Neue Regierung in Serbien

Dunkel am Ende des Tunnels

Noch nicht im Amt und schon in der Krise: Probleme dürften der neuen serbischen Regierung neben der desolaten wirtschaftlichen Lage vor allem die Beziehungen zu Montenegro bereiten.

Große Chancen, seinen Posten zu behalten, waren Srboljub Antic ohnehin nicht eingeräumt worden. Doch dass der Übergangsminister für Energie noch vor der großen Belgrader Silvesterparty zurücktreten würde, damit hatte nach den Parlamentswahlen in Serbien keiner gerechnet. Denn nach den landesweiten Stromausfällen an den Weihnachtstagen beruhigte sich die Stromsituation in Serbien letzte Woche zunächst wieder. Heftige Regenfälle hoben die Pegel von Drina und Donau, sodass die an den beiden größten Flüsses des Landes gelegenen Wasserkraftwerke endlich kräftiger durchflutet wurden: Die Turbinen liefen mit voller Kraft. Und der Abschluss eines Vertrages über zusätzliche Gaslieferungen aus Russland verschaffte dem designierten serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic ebenfalls Luft in der Energiekrise, die die neue reformistische Regierung in Belgrad erfasst hat, ehe sie überhaupt im Amt ist.

Bis zu 20 Stunden ohne Unterbrechung waren nach den Parlamentswahlen am 23. Dezember, die dem 18-Parteienbündnis DOS (Demokratische Opposition Serbiens) eine satte Zweidrittelmehrheit bescherte, viele Wohnungen in Serbien ohne Strom geblieben. In Provinzstädten wie Cacak bekamen die Kinder frühzeitig schul- und kindergartenfrei. Wegen ausgefallener Ampeln staute sich in Belgrad letzte Woche dauerhaft der Verkehr. Und dass direkt nach der gewonnenen Wahl Politiker aus Djindjics wirtschaftsliberaler Demokratischer Partei (DS) die sofortige Erhöhung der Tarife für Telefon und Post um 500 Prozent ankündigten, sorgte im abendlichen Kerzenschein der vom Strom abgehängten Wohnungen nicht für Begeisterung - wenn auch spontane Protestkundgebungen wie im Neubaubezirk Novi Beograd, wo empörte Bürger Müllcontainer zu einer Barrikade auf die Straße schoben, Einzelfälle blieben.

Vom verheißungsvollen Licht am Ende des Tunnels, das die bürgerliche serbische Opposition nach der Übernahme des jugoslawischen Präsidentenposten durch Vojislav Kostunica im Oktober auszumachen glaubte, ist keine drei Monate später wenig geblieben. Die ehemaligen Oppositionellen sind seit ihrem fulminanten Wahlsieg am Tag vor Weihnachten in der Krise, obwohl sie durch die strategische Bestreikung von Kraftwerken und Minen im Oktober den Umsturz in Serbien überhaupt erst möglich gemacht hatten. Arbeiter der größten serbischen Kohlenminen in Koubara waren un-ter den ersten, die damals die Massenproteste gegen Slobodan Milose-vic begannen und seine 13jährige Herrschaft beendeten. Doch während Serbien unter dem alten jugoslawischen Präsidenten den ersten Winter nach den Nato-Bomben auf Kraftwerke und Stromnetze relativ gut überstand, bringt die jetzt entstandene Notlage im Energiebereich die demnächst amtierende Regierung Djindjic in arge Erklärungsnöte.

Zwar wollten nur 14 Prozent der Wählerinnen und Wähler die deprimierten Milosevic-Sozialisten (SPS) weiter an der Regierung sehen. Und Milosevics Juniorpartnerin, die Jugoslawische Linke (JUL) seiner Frau Mira Markovic, schaffte mit weniger als 15 000 Stimmen nicht einmal den Sprung über die Fünfprozenthürde. Doch der Sympathievorschuss für die neue Regierung ist begrenzt. »Dass DOS so einen überwältigenden Sieg errungen hat, bedeutet nicht, dass sie das volle Vertrauen der Bevölkerung besitzt«, sagt etwa Andrej Grubacic von der Gruppe für wirtschaftliche Demokratie, einem linksoppositionellen Zirkel in Belgrad. »Es war vor allem ein Votum gegen Milosevic, von dem alle die Nase voll haben.«

Die hohe Wahlenthaltung am 23. Dezember bestätigt diese These. Nur 58 Prozent der 6,5 Millionen serbischen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Und obwohl die DOS-Vertreter nun 176 der 250 Sitze im serbischen Parlament für sich beanspruchen können, haben sie es neben der SPS mit zwei weiteren Fraktionen zu tun, die ihnen - von rechts - das Regieren schwer machen könnten. Die bis zur Wende vom Oktober mit Milosevic verbündeten Radikalen Vojislav Seseljs stellen 23 Abgeordnete und die Partei der Serbischen Einheit (SSJ) des im Januar ermordeten Ex-Paramilitärchefs Zeljko Raznatovic Arkan kam völlig überraschend über die Fünfprozenthürde und hat künf-tig 14 Abgeordnete.

