. Eine junge Frau aus seinem Bekanntenkreis sei »von Maghrebinern belästigt« worden, gab der Täter später der Polizei zu Protokoll.

Der antiarabische Rassismus ist in Teilen der französischen Gesellschaft, vor allem wegen der kolonialen Vergangenheit in Nordafrika, weiter verbreitet als andere chauvinistische Verhaltensmuster. Dass sich daraus gewalttätige Handlungen ergeben, ist zwar nicht neu. Doch seit dem 11. September des vergangenen Jahres kommen rassistische Attacken öfter vor.

Die »Bekämpfung der Gewalt« ist auch zu einem zentralen Anliegen der neokonservativen Regierung avanciert. Die Innere Sicherheit gilt seit dem Regierungswechsel im Juni als oberste Priorität, der im Laufe der Legislaturperiode, trotz rigider Sparmaßnahmen in anderen Bereichen, zehn Milliarden Euro zusätzlicher Mittel gewidmet werden sollen.

Erst am 30. August trat ein Gesetz zur Inneren Sicherheit in Kraft, das der Polizei zahlreiche neue Befugnisse gibt (Jungle World, 35/02). Doch das genügt dem Innenminister Nicolas Sarkozy schon längst nicht mehr. Sein Ministerium präsentierte bereits einen neuen Entwurf, der in weiten Teilen von einer konservativen Polizeigewerkschaft ausgearbeitet wurde. Er sieht vor, eine ganze Reihe von Handlungen unter Strafe zu stellen, die bisher nicht geahndet wurden. In der ersten Oktoberwoche wurde der Entwurf an die Presse weitergegeben, in der kommenden Woche soll er vom Kabinett und noch vor Jahresende im Parlament verabschiedet werden.

Die neuen Paragrafen werden jedoch solche Taten wie in Dunkerque kaum verhindern können. Sie werden entsprechende gesellschaftliche Tendenzen verstärken, da sie sich vor allem gegen soziale Randgruppen und Immigranten richten.

Die Bestimmungen betreffen vor allem Sinti und Roma, denen wegen illegalen Campierens sechs Monate Haft, drei Jahre Führerscheinentzug und die Konfiszierung der Fahrzeuge drohen. Auch Hausbesetzungen, bislang eine Ordnungswidrigkeit, können bald mit sechs Monaten Freiheitsentzug und 3 000 Euro Geldstrafe geahndet werden. Derzeit leben im Großraum Paris über 5 000 Menschen in besetzten Häusern. Dabei handelt es sich allerdings nur zum kleinen Teil um die in Europa typische Besetzerszene, also um junge Linke, Anarchistinnen oder Künstler. In vielen Fällen stammen die illegalen Bewohner aus Familien afrikanischer Herkunft, die auf dem Wohnungsmarkt keine Chance haben. Hilfsorganisationen wie die Wohnrauminitiative Droit au logement organisieren daher in jedem Winter kollektive Besetzungen leer stehender Häuser. Zudem enthält der neue Entwurf einen Absatz über »aggressives Betteln«, das künftig mit sechs Monaten Haft bestraft werden soll.

Eine weitere Sonderbestimmung trifft ausländische Prostituierte, die mit dem Entzug ihrer Aufenthaltserlaubnis und »rascher Abschiebung« bedroht werden. So soll der Handel mit Menschen vom Balkan oder aus einigen afrikanischen Ländern bekämpft werden, der seit Anfang der neunziger Jahre deutlich zugenommen hat.

Der Entwurf Sarkozys schreibt ferner die Bestimmungen des Gesetzes zur Inneren Sicherheit im Alltag fort, das im vergangenen November noch von der damaligen Linkskoalition unter dem Premierminister Lionel Jospin verabschiedet wurde (Jungle World, 44/01). Es wurde unter dem Eindruck der Attentate vom 11. September formuliert und sollte bis Ende des Jahres 2003 gelten. Er hoffe, man werde in zwei Jahren wieder »zur republikanischen Legalität zurückkehren«, hatte der sozialdemokratische Senator Michel Dreyfus-Schmidt in der damalige Debatte noch betont. Doch anstatt die Sonderbestimmungen wie geplant aufzuheben, sollen sie nun noch erweitert werden.

So bleibt die Bestimmung des Gesetzes erhalten, wonach »regelmäßige« Schwarzfahrer mit mehrmonatiger Haft bestraft werden können. Nach Angaben von Le Monde sind bislang Freiheitsstrafen in mindestens sieben Fällen verhängt worden.

Einer der zentralen Punkte der Sonderbestimmungen traf auch Jugendliche in den Trabantenstädten, die meist aus Einwandererfamilien stammen. Das Gesetz stellt die »Zusammenrottungen« von Jugendlichen in den Treppenhäusern und Eingangsbereichen von Hochhäusern unter Strafe, wenn sie dadurch den freien Durchgang anderer Bewohner behindern. Die Bestimmung, die zwei Monate Haft ohne Bewährung vorsieht, wird jetzt noch verschärft. Sanktionen drohen schon dann, wenn die Jugendlichen durch Ruhestörung auffallen, ob am Tag oder in der Nacht. Auch hier handelt es sich um eine Verordnung, die offenkundig auf eine spezifische soziale Gruppe zielt.

Mit der Kriminalisierung einer gesamten Jugendkultur, die sich in den Sozialsiedlungen entwickelt hat, wird man diesem Phänomen sicherlich nicht beikommen. Eher droht sie die vorhandenen Bandenstrukturen noch zu verfestigen und ihnen die Sympathien anderer Jugendlicher in den Banlieues einzubringen.

Bislang regen sich erst zaghafte Proteste gegen die neuen Forderungen aus dem Innenministerium. Auf die parlamentarische Linke wird man dabei kaum vertrauen können. So sieht der frühere sozialdemokratische Innenminister Daniel Vaillant in den Vorhaben eine »Kontinuität« zu seiner Amtszeit. Er erklärte, dass er als Regierungsmitlied ebenfalls einige der geplanten Bestimmungen vorgeschlagen hätte.

Widerspruch kommt hingegen von der Liga für Menschenrechte (LDH) sowie den linken Gewerkschaften von Anwälten (SAF) und Richtern (SM). Die geplante Gesetzesreform sei eine »Kriegserklärung an die Armen«, sagte Michel Tubiana, der Vorsitzende der LDH. Es würden »die Konturen eines beängstigenden Staates« sichtbar, erklärte ein Sprecher der SAF.

Gemeinsam mit linksalternativen Basisgewerkschaften und der Erwerbslosenbewegung rufen die beiden Organisationen für Ende Oktober zu Demonstrationen gegen den Entwurf auf. Einen Teil der Strafrechtsreform nahm die Regierung jedoch bereits freiwillig zurück. Einige Ende September angekündigten Verschärfungen sind dagegen auf später verschoben worden, etwa die Idee, Eltern von Schulschwänzern zu bestrafen.