Bedrohte Kartoffelsorten in Peru

Die Retter der Urkartoffel

Das Lieblingsgemüse der Deutschen kommt aus den Anden. Rund um den ­Titicacasee wird es seit rund 8 000 Jahren angebaut. In Peru kümmern sich das ­internationale Kartoffelinstitut und ein Kartoffelpark um den Erhalt der Artenvielfalt. Denn viele der andinen Kartoffelsorten sind vom Aussterben bedroht.

Papamanka steht auf dem Schild über der Eingangstür zu dem kleinen Restaurant im Herzen des Dorfes Chawaytire. »Kartoffeltopf heißt das auf Quetchua«, erklärt Milton Gamarra und deutet auf die Frauen, die in der kleinen Küche stehen und die Speisen zubereiten. Karapulca heißt eines der traditionellen Gerichte aus den Anden, die hier – einige Kilometer von der alten Inka­stadt Cusco entfernt – gekocht und serviert werden. »Die Frauen haben die Küche gegründet. Nicht nur um alte Rezepte zu erhalten, sondern auch, um eine neue Einkommensquelle zu erschließen«, erklärt Gamarra, der traditionelle Ge­richte schätzt. Das auf heißen Steinen zuberei­tete Kartoffelgericht haben sich die Spanier schon vor über 500 Jahren schmecken lassen, und unter den Nachkommen der Inka ist das aus getrock­neten Kartoffeln, getrockneten Fleischstreifen und Gemüse zubereitete Gericht sehr beliebt.
Das gilt allerdings für eine ganze Reihe von tra­ditionellen Gerichten der peruanischen Küche. Die erleben landesweit genauso eine Renaissance wie die Zutaten der indigenen Küche – sei es das Andengetreide Quinoa oder die traditionellen Kartoffelsorten, die so genannten papas nativas. Die werden auch benutzt, wenn zwei Klassiker der peruanischen Küche, Papas a la Huancaina und Causa Limeña, zubereitet werden. Diese Gerichte sind nicht nur in Lima an jeder Ecke zu haben, und längst sind die Köche der feinen Restaurants in Lima dazu übergegangen, mit Kartoffelsorten aus dem Hochland Perus zu experimentieren. So sticht beispielsweise das satte Gelb des Kartof­felpürees auf den hübsch dekorierten Tellern im Restaurant »Tantra« ins Auge. »Frisch zuberei­tet aus gelben Kartoffeln aus Huancayo, eine peruanische Spezialität«, erklärt der Kellner in dem feinen Restaurant im Stadtteil Miraflores.
Über den Boom der alten Sorten freuen sich nicht nur die Köche der überaus kreativen und international immer beliebter werdenden neuen andinen Küche, sondern auch die Spezialisten des Internationalen Kartoffelinstituts (CIP). Das liegt in La Molina, einem Vorort von Lima. »Rund 3 000 traditionelle Sorten gibt es im andinen Hochland. Das ist ein genetischer Schatz«, erklärt David Tay. Der Kartoffelexperte des aus internationalen Mitteln geförderten Forschungsinstituts und sein Vorgänger William Roca haben sich gemeinsam mit einer Hand voll Kollegen bemüht, neue Absatzwege für das unscheinbare, vitaminreiche Gemüse aus dem Hochland zu erschlie­ßen. Dabei sind sie auch an die Köche der feineren Restaurants in Lima herangetreten und haben dafür gesorgt, dass die Supermarktkette Wong Kartoffeln ins Programm nimmt.

Seither steigt die Nachfrage aus den Anbau­regio­nen von Huancayo und Cusco. Manche Sorten erinnern in ihrer Form eher an Mohrrüben, andere an Rote Bete, manchmal fühlt man sich an Hunde­haufen erinnert, wenn die Bauern die Ernte aus den Feldern klauben. Manche Kartoffeln haben ein lilafarbenes Band, andere leuchten orange oder violett, wenn man sie zerteilt, und letztlich geht es auf den Feldern in Höhen zwischen 3 500 und 4 500 Meter sowohl bei der Ernte als auch der Blüte recht farbenfroh zu.
Das kommt den Köchen in Lima entgegen, denn schließlich sind Kartoffeln als dekoratives Element genauso gern gesehen wie als schmackhafte Beilage. Längst hat auch die peruanische Mittelschicht die papas nativas für sich entdeckt, die seit drei Jahren im Beutel zu 3,25 Soles pro Kilo, umgerechnet etwa 80 Cent, angeboten werden. »Die Nachfrage ist da, aber leider können wir sie nicht immer decken«, sagt Miguel Lau, der bei der Super­marktkette Wong für den Einkauf der begehrten Ware zuständig ist. »Vor allem zwischen Januar und Mai ist das Angebot gering«, sagt Lau. Er würde gerne mehr anbieten. Doch es fehlt an Lagerkapazitäten, und bis­her werden die alten Sorten, die oftmals sehr blumige Quechua-Namen tragen, nur auf kleinen Flächen angebaut. »Fünfzig verschiedene Sorten bauen einzelne Bauern an«, erklärt David Tay.
Gamarra vom Kartoffelpark kann das bestätigen. Er ist einer von insgesamt zwölf »Kartoffeltechnikern« im Park, die für die Beratung der Bauern und die Dokumentation der vorhandenen Sorten verantwortlich sind. »Die meisten ­andinen Kartoffeln haben Namen, die ihre Form beschreiben«, erklärt Antoli Castañeda und deutet auf die puma maki, die Pumakralle, im Regal, die vier tiefe Furchen aufweist und an die ­geschlossene Pranke des Raubtiers erinnert. Ge­mein­sam mit seinen Kollegen hat Castañeda die schma­len Regale gebaut, die im Ausstellungs­raum des Empfangsgebäudes des Kartoffelparks aufgestellt sind. Der Park liegt rund 30 Kilometer von Cusco entfernt, im heiligen Tal der Inka, und Castañeda arbeitet seit vier Jahren dort. Der 38jährige Kartoffeltechniker gehört zur Indio­gemeinde von Cuyo Grande, der mit rund 3 000 Einwohnern größten im Kartoffelpark.

