Kriegsverbrechertribunal in Den Haag in Schwierigkeiten

Stirb langsam

Dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag geht die Luft aus. Finanzielle Schwierigkeiten und mangelnde Reputation erschweren die Arbeit.

Für den mazedonischen Innenminister Ljube Boskovski ist eine mögliche Verfolgung durch das Kriegsverbrechertribunal im niederländischen Den Haag nichts weiter als ein willkommenes Wahlkampfmotto. »Wir lassen unseren Bruder nicht nach Den Haag gehen«, ließ der Nationalist in den vergangenen Wochen auf zahlreiche Plakate drucken, die in der mazedonischen Hauptstadt Skopje angebracht wurden.

Dabei muss »Bruder Ljube« aller Voraussicht nach gar nicht nach Den Haag. Zwar bestätigte die Den Haager Chefanklägerin Carla del Ponte bei ihrem Besuch in Skopje Anfang Mai, dass es Ermittlungen wegen fünf mutmaßlichen Massakern gebe, die während der Kämpfe zwischen den mazedonischen Streitkräften und den albanischsprachigen Separatisten verübt worden sein könnten. Eine Anklage gegen den Innenminister aber dementierte sie.

Auch von internationalen Beobachtern in Mazedonien wird die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Überstellung Boskovskis nach Den Haag eher als gering eingeschätzt. »Er soll zwar an der Erschießung von zehn albanisch-mazedonischen Zivilisten in Ljuboten in der Nähe Skopjes verwickelt gewesen sein. Das Grab wurde aber erst vor drei Wochen exhumiert. Und für eine Anklage reicht das alles wohl nicht aus«, sagte OSZE-Sprecher Harald Schenker in Skopje gegenüber Jungle World.

Vielmehr, so behauptet er, sei der Verweis auf das Kriegsverbrechertribunal dem Wahlkampf geschuldet. Schließlich sollen am 15. September Parlamentswahlen in Mazedonien stattfinden, und del Ponte ist in der Region immer gut für nationalistische Parolen.

Doch nicht allein wahltaktische Überlegungen stecken hinter der seltsamen Kampagne des mazedonischen Innenministers. Er weiß ganz genau, dass es mit der Reputation del Pontes und des Haager Tribunals nicht mehr weit her ist. Bis zur Verhaftung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic verstand sich das Tribunal als einziges zuständiges Gremium für die Strafverfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrecher. Doch nun wird dieser Anspruch langsam aufgegeben.

Bei ihrem Besuch in Kroatien vor zwei Wochen machte del Ponte deutlich, dass in Zukunft wesentlich häufiger als bisher die Verurteilung mutmaßlicher Kriegsverbrecher den Gerichten in den betroffenen Staaten selbst überlassen werden soll. In Kroatien und Bosnien ist das auch schon in einigen Fällen geschehen.

Es gibt viele Gründe, warum der Haager Anklägerin langsam die Luft ausgeht. Die USA sind nicht mehr bereit, die Existenz des Tribunals über das Jahr 2008 hinaus zu gewährleisten. Die Anwälte Milosevics starteten bereits vor Monaten eine Initiative, um dem Tribunal die finanzielle Unterstützung zu entziehen, und der Gerichtsadministrator Hans Holthuis musste schon Anfang des Jahres zugeben, dass die Budgetsituation des Tribunals mehr als angespannt sei.

Die aktuellen Auslieferungen ehemaliger hochrangiger Funktionäre aus Jugoslawien nach Den Haag sind zwar auf den ersten Blick ein Erfolg für die Chefanklägerin, gleichzeitig aber werden diese Prozesse die Ressourcen des Tribunals schwer belasten. So kostet nach Schätzungen der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik eine einzige Gerichtsstunde gegen Milosevic etwa 6 000 Euro.

Die bald beginnenden Prozesse gegen den erst kürzlich in Den Haag eingelieferten Milosevic-Vertrauten Nikola Sainovic und den ehemaligen jugoslawischen Armeechef Dragoljub Ojdanic werden vermutlich kaum billiger werden.

