Feuilleton vs. Flierl

Die Vertreibung aus Arkadien

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Gustav Seibt schraubte seinen Füllfederhalter auf, ein besonders repräsentatives Produkt des Hauses Caran d'Ache, und sein Blick verweilte kurz auf der Feder aus massivem 18-karätigem Gold, in die geschwungen die Initialen »GS« graviert waren. Dann setzte er zu schreiben an: »Nun also Thomas Flierl.« Punkt. Sehr gut; mit einem schwarzen Tintenstrich ein Unwetter und zugleich die Augenbrauen aufziehen lassen, das konnte nur er allein. Wieder blickte er lächelnd auf das goldene »GS«.

»Nun also Thomas Flierl«, der künftige Kultursenator Berlins, einer Metropole, die den bezaubernd operettenhaften Stölzl verdient hatte, ein wenig Parvenu-Milieu, ein wenig sanfte Korruption. Stil vor allem! Kurz verdüsterte sich sein Gesicht. Stand nicht dieser Name allein schon für die postkommunistische Unlust am Repräsentativen? Flierl. Eine Name wie eine Ligusterhecke vor einem Plattenbau. Ha! Insopportabile!

Ein maliziöses Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. »Man muss ihn nur einmal im Wörlitzer Park beim Spazierengehen gesehen haben, an einem strahlenden Frühsommertag im deutschen Arkadien, diesem in der Wüste wahr gewordenen frühklassizistischen Traum von England und Italien, um zu begreifen, dass er durchaus ins historische Ambiente passte - als wandelnder bürgerlicher Vorwurf gegen solch leichtsinniges höfisches Getändel, mit hängender Schulter unterm schwarzen Knitterjackett, wie der Kammerdiener in einer gedämpft modernen Inszenierung von Schillers 'Kabale und Liebe', wo er mit tränenerstickter Stimme die Geschenke der Fürstenmätresse zurückweist.«

Seine Gedanken wanderten zurück zu jenem strahlenden frühsommerlichen Nachmittag im Arkadien zu Wörlitz, als ihm der Postkommunist im Knitterjackett die Laune zerknittert hatte. Damals hatte der Feuilletonist sich auf eine frühklassizistische Parkbank sinken lassen, das Büchlein mit den goldenen Initialen aus seinem makellosen Maßanzug gezogen und eingetragen: »Flierl = Wurm ohne Kabale«. Nach kurzem Überlegen degradierte er den damaligen Baustadtrat gar zum Kammerdiener.

Die physiognomische Studie hätte ihn über Flierls investorenfeindliche Pedanterie belehren müssen. »Das Hotel Adlon hatte einen Baldachin zu weit in die Straße ragen lassen - er musste weg; eine VW-Werbung war zu groß - Flierl verbot sie; die Telekom wollte das Brandenburger Tor mit rosa Werbung bespielen - Flierl untersagte es. Der Pfarrer der Nikolai-Kirche schritt zur Selbsthilfe und versuchte, die Sanierung seines bröckelnden Kirchturms mit einer Evian-Reklame zu finanzieren - Flierl ließ die Werbung durch Verordnung abhängen.«

Formidabel formuliert! Bürgerlich bündig und doch aristokratisch tändelnd, eine Prosa, die sich von der Telekom rosa bespielen, ihre strebenden Sätze mit Evian-Reklame behängen, ja ihren Baldachin weit über den Kot des Boulevards ragen lassen könnte und doch immer die eines Edelmannes wäre. Am nächsten Tage würden sämtliche Feuilletonisten Deutschlands sich über Flierl das Maul zerreißen, aber nur er, Gustav Seibt, würde der an sich düster'n Szene eine duftige frühklassizistische Anmutung verliehen haben. Er schraubte den Federhalter zu und reichte der wartenden Sekretärin zufrieden das mit dem geschwungenen Wasserzeichen »GS« verzierte Büttenpapier. »Abschreiben. Aber flott.«