Wiederaufbau des Berliner Schlosses

Die Schlossstrich-Debatte

Um die deutsche Einheit symbolisch zu besiegeln, reicht kein Brandenburger Tor, es muss ein Schloss her.

Das Berliner Stadtschloss soll wieder aufgebaut werden. Das jedenfalls besagt der Abschlussbericht, den die Kommission Historische Mitte Berlin in der vergangenen Woche vorstellte. Genauer: Die barocke Schlüter-Fassade soll rekonstruiert werden, ebenso der Schlüter-Hof, und von den einstigen Innenräumen des Schlosses möchte man zumindest den Weißen Saal wiedersehen. Die Gesamtkosten des Projektes veranschlagt die vom Bundesbauministerium einberufene Expertenkommission auf rund 630 Millionen Euro, finanzieren soll es zum einen der Bund, zum anderen die Wirtschaft, die Fassade schließlich will man aus Spendengeldern bezahlen.

Die für dieses Projekt zuständigen Politiker halten ihre Begeisterung zur Zeit noch zurück, denn sie wissen so gut wie wir, dass es bei diesen 630 Millionen Euro nicht bleiben wird. Entsprechend erklärte Bundesbauminister Kurt Bodewig, dass er sich »mit der Fassadenfrage nicht belasten« werde, er werde allerdings alle Fragen, die das positive Votum nach sich zieht, im Laufe eines Jahres prüfen lassen. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit erklärte, er sei zwar ein Anhänger der modernen Architektur, werde aber seine persönliche Meinung hintanstellen.

Auf einzelne Meinungen kommt es auch gar nicht mehr an. Denn schon länger zeichnet sich ab, dass das Schloss so oder so gebaut werden wird. Denn mit diesem Platz hat es eine besondere Bewandtnis. Es geht längst nicht mehr nur um die parkplatzgroße Fläche, auf der heute der Palast der Rebublik steht, über dessen Erhalt niemand mehr ernsthaft spricht. Dieser Ort ist zu einem Symbol für das neue Deutschland stilisiert worden.

Daran mitgearbeitet haben die Feuilletons. Während der FAZ-Redakteur Florian Illies den schon in seinen bürgerlichen Erbauungsbüchern geforderten Geschichtsfrieden nun mit dem Ausruf »Baut dieses Schloss!« erneut lautstark einforderte, bezeichnete die ansonsten zögerliche SZ den Platz als »prominentesten Schnittpunkt des deutschen Sinnstiftungs-Koordinatensystems« und als den »symbolisch bedeutungsvollsten Ort, über den die Deutschen in diesen Jahren (nach dem zentralen Mahnmal) zu entscheiden haben«.

Ein großes Ärgernis bleibt für die Einheitsanhänger, dass das geplante Mahnmal für die ermordeten Juden Europas südlich des Brandenburger Tores die Geschichtsvergessenheit, die die Wiederauferstehung des Schlosses noch weiter befördern soll, empfindlich stören wird. Im Februar schrieb Stefan Ripplinger in der Jungle World: »Aus der Sprengung des Schlosses wurde in 50 Jahren Schloss-Debatte seine Vernichtung, und, vice versa, aus der Vernichtung der Juden die Selbstzerstörung des legitimen Deutschland. Sage niemand, die beiden Vorgänge hätten nichts miteinander zu tun. Unvergänglich bleibt die moralische Kraft des Symbols und des Milieus, das es hochhält und das auch mit Dynamit nicht zu belehren ist.« Dem kann nur zugestimmt werden.

Denn der Wiederaufbau des 1950 von der DDR gesprengten Baus soll ein Projekt symbolisch vollenden, das bereits vor der Wiedervereinigung und auch schon vor der Gründung der Bundesrepublik begonnen wurde: das Projekt der Einheit Deutschlands. Und damit ist in diesem Fall jenes Deutschland gemeint, das nach der Reichsgründung 1871 entstehen sollte. Doch bis zuletzt hatte dieses Deutsche Reich, egal ob es vom Gründervater Bismarck oder von Hitler geführt wurde, seine nationale Einheit nie wirklich erlangt.

