Das Baskenland

Real gegen Madrid

Glaubt man den baskischen Nationalisten, ist sogar der Wetterbericht manipuliert.

Die Kampagne »Stoppt den Faschismus« soll das Schlimmste verhindern. Und das nicht in Frankreich als Bewegung gegen Jean-Marie Le Pen, und nicht in Österreich oder Italien, wo rechtsextreme Parteien an der Regierung beteiligt sind. Nein, die Kampagne läuft in Spanien, genauer gesagt im Baskenland. Sie wurde initiiert von der linksnationalistischen Partei Batasuna, um das ihr drohende Verbot durch die Zentralregierung in Madrid zu verhindern.

Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben, als wäre der Diktator Francisco Franco nicht gestorben, als gäbe es in der spanischen Verfassung keine Rechte für die autonomen Regionen, als wäre der Faschismus nicht längst der bürgerlichen Demokratie gewichen. Der zu Francos Zeiten noch »antifaschistisch« und »fortschrittlich« konnotierte baskische Nationalismus zeigt sich von den Veränderungen nahezu unbeeindruckt.

Der Feind sitzt in Madrid, das ist die einhellige Meinung der baskischen Nationalisten. Das hoch industrialisierte Baskenland werde ähnlich einer Kolonie ökonomisch ausgepresst. Gleichzeitig sei die Reinheit der Sprache und der Kultur gefährdet, und zwar durch zugereiste Arbeitskräfte aus anderen Regionen Spaniens, wo der Durchschnittsverdienst gerade mal drei Viertel des baskischen beträgt.

Nationalismus ist im Baskenland eindeutig das gesellschaftlich dominante Konzept, vor allem weil es mit diversen anderen Politikangeboten kompatibel ist. Denn katholische Konservative schwenken die baskische Nationalflagge genauso wie anarchistische Hausbesetzer, Unternehmer genauso wie Gewerkschaftsverbände, und die Hausfrau ohne Job genauso wie die Jura-Studentin.

Der Nationalismus in Abgrenzung zum spanischen Staat ist ein weit verbreitetes, simples Erklärungsmuster. Was immer auch schief läuft, immer lässt sich sagen: »Die in Madrid sind schuld.« Das reicht bis zum Vorwurf, der Wetterbericht werde »von denen in Madrid« bewusst manipuliert, um der baskischen Tourismusbranche zu schaden.

In Spaniens konservativer Regierungspartei, dem Partido Popular (PP) unter der Führung des Ministerpräsidenten José María Aznar, findet der baskische Nationalismus dabei einen dankbaren Gegner. Denn der PP ist eine post-franquistische Partei, die auf separatistische Tendenzen ähnlich aggressiv reagiert wie einst der Diktator Franco. Mit diesem autoritären Konzept tritt der PP dabei nicht nur der bewaffneten Baskenorganisation Eta entgegen, sondern allem, was sich im Baskenland linksnationalistisch nennt.

So erklärte die Regierung Aznar Anfang April, sie werde die Partei Batasuna verbieten, weil diese als politischer Arm der Eta gilt. Da ein Verbot nach der momentanen Rechtslage nicht möglich ist, braucht Spanien zuerst allerdings ein neues Parteiengesetz. An der Gesetzesnovelle arbeitet die Partei nun fleißig. Und PP-Generalsekretär Javier Arenas kündigte an: »An dem Tag, an dem das neue Parteiengesetz in Kraft tritt, werden die Abgeordneten und Senatoren der PP das Verbot von Batasuna beantragen.«

Im Baskenland musste diese Ankündigung zwangsläufig für einen Aufschrei sorgen. Batasuna organisiert seitdem die Kampagne »Stoppt den Faschismus«, mit der sie auf die Mobilisierung der »gesamten baskischen Gesellschaft« setzt.

Angesprochen sind damit freilich nur jene, deren Vorfahren Basken waren und die heute die baskische Sprache beherrschen. Sie sollen aufbegehren gegen die »spanischen Faschisten« der PP, aber ebenso gegen die sozialdemokratische Partei PSOE.

Und Batasuna steht mit dieser Position nicht allein. Neben jenen etwa zwölf bis 18 Prozent der baskischen Bevölkerung, die bei Wahlen für die Linksnationalisten votieren, weiß sie auch die nationalistischen Konkurrenzparteien, die konservative Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) und die gemäßigte Solidaritätspartei (EA), hinter sich. So eilte der frühere PNV-Vorsitzende Xabier Arzalluz Batasuna zu Hilfe, allerdings nicht, um ein Parteienverbot an sich zu kritisieren, sondern um eine erneute Madrider Verschwörung zu wittern: Der PP wolle »das baskische Wahlvolk verbieten«. Und als deutliche Anspielung auf den Franquismus ergänzte er: »Eines Tages werden auch wir uns in den Händen des Innenministeriums wiederfinden.«

Was die Feindschaft gegen den spanischen Staat angeht, gibt es kaum Differenzen zwischen den einzelnen Fraktionen der baskischen Nationalisten. Kein Wunder, sind sie doch letztlich alle aus der PNV, die 1895 die bürgerliche baskische Nationalbewegung begründete, hervorgegangen. Auch die bewaffnete Separatistengruppe Eta entstand 1959 als Abspaltung des PNV-Jugendverbandes Ekin.

So unterscheiden sich die verschiedenen Fraktionen des baskischen Nationalismus, die von linksnationalistisch bis klerikal-konservativ reichen, hauptsächlich in der Wahl ihrer Mittel. Will die Eta ein Groß-Baskenland, das neben dem jetzigen Autonomiegebiet die spanische Region Navarra und einen Teil Südfrankreichs umfassen soll, mit aller Macht herbeibomben, so betrachten PNV und EA die Unabhängigkeit, die aus einem Verhandlungsprozess hervorgehen soll, als langfristiges Ziel.

Von der derzeitigen Generation der Eta-Aktivisten, die fast alle jünger als 30 Jahre sind, wird diese partizipative Strategie der gemäßigten Nationalisten oft als »Volksverrat« gewertet. Nach Angaben der spanischen Ermittlungsbehörden stehen deshalb auch PNV- und EA-Vertreter auf den Abschusslisten der bewaffneten Separatisten. Eine Vorgehensweise, die der Eta im Baskenland wenig Sympathien einbringt.

Für weit weniger Bestürzung sorgt die Eta dagegen, wenn sie fern des heimischen Territoriums zuschlägt. Autobomben wie am 1. Mai in der Madrider Innenstadt, wenige Stunden vor dem Champions-League-Halbfinale zwischen Real Madrid und FC Barcelona, bringen zwar den Rest Spaniens fast einmütig gegen die Separatisten auf. In der baskisch-nationalen Bewegung aber sehen das die meisten gelassen. Schließlich geschah der Anschlag in Madrid, der Hauptstadt der vermeintlichen kolonialen Unterdrücker.

Dabei ist der Wunsch nach einem Nationalstaat nicht nur anachronistisch, sondern, im Fall des Baskenlandes, auch ahistorisch. War es doch die baskische Bourgeoisie, die vor zirka 100 Jahren keinen unabhängigen Nationalstaat wollte. Der einfache Grund: Die Zugehörigkeit zu Spanien sicherte der baskischen Industrie einen großen Absatzmarkt - im ländlichen Rest Spaniens wie in den transatlantischen Kolonien.