Selbstmordattentat

Jihad fürs Vaterland

Die Politik der pakistanischen Regierung gegenüber den Islamisten bleibt ambivalent. Wegen der Präsenz von US-Truppen im Grenzgebiet zu Afghanistan drohen neue Konflikte.

Zafran Bibi saß bereits mit ihrem sieben Monate alten Säugling in der Todeszelle. Vor zwei Jahren hatte sie Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet. Doch die Tatsache, dass ihr Kind gezeugt wurde, während ihr Ehemann im Gefängnis war, genügte dem Sharia-Gericht in Kohat für eine Verurteilung zum Tod durch Steinigung wegen Ehebruchs.

Nach Protesten von Menschenrechtsorganisationen wurde am vergangenen Mittwoch verfügt, dass sie in einem normalen Gefängnis den Ausgang ihres Berufungsverfahrens abwarten darf. Da Präsident Pervez Musharraf sich gegen eine Vollstreckung des Urteils ausgesprochen hat, wird Zafran Bibi die Todesstrafe wohl erspart bleiben. Von einer Abschaffung der Sharia-Gerichte will die Regierung aber nichts wissen.

Die Grundlage der Verurteilung Zafran Bibis ist die 1979 vom islamistischen Militärdiktator Zia ul-Haqq durchgesetzte Hudood Ordinance, die außerehelichen Geschlechtsverkehr unter das koranische Strafrecht stellt. Urteile der Sharia-Gerichte werden in Berufungsverfahren häufig aufgehoben, zu Hinrichtungen kam es bislang nicht. Doch die Hudood Ordinance legitimiert Lynchmorde zur Wiederherstellung der »Familienehre«. Nach einer Schätzung der Human Rights Commission of Pakistan wurden allein 1999 mehr als 1 000 Frauen getötet, denen Ehebruch vorgeworfen wurde.

Die Existenz einer so genannten islamischen Rechtsprechung parallel zum staatlichen Justizsystem begünstigt die Islamisten. Sie können darauf verweisen, dass ihre Ideologie Grundlage des staatlichen Handelns ist, und zugleich beklagen, dass sie nur inkonsequent durchgesetzt wird. »Pakistan wurde im Namen des Islam gegründet, der das oberte Gesetz sein sollte«, mahnte Qazi Hussein Ahmed, der Führer der Jamaat-e-Islami (JI) am Freitag. Die religiösen Parteien würden einen Kurs der Säkularisierung nicht dulden.

Allzu große Sorgen muss er sich jedoch nicht machen. Musharrafs Politik folgt konsequent dem, was er unter den nationalen Interessen Pakistans versteht. Dazu gehört auch, islamistische Gruppen für außenpolitische Ziele zu benutzen, derzeit vor allem in Kaschmir. Erst unter dem Druck der USA und nach Kriegsdrohungen Indiens ging die Regierung gegen die bewaffneten Islamisten vor, und die meisten der Anfang des Jahres Verhafteten sind längst wieder auf freiem Fuß.

Die zum Teil gut bewaffneten und beim Militär und im Geheimdienst präsenten Islamisten konsequent zu bekämpfen, könnte die Regierung destabilisieren. Allerdings ist die derzeitige ambivalente Politik ebensowenig dazu geeignet, die Lage zu beruhigen. Am vergangenen Mittwoch wurden bei einem Bombenanschlag in Karachi elf Franzosen und zwei Pakistanis getötet, insgesamt ist die Zahl islamistischer Terroranschläge stark angestiegen. Nach Angaben der Polizei wurden in Karachi in den letzten zwei Jahren 100 Menschen bei Anschlägen extremistischer religiöser Gruppen getötet, 40 von ihnen starben in den vergangenen drei Monaten. Das Attentat war jedoch der erste Selbstmordanschlag in Pakistan, und es traf ein Projekt, das dem pakistanischen Militär sehr am Herzen liegt.

Die elf getöteten französischen Ingenieure arbeiteten an der Fertigstellung des zweiten von drei U-Booten der Agosta 90 B-Klasse. Die von der französischen Rüstungsfirma DCN entworfenen U-Boote sollen helfen, im Kriegsfall eine Seeblockade der indischen Marine zu verhindern, zudem kann Pakistan sich im Rahmen der Fertigung in Karachi moderne französische Rüstungstechnologie aneignen und ist berechtigt, die U-Boote auf eigene Rechnung zu bauen und zu exportieren.

