Jura Jurin über das Leben in Zadar

»Ich war Franjo Tudjman«

Robert Jura Jurin kam vor 35 Jahren in Australien zur Welt, wo er bis zu seinem 13. Lebensjahr mit seinen Eltern lebte. 1979 kehrte die Familie nach Kroatien zurück, Jura blieb jedoch nur bis 1985. Nach weiteren acht Jahren allein in Übersee wohnt er nun seit 1993 wieder in Zadar. Jura ist verheiratet und hat eine vierjährige Tochter. Sein Geld verdient er als Arbeiter in einer kleinen Baufirma.

Du bist 1985 aus Zadar weggegangen, als Kroatien noch ein Teil Jugoslawiens war. War zu dem Zeitpunkt schon etwas zu spüren vom aufkommenden Nationalismus?

Ich muss 15 oder 16 Jahre alt gewesen sein, als mir zum ersten Mal auffiel, dass etwas nicht stimmt. Zwei Mitschüler prügelten sich auf dem Schulhof, irgendjemand rief die Polizei. Als die Beamten eintrafen, fragten sie die beiden nach ihren Namen. Der Polizeiapparat war zu der Zeit ja hauptsächlich von Serben besetzt, und als sich herausstellte, dass einer der Schüler einen kroatischen Vornamen hatte, schlugen die Polizisten vor allen anderen auf ihn ein, beschimpften ihn als Kroaten und steckten ihn in ihren Wagen. Zur selben Zeit - in den ersten Jahren nach Titos Tod, 1982, 1983 also - tauchten aber auch die ersten kroatischen Parolen an den Wänden auf, die alte, mittelalterliche Fahne war immer öfter zu sehen.

Hättest du damals gedacht, dass die Situation so eskalieren würde wie es dann Anfang der neunziger Jahre geschah?

In diesem Ausmaß sicherlich nicht. Selbst im Mai 1991 rechnete ja nur eine Minderheit mit einem Krieg zwischen Kroatien und Serbien. Meine Frau schrieb damals ihre Abschlussarbeit an der Schule über die psychologischen Aspekte eines möglichen Krieges. Ergebnis: 75 Prozent schlossen aus, dass es zu einem Krieg kommen würde, sie rechneten eher mit einer politischen Lösung wie in Polen, Deutschland oder in der Tschechoslowakei. Doch keine drei Monate später war der Krieg da.

Als du 1993 nach Zadar zurückkamst, herrschte hier immer noch Krieg. Warum bist du nicht in Australien geblieben?

Wenn du in Übersee lebst, bleibst du immer ein Outsider. Außerdem hing ich schon immer an Zadar.

Umstellungsprobleme bereitete dir das nicht?

Ich bin jemand, der sich auf alle Situationen einstellen kann. Was immer ich auch tue, es hängt von mir ab: Wenn ich etwas lernen will, dann lerne ich es, wenn nicht, dann lasse ich es eben bleiben.

Aber es ist doch etwas anderes, in ein Kriegsgebiet zu gehen als von Australien nach Neuseeland zu ziehen.

Natürlich, aber auch hier passt man sich an. Zadar stand ja bis 1995 unter Granatbeschuss durch die Serben, deren Stellungen nur wenige Kilometer von der Stadtgrenze entfernt lagen, und trotzdem ging das Leben weiter. Nachdem kroatische Einheiten die Serben 1993 etwas zurückgedrängt hatten, begannen sie eher auf psychologische Kriegsführung zu setzen - eine Granate am Morgen, eine am Nachmittag und nochmal eine am Abend, wenn man gerade ausgehen wollte.

Nach deinen Jahren in Australien müsste dir neben dem Krieg doch vor allem das repressive gesellschaftliche Klima unter Franjo Tudjman übel aufgestoßen sein.

Das stimmt, Tudjman war schließlich alles für Kroatien: Präsident, Oberbefehlshaber, Chefhistoriker, Chefliterat, Kriegsheld Nummer eins, einfach unglaublich. Ja, er war fast schon so etwas wie Jesus Christus. Das änderte sich erst, als die Leute merkten, dass er mit dem Westen nicht kommunizieren kann, dass er zu nationalistisch ist. Als er dann auch noch in Bosnien intervenierte, ließ die Euphorie endgültig nach: Nach dreieinhalb Jahren Krieg hatten die Leute einfach die Schnauze voll. Die Frontlinie verlief immer noch zehn Kilometer von Zadar entfernt, und ökonomisch sah es auch beschissen aus.

Hast du etwas gegen diese Situation unternommen?