Der Kartoffelpark wurde 1998 von sechs indigenen Gemeinden gegründet. Deren Ziel ist es, alle andinen Kartoffelarten im Park anzubauen. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen und setzt systematische Arbeit voraus. »Unsere Aufgabe ist es, die vorhandenen Kartoffelsorten zu registrieren, zu klassifizieren und nach weiteren Arten Ausschau zu halten«, erklärt Castañeda.
Auf Tradition wird im Kartoffelpark Wert gelegt. »Ayni nennen wir unser Prinzip der gegenseitigen Hilfe«, erklärt Gamarra lächelnd. Der schlaksige Agrartechniker ist verantwortlich für den Erhalt der Artenvielfalt im 9 000 Hektar großen Park und koordiniert die Arbeit zwischen den Gemeinden. Regelmäßig ist er im Zentrum des Kartoffelparks anzutreffen, einem von einem indigenen Architekten konzipierten lichten Bau aus Stein, Holz und Glas. Dort wird das traditionelle Wissen zusammengetragen. In den Com­puter wird alles eingegeben, was die Techniker über die wich­tigsten Anbaupflanzen in den Gemeinden erfahren. Nicht allein über die Kartoffeln und ihre Sorten, sondern auch über Mais, Getreide, die wichtigsten Medizinalpflanzen und die traditionellen Bäume der Region. »Letztlich versuchen wir, unser überliefertes Wissen zu dokumentieren und für die folgenden Generationen zu erhalten«, erklärt Gamarra. »Vor einigen Jahren gab es noch viel Streit zwischen den Gemeinden. Seit der Gründung des Parks gibt es weniger Konflikte, denn wir haben ein klares gemeinsames Ziel«, betont Alejandro Suca stolz.
Der Kartoffeltechniker kommt aus der Gemein­de Paru Paru. »Dort geben die Alten weiter, was sie über die Pflanzen in der Umgebung wissen. Sie freuen sich, dass ihr Wissen gefragt ist, und so lernen wir viel Neues über unsere Pflanzen im Park.« Seitdem habe sich einiges in den Gemeinden geändert, konstatieren die Kartoffeltechniker einmütig, der Wandel mache sich durch steigendes Selbstbewusstsein und abnehmenden ­Alkoholismus bemerkbar.
Die Techniker haben eine kleine Legende erstellt zu rund 1 400 Kartoffelsorten, die über die wichtigsten Eigenschaften der Sorten und ihre kulturelle Bedeutung informiert. So gibt es Kartoffeln, die ausschließlich zur Vermählung zu­bereitet werden, andere werden nur zur Beerdigung gereicht. »Und es gibt auch einige Arten, denen eine medizinische Wirkung nachgesagt wird«, ergänzt Castañeda. So wird gerne zur ohasito gegriffen, wenn eine Depression behandelt werden soll, und bei Hautkrankheiten werden verschiedene Sorten gegessen, um das Im­mun­system zu stärken. Die kleinen, braunen chillkas sind hingegen so süß, dass man sie kaum für Kartoffeln halten könnte, im Restaurant »Papamanka« werden sie als Nachspeise gereicht.
»Kartoffeln sind weitaus mehr als Nahrung, sie sind Teil der andinen Kultur«, erklärt Alejan­dro Argumedo. Der Agrarökonom ist Vizedirektor der Nichtregierungsorganisation Andes, die Gamarra und seine Kollegen bezahlt und eine treibende Kraft hinter dem Kartoffelpark ist. Über­zeugt ist der zwischen Kanada und Peru pendelnde Entwicklungsspezialist davon, dass für den Erhalt der Artenvielfalt mehr getan werden muss. Und genau das ist das Ziel des Kartoffelparks, denn viele der andinen Kartoffelsorten sind vom Aussterben bedroht.