Die Staaten auf dem Balkan entdecken nun ihre Chance, dem Tribunal in den Niederlanden ein Ende zu bereiten. Sie starten jetzt vorsichtige Initiativen, Prozesse gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher im jeweils eigenen Land durchzuführen. So erklärte ein nicht namentlich genanntes Regierungsmitglied in Zagreb gegenüber der kroatischen Zeitung Vecernij List, der Wunsch Kroatiens, in Zukunft alle Kriegsverbrecherprozesse selbst durchzuführen, sei verständlich, weil »das Leben des Tribunals langsam zu Ende geht«.

Die Motive der Zagreber Regierung sind dabei einfach zu durchschauen. Ein Prozess im eigenen Land wäre für die nationalistische Opposition wesentlich leichter zu akzeptieren als einer vor dem Internationalen Gerichtshof. Ein Mitarbeiter des kroatischen Präsidenten Stipe Mesic meinte gegenüber Jungle World, die Chancen, dass sich der im letzten Jahr geflohene kroatische General Ante Gotovina den Behörden stelle, sei wesentlich höher, wenn man ihm versprechen könne, vor einem kroatischen Gericht ein Verfahren zu bekommen.

An den großen Vorbehalten gegenüber dem Tribunal ist allerdings del Ponte ebenso wie auch ihre Vorgängerin Louise Arbour nicht ganz unschuldig. Denn beide haben es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, das Gericht als unabhängige Instanz zu etablieren. Stattdessen gilt das Tribunal in den jeweiligen Staaten der Region als parteiische Institution.

Die nationalistische Opposition in Kroatien bezeichnete die Anklägerin während ihres Besuches als »voreingenommen«. Die wenigen noch in Kroatien lebenden Serben werfen der Schweizer Juristin wiederum vor, dass sie keinen einzigen Tatort besucht habe, an dem Serben während des Krieges von kroatischen Streitkräften massakriert worden sein könnten.

Auch in Serbien wächst die Skepsis gegenüber Den Haag, nicht zuletzt wegen des zweifelhaften Verlaufs des Prozesses gegen Milosevic. Zwar hat der serbische Premierminister Zoran Djindjic in der Vorwoche die Verhaftung von 17 weiteren mutmaßlichen Kriegsverbrechern, darunter auch Radovan Karadzic und Ratko Mladic, angeordnet. Mit weiteren Auslieferungen sei aber nicht mehr zu rechnen.

»Das Haager Tribunal kann uns gerne auffordern, Ussama bin Laden oder sonst wen auszuliefern, von dem es denkt, er sei in Serbien.« Die Regierung habe bereits »das Maximum dessen getan, was zu tun ist«, erklärte Djindjic in der vergangenen Woche.

Dass Karadzic und Mladic auch sieben Jahre nach dem Ende des Bosnien-Krieges noch immer nicht gefasst werden konnten, unterstreicht die Hilflosigkeit des Tribunals. Die Ankläger beschuldigen denn auch abwechselnd die Belgrader Behörden und die Sfor in Bosnien, die beiden derzeit wohl meistgesuchten Flüchtlinge zu decken.

Nicht nur die serbische Regierung, auch die Vertreter der Nato reagieren auf diese Vorwürfe immer gereizter. Mit einem achselzuckenden Bedauern meinte Nato-Generalsekretär George Robertson vor kurzem, das Mandat der Sfor würde es nur erlauben, Karadzic und Mladic zu verhaften, wenn sie »ihnen über den Weg laufen«. Ein eher unwahrscheinliches Szenario.

Dabei übersehen del Ponte und ihre Ermittler vor allem eines: Gerade der Milosevic-Prozess zeigt, dass es nicht damit getan ist, möglichst viele Angeklagte im Untersuchungsgefängnis von Scheveningen zu versammeln. An schriftlichen Beweisen für deren mutmaßliche Verbrechen müsste del Ponte vor allem gelegen sein, doch gerade in diesem Punkt verfolgen sämtliche Staaten auf dem Balkan eine erfolgreiche Verhinderungstaktik. Beispielsweise werden die Staatsarchive nur in sehr beschränktem Ausmaß geöffnet.

So hat auch die jugoslawische Armee im Fall ihres ehemaligen Oberbefehlshabers Dragoljub Ojdanivic schon angekündigt, keine Dokumente herauszurücken. Und die Regierung in Belgrad verschanzt sich hinter dem Argument, man könne schließlich »keine Staatsgeheimnisse offen legen«.