Während die islamistischen Entführer des Journalisten Daniel Pearl (Jungle World, 11/02) unter anderem gefordert hatten, die US-Regierung solle den Lieferstopp für F-16-Kampfflugzeuge aufheben, zeigten die Attentäter von Karachi weniger Verständnis für die Sorgen des pakistanischen Militärs. Ein Indiz dafür, dass die Attentäter tasächlich aus den Reihen der al-Qaida stammen könnten, denn pakistanische Islamisten argumentieren nationalistisch und vermeiden alles, was die Kriegsbereitschaft gegenüber Indien schwächen könnte.

So verurteilten die großen islamistischen Parteien umgehend den Anschlag. Aus ihrer Sicht ist allerdings Musharrafs Politik, vor allem die Beteiligung am Krieg in Afghanistan, für die Eskalation verantwortlich. Dass US-Soldaten jetzt im Grenzgebiet zu Afghanistan auf pakistanischem Territorium agieren, ist derzeit der Hauptangriffspunkt islamistischer Propaganda. »Musharrafs Regierung spielt mit dem Feuer«, warnte JI-Führer Qazi Hussein Ahmed am Dienstag vergangener Woche, zudem sei die Anwesenheit ausländischer Truppen eine Gefahr für die nuklearen Anlagen und die Verteidigung des Landes.

Bereits zu Kriegsbeginn hatten die Islamisten ein Übergreifen der Kämpfe auf Pakistan prophezeit. Eine Eskalation im Grenzgebiet, wo Islamisten und konservative Notable zum Kampf gegen die USA aufrufen, würde Musharrafs Politik weiter delegitimieren, zumal die »Kriegsdividende«, die Verbesserung der Lebensverhältnisse durch westliche Finanzhilfen und Handelserleichterungen, auf sich warten lässt. »Die Bevölkerung hat Kaufkraft verloren, und wegen der wachsenden Gesetzlosigkeit ist niemand bereit, hier zu investieren«, klagt Maulana Fazlur Rahman von der islamistischen Jamiat Ulema-i-Islam.

Dass die Islamisten zur Gesetzlosigkeit beigetragen haben, mag die Wirkung ihrer Propaganda mindern. Doch Musharraf hat es nicht nur versäumt, die Basis seiner Herrschaft zu verbreitern, sondern sich mit dem Wahlbetrug beim Referendum vom 30. April von potenziellen Verbündeten isoliert. Eine Integration der bürgerlichen Opposition, mit der die Regierung zuvor über ein Bündnis gegen die Islamisten verhandelt hatte, dürfte unmöglich geworden sein.

97,5 Prozent der Wähler stimmten nach offiziellen Angaben bei einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent für eine Verlängerung von Musharrafs Amtszeit um fünf Jahre. Doch nie zuvor hat sich mehr als ein Drittel der Bevölkerung an Wahlen beteiligt. Auf die Erstellung eines Wählerregisters wurde von vornherein verzichtet, viele Staatsangestellte waren daher den ganzen Tag lang damit beschäftigt, immer wieder Musharraf zu wählen.

Die Wahlmanipulation in großem Stil belegt, dass sich der Präsident der westlichen Unterstützung sicher wähnt. Tatsächlich muss er sich, anders als afrikanische Präsidenten, nicht mit Sanktionsdrohungen wegen undemokratischer Praktiken oder lästigen Anfragen wegen der Tätigkeit der Sharia-Gerichte auseinandersetzen. Möglicherweise aber überschätzt er die strategische Bedeutung, die Pakistan durch die Beteiligung am Krieg in Afghanistan gewonnen hat.

Die US-Regierung jedenfalls scheint derzeit stärker auf ein Bündnis mit Indien zu setzen. Am Samstag begannen die ersten gemeinsamen indisch-amerikanischen Manöver seit 39 Jahren, dies sei ein »Teil wachsender Militärbeziehungen«, wie der Sprecher der US-Botschaft in New Delhi erklärte. Bereits im April hatte die US-Regierung die Lieferung von acht Firefinder-Radargeräten genehmigt, die feindliche Artilleriestellungen orten können. Für die pakistanischen Artilleristen, die sich noch immer fast täglich Duelle mit ihren indischen Kollegen liefern, könnten nun gefährlichere Zeiten beginnen.