Deutschland war - aus der Sicht von Nationaltheoretikern - ein Wechselbalg. In dem Sinne, dass es weder je ganz preußisch noch ganz bayerisch war und uneins in seiner Verfassung. Deutschland war kein Bundesstaat und hatte keinen Bundesrat, der die Staaten zur Ordnung rufen konnte. Auch wurde das Deutsche Reich, das sich zwar auf das mittelalterliche Heilige Römische Reich berief, zunächst von einem Kaiser Wilhelm I. regiert, der zugleich König eines Teilstaats war. Es wimmelte nur so von Regional- und sogar von Stadtparlamenten, und der gewählte und relativ machtlose Reichstag selbst wiederum taugte nicht zum reichseinenden Element.

Auch in kultureller Hinsicht gab es keine deutsche Einheit. Eine bürgerliche Nation ist Deutschland unterm Kaiser und in der Weimarer Republik nie geworden. Dann kam das Dritte Reich, auf das sich positiv zu beziehen dank der Alliierten unmöglich geworden ist. Es folgte die Zeit, in der zwei deutsche Staaten existierten, die als vollwertig anzuerkennen jedem Nationalisten unmöglich war, und auch der Versuch Honeckers, der DDR als Nachfolgestaat Preußens ein Nationalgefühl zu oktroyieren, musste scheitern.

Nun aber kann, so legen es zum Beispiel die Schriften von Historikern wie Heinrich August Winckler nahe, die Geschichte der deutschen (Reichs-) Einheit kurz vor der Einigung Europas doch noch vollendet werden. Dazu aber muss Deutschland ein »normales« Land werden. Der erste Schritt ist nach dem Fall der Mauer gemacht worden. Deutschland, dessen Souveränität seitdem unumstritten ist, hat sich in außenpolitische Konflikte eingemischt, es entsendet Militär und kämpft auch mal gegen den »neuen Holocaust« und für Menschenrechte. Es ist, wenngleich sehr spät, zu einem Alliierten geworden.

Innenpolitisch hat man sich längst darauf geeinigt, dass die Deutschen zwischenzeitlich in das »Jahrhundert der Extreme« hineingeraten waren und dass es anderen Nationen auch nicht besser ergangen ist. Stalin wird gegen Hitler aufgerechnet - überall Verbrecher und alles ist schlimm. Doch dass man in der Gegenwart wie eine klassisch-bürgerliche Nation auftritt, hilft den Nationalisten noch nicht dabei, nun auch die viel beschworene »innere Einheit« in Deutschland spürbar werden zu lassen. Wenn die Deutschen sich, wie es Rudolf Augstein und Martin Walser beklagt haben, nur mit dem Negativen in ihrer Geschichte auseinandersetzen, kann diese Einheit nicht gefühlt werden. Daher braucht es jene Opferdebatte, die Grass mit seiner Novelle »Im Krebsgang« begonnen hat, ebenso wie versöhnliche Projekte.

Wenn in Potsdam oder Dresden alte Kirchen oder Schlösser wieder aufgebaut werden, bleibt der Hinweis auf »alliierten Bombenterror« nicht aus. Jede Lokalzeitung zeigt inzwischen Bilder aus der Gründerzeit oder dem Jahre 1900, um zu demonstrieren, wie schön es war, bevor Hitler die Deutschen »verführte«. Jetzt, da Deutschland gelernt hat, seine Schuld anzuerkennen, kann man sie endgültig vergessen machen.

Doch dazu braucht es noch große nationale Symbole. Das Brandenburger Tor, das sich anbieten würde, taugt nur bedingt als solches, denn es ist kaum mehr als ein stilisiertes Stadttor in der Mitte Berlins und war obendrein noch das Symbol der Teilung. Wenn man jedoch das Schloss, das einst jenem König gehörte, der 1871 als erster Deutscher Kaiser den Thron bestieg, wieder aufbauen würde, dann hätte man ein Symbol für die späte Nationalstaatlichkeit Deutschlands, ein geschichtsträchtiges Gebäude, das man sich selbst neu erschaffen hätte. Man wird sich also dafür entscheiden, an diesem Ort, der über zehn Jahre so mühsam zum Mittelpunkt sowohl der Hauptstadt als auch des Landes hochgeschwafelt wurde, das Schloss hochzuziehen.

Da mögen Kritiker wie der Präsident der Bundesarchitektenkammer, Peter Conradi, oder die Gruppe »Berliner Unwille« noch so lautstark protestieren: Das Ding wird gebaut werden. Denn es geht hier nicht um Geld, es geht nicht um Preußen, es geht nicht um Berlin oder um die Architektur - es geht hier um die Einheit der deutschen Nation.