Vom Widerstand zum Bühnenrand

Eine neue Initiative für die Freilassung von Gefangenen aus der RAF will zur Rekonstruktion der Geschichte der militanten Linken beitragen.

Der Anspruch ist bescheiden - und das hat Tradition: Sie wollen alles. Nämlich raus. Raus aus der Routine des Unterschriften-Sammelns und Prominente-Gewinnens, des Anzeigen-Schaltens und Sich-Empörens. Raus aus der Logik, die vom Widerstand zum Infostand führt, in der das zähe Ringen um die richtige Forderung unter dem Flugblatt, das kaum jemand lesen wird, die Energien verschlingt. Sie wollen raus, damit andere, die keine anderen sind, sondern die FreundInnen, die GenossInnen, die, mit denen man sich schon in den Siebzigern und Achtzigern gestritten hat und nicht streiten konnte, raus kommen: die Gefangenen aus der RAF, deren Haftzeit das Ende der Gruppe überdauert.

"Alle 40 müssen raus!" war ein NDR-Film betitelt, in dem Hanna Krabbe, Gabriele Rollnik, Christine Kuby und Irmgard Möller 1992 über ihre Zeit in der Haft, ihre Geschichte in der RAF erzählten - die ersten Gefangenen, die nicht abgeschworen hatten, die live zu sehen waren. Jetzt sitzen noch sechs in bundesdeutschen Knästen - die meisten nach wie vor unter verschärften Haftbedingungen, vielfältigen Besuchseinschränkungen und schärferen Maßnahmen der Postzensur unterworfen als die meisten anderen Gefangenen, und auch sonst weitgehend isoliert. Die sechs sitzen zwar nicht stellvertretend für zwei, drei politische Generationen der radikalen Linken in der BRD. Doch indem er sich ihrer fortgesetzt bemächtigen kann, führt der Staatsapparat vor Augen, wie umfassend er auch über die Geschichte verfügen kann. Eine Geschichte, die auch in den Solidaritätsaktionen mit den Gefangenen aus der RAF oft in einer Enge geführt wird, die mit den Impulsen, aus denen sie ihren Anfang genommen hat, nur noch wenig gemein hat.

Einer dieser Impulse war, Kunst und Klassenkampf, direkte Aktion und ästhetische Direktheit zusammenzubringen. Hier setzt eine neue Initiative an, die in den ersten Tagen des letzten Monats 1999 ihr Projekt startet: "Das Weite suchen - Die letzten sechs Gefangenen aus der RAF müssen raus. Bedingungslos. Bald." Die InitiatorInnen sehen sich dabei lediglich als "eine bundesweite Initiative, die den Boden schaffen will, auf dem dieser Forderung Nachdruck verliehen werden soll."

Das unterscheidet sich nicht nur im Tonfall angenehm von der sonst allzu üblichen Mischung aus starken Floskeln und starrer Geste. Auch die praktischen Schritte, den Boden zu bereiten, von dem aus das Weite gesucht werden soll, führen in eine andere als die geläufige Richtung. Vom 1. bis 9. Dezember veranstalten die Filmemacherin Margit Czenki (Komplizinnen, Prak Fiction), die selbst fünf Jahre wegen eines Banküberfalls im Gefängnis gesessen hat, die Gruppe Lotta und Teile des Hamburger Wohlfahrtsausschusses eine Filmreihe im Hamburger Programmkino "Metropolis".

Gezeigt werden Filme wie "Herbst der Gammler" (1967 von Peter Fleischmann gedreht), ein Film über Abhängen in den Zeiten des Kalten Krieges, in dem damals schon die Forderung nach arbeitsfreiem Grundeinkommen für alle gestellt wurde, und die Dokumentation "die wilden tiere" von Katrin Seybold und Gerd Conradt über das legendäre Knastcamp bei Ebrach 1969, deren Töne von den FilmemacherInnen vernichtet wurden, um die CampteilnehmerInnen vor staatlicher Repression zu schützen.

Insgesamt werden mehr als ein Dutzend Produktionen auf die Leinwand gebracht - und durch Kommentare, Analysen, Erzählungen von FilmemacherInnen, Frauen aus der Guerilla und Kritikern der RAF, die jeden Abend zu Gast sind, kommentiert, ergänzt, diskutiert. "Eine gute Gelegenheit also, das zu erfahren, was man nicht selbst erlebt hat, oder das zur Sprache zu bringen, worüber man sich schon immer Klarheit verschaffen wollte" kündigen die VeranstalterInnen ihr Großprojekt an, das dann auch in Berlin zu sehen sein soll.

Die Initiative, deren InitiatorInnen zum Teil schon an der großen Kampagne "Zusammenlegung jetzt" vom Initiativkreis Hafenstraße 1989 und an der Freilassungskampagne für Irmgard Möller "Unsere schönste Jugend ist gefangen" mitgewirkt haben, setzt nicht auf den schnellen Erfolg. Wie sollte sie auch: Wenn schon eine zögerliche Initiative von Bündnis 90/Die Grünen zur Amnestie von Ladendieben und Verkehrssündern aus Anlass des Millenniums in den gegenwärtigen repressiven Verhältnissen umstandslos niedergebuht wird, stehen die Chancen für die Entlassung der letzten ehemaligen RAF-Aktiven schlecht.

Aussichtslos allerdings ist die Initiative auch nicht: Sieht man von den Gefangenen ab, die offen abgeschworen und bereut oder die wenigstens individuell um Gnade des Staates nachgesucht haben, den sie bekämpft haben, musste um die Freilassung von jeder und jedem gerungen werden. Und während 1989 die RAF noch kämpfte und Zusammenlegung das einzige war, was vorstellbar schien, ist heute, angesichts des Niedergangs der radikalen Linken, die Lage schwieriger, aber auch günstiger. Schwieriger, weil die Basis, auf die man sich Ende der achtziger Jahre stützen konnte, weitgehend verloren ist. Günstiger, weil die Lage offener ist, die Frage danach, wie man es mit dem bewaffneten Kampf hält, keine Gretchen-Frage der militanten Linken mehr ist, die Bekenntnisse verlangt, sondern ein Diskussionspunkt von vielen - eine Frage der Theorie und nicht der Praxis. Die Offenheit ermöglicht, auch andere Perspektiven einzunehmen: Die Situation der politischen Gefangenen kann mit der Lage der Linken, aber auch der Entwicklung in den Gefängnissen insgesamt in Beziehung gesetzt werden.

Rasche Ergebnisse sind nicht zu erwarten - aber auch die große Zusammenlegungskampagne von 1989 musste sich, obwohl sie von einem Hungerstreik begleitet war, erst langsam und von unten entwickeln. Der moralische Druck fehlt jetzt - damit sind die, die draußen handeln aber auch freier. Wer das Weite suchen will, weil das Nahe heute so fern liegt, sollte angesichts dieser zeitlichen Perspektiven auch das Beschreiten des Weges dorthin als wichtigen Teil der eigenen politischen Arbeit begreifen. Es geht nicht um eine Kampagne für andere, für die Gefangenen. Das Nahe liegt uns derzeit allen fern. Die Filmreihe trägt so zum Bekanntmachen des Projekts bei, liefert Stoff, die Forderung wieder ins Gespräch zu bringen, und sie steht gleichzeitig für sich, ist auch ein Versuch, die eigene Geschichte gegen den Trend der bundesdeutschen Öffentlichkeit zur Historisierung, als Beitrag zur gegenwärtigen politischen Auseinandersetzung zu rekonstruieren.