Das will das Internationale Kartoffelinstitut in Lima verhindern, und deshalb werden die Bauern seit 2001 unterstützt. Damals reiste eine Dele­gation des Kartoffelparks nach Lima und wurde beim Kartoffelinstitut vorstellig. »Wir waren gekommen, um uns unsere Kartoffeln zurückzuholen«, erzählt Alejandro Argumedo schmunzelnd. »Zu unserem Auftrag gehört es nun einmal, Bauern mit Saatgut zu beliefern«, erklärt David Tay lachend. Sein Vorgänger William Roca empfing die Bauern damals, und seitdem liefert das CIP dem Park das benötigte Saatgut. Einige hundert Keimlinge wurden bisher geliefert und auf einem Feld in knapp 4 000 Metern Höhe angepflanzt. 2020, so die Planungen, soll die letzte Kar­toffelpflanze feierlich übergeben werden, denn dann soll das lebendige Pendant zu den im Kühlhaus des CIP in Reagenzgläsern befindlichen Kartoffelkeimen fertig sein – die keimende Samenbank hoch in den Anden.
An die kargen Bedingungen im andinen Hochland sind die widerstandsfähigen Pflanzen perfekt angepasst, und sie sind deutlich nährstoffreicher als ihre industriell gezüchteten und ge­zogenen Verwandten, die deutlich tiefer – nämlich nahe dem Meeresspiegel – angebaut werden. Ein wichtiger Grund, weshalb viele Kleinbauern auf das Saatgut ihrer Großväter zurückgreifen und die industrielle Ware ablehnen. »Viele Bauern hier im Kartoffelpark haben früher das vermeint­lich bessere industrielle Saatgut gekauft, sich ver­schuldet, um Dünge- und Schädlingsbekämpfungs­mittel zu kaufen, und haben trotzdem schlech­te Ernten gehabt«, erklärt Gamarra. Das war gestern, denn heute wird rein biologisch produziert, und ein Großteil der Produktion wird selbst verzehrt.
Allmähllich soll die Produktion erweitert werden, um die Restaurants im benachbarten Cusco, der wichtigsten Touristenattraktion des Landes, zu versorgen. Dazu sollen mit Hilfe des CIP Lager­kapazitäten geschaffen werden. In diesem Jahr könnte es damit etwas werden, denn 2008 ist von den Vereinten Nationen zum »Jahr der Kartoffel« ausgerufen worden. Das sorgt international für mehr Aufmerksamkeit für die viert­wichtigste Kulturpflanze der Welt und eventuell auch für zusätzliche Fördermittel für das CIP, erklärt David Tay. Das hoffen auch die Techniker vom Kartoffelpark, die von der Kooperation genauso profitieren wie die Wissenschaftler des CIP.

»Traditionelles indigenes Wissen und moderne Forschung ergänzen sich«, betont Justino Yuccra, Kartoffeltechniker der Gemeinde Cuello Largo, stolz. Diese Einschätzung teilt auch Alberto Salas, Spezialist für die aus den Anden stammende Urkartoffel am CIP. Seit rund 8 000 Jahren wird sie dort angebaut. Wegen ihrer Blütenpracht brachten die spanischen Eroberer sie als Zierpflan­ze nach Europa. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Kartoffel dann großräumig in Europa angebaut«. Seitdem gibt es weniger Erkrankungen, denn sie ist reich an Vitamin C und Nährstoffen.
In den Anden wachsen einige Sorten noch 4 500 Meter über dem Meeresspiegel, darunter auch die eine oder andere Wildpflanze, so Alberto Salas. »Deren detaillierte Erforschung liefert wiederum wertvolle Erkenntnisse für die Bekämpfung von Krankheiten, die moderne, durch Züchtung modifizierte Sorten aufweisen«, so der Forscher. Kartoffelfäule ist bis heute eine der verbreiteten Pilzerkrankungen, im Kartoffelpark jedoch weitgehend unbekannt. Meist sind die alten Sorten deutlich resistenter, und von neuen Sorten wollen die Bauern dort nichts wissen. »Dort wird penibel darauf geachtet, welche Pflan­zen unter welchen Bedingungen gute Erträge bringen.«
Informationen, die angesichts der spür­baren Auswirkungen des Klimawandels in den Anden auch für das Kartoffelinstitut in Lima von Wert sind. Es unterhält in den wichtigsten Kartoffel­regionen des Landes lokale Samenbanken, um das Erbgut der Kartoffel zu sichern. Dafür stehen die Chancen nicht schlecht, denn angesichts der steigenden Weltmarktpreise für Getreide, Mais und Reis wird die Kartoffel nicht nur in Latein­amerika wieder häufiger angebaut.
»Viel Potenzial haben vor allem die international weniger bekannten Hochlandsorten aus den Anden. Wir haben nicht nur Püree aus goldgelben Kartoffeln zur Marktreife gebracht, sondern auch Chips in vielfältigen Farben und Formen«, freut sich André Devaux vom CIP. Die bunten Kartoffelchips werden bereits am Flughafen von Lima angeboten. Für die Bauern vom Kartoffelpark und für die Urkartoffel könnte sich so noch eine ganz andere Perspektive bieten.