Ja, aber das ergab sich eher zufällig. Gemeinsam mit einem Freund, der einer der Hauptkulturschaffenden von Zadar war, saßen wir vor dem Fernseher, als gerade irgendein Tudjman-Werbespot lief. Das war im Februar 1994. Zum Spaß machte ich sein Gesicht nach, was Tudjman wohl schon verblüffend ähnlich sah. Als mein Kumpel mir dann noch eine Brille aufsetzte, musste ich vor dem Spiegel fast weinen, so ähnlich sahen wir uns.

Und dann?

Na ja, meine Freunde waren außer sich. Wir organisierten eine Limousine, zehn von ihnen verkleideten sich als Bodyguards, und ich streifte mir eine weiße Parade-Uniform über. Dann wurden mir noch die Haare zurecht gemacht. Fünf oder sechs Jack Daniel's später stand außer Frage, dass ich Franjo Tudjman war.

Was habt ihr dann gemacht?

Wir fuhren zum Marktplatz von Zadar, besorgten uns vorher aber noch eine Lampe mit Generator sowie einen Eimer Wasser. Es gab in der Stadt zu der Zeit ja weder Strom noch Wasser. Weil Karnevalszeit war, standen schon Tausende Leute herum, selbst der Bürgermeister befand sich unter den Gästen. Langsam drängten wir uns durch die Menge, und ich stieg auf die Bühne. »Zadar, hier ist Licht«, rief ich und leuchtete auf die Leute. Und dann: »Zadar, hier ist Wasser«, während ich es wie der Papst in die Menge träufelte.

Wie haben die Zuschauer reagiert?

Sie fanden es lustig. Schließlich hatten sie schon ein paar Erfahrungen mit der Demokratie gemacht und waren deshalb auch nicht verstimmt, nur weil ich mich über den Präsidenten lustig machte. Sie hatten Humor und akzeptierten die Aktion als Ausdruck freier Meinungsäußerung. Aber drei Jahre voher hätte ich mir damit sicher eine Menge Ärger eingehandelt - großen Ärger.

Hat dich denn jemand wirklich für Tudjman gehalten?

Ja, ein paar besoffene Soldaten, die noch auf ihren Sold warteten. Als ich von der Bühne herunterstieg, stürmten sie auf mich zu und wollten ihr Geld haben. Zum Glück hatte ich meine Bodyguards dabei, weil diese Jungs waren wirklich unglaublich betrunken.

Alkoholismus und harter Drogenkonsum sind auch nach dem Ende des Krieges in Kroatien weit verbreitet, viele junge Leute verlassen das Land. Welche Perspektive siehst du für dich, welche für deine Tochter?

Wenn man nach Westen schaut, beschleicht einen natürlich schon ein Gefühl von Perspektivlosigkeit. Hier gibt es eben nur für wenige die Chance, einen guten Job zu bekommen und ein normales Leben zu führen. Jeder Vierte ist arbeitslos, jede Stelle ist heiß begehrt. Darum sind die Gehälter auch so niedrig. Wenn du dich bei deinem Boss beschwerst, dass dir 700 Deutschmark im Monat zu wenig sind, braucht er einfach nur »tschüss« zu sagen, und es stehen mindestens 100 Leute Schlange, die deinen Platz einnehmen wollen. Kein Wunder, dass viele die erstbeste Chance ergreifen, ins Ausland zu gehen.

Hast du dir nie überlegt, nach Australien zurückzukehren?

Als wir 1997 heirateten, haben meine Frau und ich uns das schon überlegt. Zuerst dachten wir, dass es nach ihrem Abschluss an der Universität so weit sein würde. Doch in der Zwischenzeit jobbte ich entweder als Kellner, bei Freunden, die Discos besaßen oder im Betrieb meines Onkels, und die Idee rückte immer mehr in den Hintergrund. Heute ist die Situation sowieso anders: Anela arbeitet als Kroatisch-Lehrerin, ich arbeite in einem kleinen Baubetrieb, sodass wir erstmal genug Geld haben.

Das heißt, ihr seid zufrieden.

Man will immer etwas Besseres im Leben erreichen, aber die Möglichkeiten, es hier zu bekommen, sind nicht groß. Andererseits ist es auch nicht leicht, einfach so ins Ausland zu gehen. Ich habe es ja probiert: Man verliert sich dort. Hier in Zadar leben wir direkt am Meer, die Luft ist gut, das Wasser klar, Freunde und Verwandte sind in der Nähe, und Miete zahlen müssen wir auch nicht, weil wir im Haus meiner Eltern wohnen. Was will man mehr?