Protest ist damit programmiert: zum einen gegen die von Djindic, vom designierten Finanzminister Bozidar Djelic und von dem mit Wirtschaftsfragen betrauten Vizeministerpräsidenten Nebojsa Covic angekündigten Privatisierungen. Um diese durchzuführen, wird nach Schätzungen jugoslawischer Ökonomen in den nächsten fünf Jahren ein Zufluss von mindestens zwölf Milliarden Dollar benötigt. Und selbst wenn der Gewerkschaftsdachverband Nezavisnost die Privatisierungen prinzipiell unterstützt, wird sich die Arbeiterschaft nicht aus freien Stücken um die eigenen Arbeitsplätze bringen.

Zu einer nationalen Oppositionskoalition aus Sozialisten, Seseljs Radikalen und der SSJ könnte es aber auch anlässlich der Frage kommen, welchen Platz Serbien im künftigen Jugoslawien einnehmen wird und wie dieses Jugoslawien überhaupt aussehen soll. Denn nach dem vom Westen lang ersehenten Wahlsieg von Djindjic & Co. - der viel zitierten vermeintlichen »demokratischen Wende« - brach am Wochenende in der kleineren jugoslawischen Teilrepublik Montenegro die Regierung auseinander - über die »nationale Frage«. Der stellvertretende Ministerpräsident und drei weitere Minister der Volkspartei (NS), verließen die Regierungskoalition mit der Präsident Milo Djukanovic nahe stehenden Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) und der Sozialdemokratischen Partei (SDP), weil sie Teile einer so genannten Plattform von DPS und SDP, die als Grundlage für die Neugestaltung der Beziehungen Montenegros zu Serbien dienen soll, ablehnten.

Demnach verlangt Montenegro als künftiger unabhängiger Staat einen eigenen Sitz in der Uno-Vollversammlung, will aber mit Serbien eine locke-re Union nach dem Vorbild der nordischen Staaten oder der Beziehungen Russlands und Weißrusslands bilden. Die beiden Republiken, denen heute Kostunica als Präsident Jugoslawiens vorsteht, sollen künftig über eine gemeinsame Währung und eine gemeinsame Finanzpolitik verfügen sowie eine Zollunion bilden. Zur Zeit gilt in Serbien der Neue Dinar, in Montenegro die Deutsche Mark als Zahlungsmittel. Die von Montenegros Präsident Djukanovic unterstützte Plattform, über die im Mai in einem Referendum entschieden werden soll, sieht darüber hinaus vor, dass die Republiken die alleinige Befehlsgewalt über die auf ihrem Territorium stationierten Truppen ausüben.

Momentan ist die Jugoslawische Volksarmee die einzig verbliebenene gesamtstaatliche Institution in Montenegro, doch auch die Entlassung von drei Milosevic-treuen Offizieren durch Kostunica am Wochenende konnte den Unabhängigkeitsdrang Djukanovics nicht bremsen. Kostuncia verfolge »das Ziel, Monentegro von Belgrad aus zu regieren«, was sich die Regierung in Podgorica nicht länger gefallen lasse. Kostunica, der Djukanovic weitaus ferner steht als Djindjic, ließ daraufhin ein geplantes Treffen zwischen den drei wichtigsten Männern Jugoslawiens platzen. Mitte Januar soll nun über den Fortbestand der Bundesrepublik weiter verhandelt werden - mit ungewissem Ausgang. Denn wenn Djindjic erst einmal im Amt ist, wird sich zeigen, ob er sich noch an den Vertrag hält, den Kostunica ihm vor seiner Nominierung zum Spitzenkandidaten abrang und der eine Teilnahme des jugoslawischen Präsidenten an allen Verhandlungen zwischen Serbien und Montenegro vorsieht.

Und auch im Süden Serbiens, im von Nato und Uno verwalteten Protektorat Kosovo, könnte die nationale Rechte im neuen Parlament Pluspunkte machen. So wie schon Milosevic die schwache Haltung Kostunicas gegenüber der Befreiungsarmee UCPMB kritisiert hat, die für den Anschluss des Presovo-Tals, eines Dutzends Weiler und mehrerer fruchtloser Äckern an das Kosovo kämpft, könnten sich Seselj und andere Rechte das laxe Vorgehen der Regierung in der »Wiege der serbischen Kultur« ebenfalls zu Nutze machen. Denn dass über die Sezession Montenegros oder des Kosovo nicht verhandelt wird, wie es der stellvertretende Ministerpräsident Covic am Wochenende tat, sondern dass in dieser Frage die Waffen immer das letzte Wort sprechen, dafür standen Seselj, Milosevic und Arkan seit Beginn der jugoslawischen Sezessionskriege ein - der letzte bis in den Tod.