Restauration in Italien

Justiz vor Gericht

<none>

Obwohl freigesprochen, musste der Senator auf Lebenszeit und mehrfache italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti einen Teil seiner Briefmarkensammlung zum Bestreiten der Anwaltskosten verkaufen. Aber Abhilfe scheint möglich, kommt doch der italienische Staat, sofern dies nicht die Richter selbst tun müssen, für die Opfer von Justizirrtümern auf.

Mit dem schwer kranken ehemaligen Sozialistenführer Bettino Craxi, noch ein ehemaliger italienischer Ministerpräsident, könnte bald ein weiteres Justizopfer Anspruch auf Schadensersatz stellen. Der jetzige Ministerpräsident Massimo D'Alema signalisiert seine Zustimmung zur "humanitären Geste" eines Strafaufschubs, der es Craxi erlauben würde, zur Behandlung seiner Diabetes nach Italien zurückzukehren.

Zunehmend wächst der auf D'Alema und die Linksdemokraten ausgeübte Druck der Bündnispartner in der Mitte-Links-Koalition, den Weg für eine parlamentarische Untersuchungskommission freizumachen. So soll man in der ausufernden Schmiergeld-Episode zu einer politischen Lösung, sprich: Amnestie, gelangen.

Haben wir es in Italien mit einem Restaurationsklima zu tun? Skeptiker meinten stets, dass sich seit der Niederlage der Emanzipationsbewegung in den Siebzigern nie etwas Wesentliches, es sei denn zum Schlechteren, verändert habe. Und dass wohl niemand ernsthaft erwarten könne, die herrschende Klasse würde jemals über sich selbst zu Gericht sitzen.

Immerhin haben sich in der letzten Dekade etliche Parteien aufgelöst, umbenannt, entschlackt, gewendet und wieder neu formiert. Richter wurden zuerst zu Volkshelden (Di Pietro), dann zu Politikern und nun scheinbar zu Buhmännern. Aus Kommunisten wurden, nach der Tilgung des Faktors K, neoliberale Sozialdemokraten, aus Faschisten regierungsfähige Demokraten, und der große weiße Wal der Christdemokratie wurde in ein Dutzend Filets tranchiert.

Aus einem Unternehmen hat man eine politische Partei geschmiedet (Forza Italia), Ligen (wie die Lega Nord) und zivile Netze (Rete) kamen, spalteten sich und verschwanden wieder. Gewerkschaften erodierten oder ihr Einfluss wurde mit einer Welle von Volksentscheiden eingedämmt.

Jahrelang wurde, um zu einem vorbildlichen Zwei-Parteien-System zu kommen, am Wahlrecht herumgebastelt. Heute zählt man mehr Parteien denn je. Die Wahlbündnisse sind so fragil wie zuvor, nur die Wahlenthaltung steigt deutlich. Das einzige, was in dieser Zeit unter allen wechselnden Vorzeichen und Machtspielen Bestand hatte, war die meist technokratische Zusammensetzung der Kabinette, die es beispielsweise einem Lamberto Dini erlaubte, bei Berlusconi und bei seinen Nachfolgern einen Posten zu besetzen.

Vielleicht lassen sich diese turbulenten Wechselfälle ja als Versuch einer Kaste beschreiben, die oberflächliche Anpassung an die Bedingungen der Globalisierung unter Beibehaltung ihrer ideellen Existenz zu vollziehen.

Schließlich hat die "sanfte Revolution", mit der ein Rückstand Italiens zu anderen europäischen Ländern aufgeholt werden sollte - zu hohe Sozialkosten, zu große Staatsbetriebe - auch reale Opfer gezeitigt: Ein gutes Dutzend in die Enge getriebener Unternehmer und Politiker beging Selbstmord.

Dieses Bild einer Justiz, die bei der Zerschlagung des alten Parteien-Systems und der Neuordnung der Kompetenzen im Staat in Zusammenarbeit mit den Medien ziemlich weit gegangen ist, schuf ihr den Nimbus einer Autonomie gegenüber dem Politischen, die sie real nie besessen hat.

Sie nahm nur eine Rolle in einem Schauspiel ein. Die rezenten Vorgänge, der öffentlich gefeierte Freispruch Andreottis und die anvisierte Rückkehr von Craxi, zeigen, bei aller Unterschiedlichkeit: Der Justiz wird der zu Kopf gestiegene Protagonismus ausgetrieben. Die Politik weiß zwar nicht wo's langgehen soll, doch sie führt wieder das Steuer.