Innere Sicherheit

Sécurité, Autorité, Popularité

Die neue französische Regierung verschärft die Innere Sicherheit mit Maßnahmen, die im Wahlkampf exklusiv von der extremen Rechten gefordert wurden.

Die Verlautbarungen aus dem Innenministerium klingen, als bereite sich eine Armee darauf vor, feindliche Festungen einzunehmen. Mit den »rechtsfreien Räumen« müsse Schluss sein, ebenso mit den »Bezirken, in die sich die Polizei nicht mehr hineintraut«. Auch der Schattenökonomie wird der Kampf angesagt. Insbesondere richtet sich diese Rhetorik gegen die Banlieues, die Trabantenstädte am Rande der Ballungszentren, in denen zumeist arme Menschen und Einwanderer leben.

Den markigen Worten lässt die neue Mitte-Rechts-Regierung entsprechende Taten folgen. So liefen im Juli 270 Polizisten und Gendarmen in der Pariser Trabantenstadt Nanterre auf, um einen ganzen Vormittag lang die Hochhaussiedlung Cité Pablo Picasso abzusperren und zu durchsuchen. Die Bilanz: 256 Gramm Haschisch, fast ein Gramm pro eingesetztem Mann. Doch das magere Ergebnis betrübte die Beamten nicht. Schließlich gehe es nicht darum, zitierte Le Monde einen namentlich nicht genannten Verantwortlichen, »unmittelbare Ergebnisse zu erzielen«. Wichtiger sei die psychologische Wirkung des Einsatzes »in einem Quartier, das zu den schwierigsten der Stadt zählt«.

Seitdem der Neogaullist Nicolas Sarkozy im Frühjahr das Innenministerium übernommen hat, sind martialische Erklärungen an der Tagesordnung. Selbst im Urlaub kann der Mann, der beinahe zum Premierminister berufen worden wäre, nicht ruhen. Seinen Aufenthalt im Seebad La Baule nutzt er derzeit fast täglich dazu, Polizeiwachen zu besuchen, sich im Hubschrauber durch die Gegend fliegen zu lassen oder die Küstenwache auf hoher See zu inspizieren.

Unter ihm wurden Einheiten der Polizei, die dem Innenministerium untersteht, und der Gendarmerie, die zum Verteidigungsministerium gehört, zu gemeinsamen »Regionalen Eingreifgruppen« zusammengeführt. Daran beteiligt sind auch die Steuerfahndung und der Zoll. Die Razzia von Nanterre war einer der ersten spektakulären Einsätze dieser neuen Sonderkommandos.

Aufbauen will die Regierung zudem eine Polizeireserve in Zivil, die sich hauptsächlich aus pensionierten Beamten rekrutieren soll. »Bei außergewöhnlichen Ereignissen oder in Krisensituationen muss der Staat auf Reservisten zurückgreifen können, wenn die inneren Sicherheitskräfte sich als ungenügend herausstellen«, heißt es in dem Gesetz zur Polizeireform. Dessen Entwurf präsentierte Sarkozy am 10. Juli, keine drei Wochen später wurde es verabschiedet.

Noch schneller durch beide parlamentarischen Kammern gejagt wurde die Reform des Justizministers Dominique Perben. Seine Mitte Juli präsentierte Vorlage wurde durch die Intervention konservativer Parlamentarier noch verschärft. Zu diesen beschlossenen Radikalisierungen gehört, dass den Eltern straffällig gewordener Jugendlicher staatliche Leistungen wie das Kindergeld oder die Familiensozialhilfe gestrichen werden können. Eine Sippenhaftung, die im Wahlkampf die neofaschistischen Präsidentschaftskandidaten Jean-Marie Le Pen und Bruno Mégret lautstark gefordert hatten.

Straffällig gewordene Kinder können nun in geschlossene Erziehungsheime gesteckt werden. Wenn das nicht fruchtet, droht der Knast. Die Altersgrenze für Freiheitsentzug wurde auf 13 Jahre gesenkt.

Nachträglich eingefügt wurde auch die Bestimmung, wonach Schüler für die »Beleidigung einer Lehrperson« mit sechs Monaten Haft bestraft werden können. Einen besonderen Schutz vor Beleidigungen genossen bislang nur »Repräsentanten der Staatsautorität« in Uniform. Diese Maßnahme stieß allerdings auf die Kritik fast aller Lehrergewerkschaften. So kommentierte der Gewerkschafter Jean Maillard: »Lehrer mit Polizisten und Gendarmen gleichzustellen bedeutet, beiden Berufsgruppen die gleiche Autorität zuzusprechen.«

Eine weitere Verschärfung betrifft die Kronzeugenregelung. Schon die Vorgängerregierung unter Lionel Jospin hatte sie auf alle Delikte ausgedehnt, für die Haftstrafen bis fünf Jahre vorgesehen sind. Künftig ist schon bei minder schweren Straftaten, für die nicht mehr als drei Jahre Gefängnis drohen, der Einsatz von Kronzeugen möglich. Auch »Jugendbanden« und die Schattenökonomie will man nun mit diesem Instrument bekämpfen. Zugleich werden die Verteidigungsrechte angegriffen. So ist es künftig möglich, die Aussagen eines Belastungszeugen gerichtlich zu verwerten, ohne dessen Identität dem Beschuldigten oder seinen Anwälten preiszugeben.

Das ging selbst einigen bürgerlichen Abgeordneten zu weit. So kritisierte der Wirtschaftsliberale Claude Goasguen von Chiracs Partei UMP: »Seit 1789 haben selbst die autoritärsten Regime diesen Schritt nicht gewagt.« Aus Parteidisziplin oder aus Rücksicht auf eine nach Innerer Sicherheit rufende öffentliche Meinung stimmte er dann doch für die Reform.

»Ich habe die Botschaft des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftswahl vernommen«, verkündete Justizminister Perben im Parlament. Er meinte die Tatsache, dass knapp jeder fünfte Wähler für einen der beiden neofaschistischen Kandidaten votiert hatte. Kein Wunder, dass vor allem die rechtsextreme Klientel die neuen Maßnahmen begrüßt.

Umfragen zufolge sind 82 Prozent der Wähler und Sympathisanten Le Pens von der Sperre der Unterstützung für die Familienangehörigen jugendlicher Straftäter begeistert. Unter den Anhängern der konservativen Parteien sind es nur 58 Prozent. Hingegen ist die Wählerschaft der Linksparteien mit deutlicher Mehrheit gegen die Bestrafung der Familien.

Von der Neigung zur polizeilichen Verwaltung der gesellschaftlichen Krise ist die etablierte Linke nicht frei. Für einen wachsenden Teil der französischen Sozialdemokratie gehört die repressive Rolle des Staates zu dem, was sie unter der »notwendigen Regulierung« des Marktes und der Ökonomie versteht. So war die Sozialistische Partei (PS) bei der Abstimmung über die Polizeireform gespalten. Weil das Opponieren zum Geschäft der Opposition gehört, plädierte die Partei- und Fraktionsführung dafür, die Gesetzesnovelle abzulehnen. Andererseits meinten einige hochrangige Politiker der Sozialisten, es sei unverantwortlich, gegen Gesetze zu votieren, die man eventuell selbst beschlossen hätte, wenn man weiterhin regieren würde.

Zu den Wortführern dieser Position zählten Daniel Vaillant, der unter Lionel Jospin als Innenminister amtierte, und der angebliche Partelinke Julien Dray, der Parteisprecher in »Sicherheitsfragen«. Letztlich bewilligte die Fraktion zusätzliche Mittel - 5,6 Milliarden Euro für die Polizei und 3,7 Milliarden für die Justiz und den Gefängnisbau -, stimmte aber gegen einzelne Maßnahmen wie die Reservepolizei.

Im Zuge der Ablösung sozialdemokratischer durch konservative Regierungen in den EU-Staaten erhöht sich das Tempo in der Sicherheitspolitik, also der Sozialpolitik mit Polizeimitteln. Ein qualitativer Sprung ist das nicht. In Frankreich wie anderswo auch setzen die Rechtsregierungen fort, was ihre sozialdemokratischen Vorgänger eingeleitet haben.