Schlingensief in China

Antideutsche Party minus Kritische Theorie plus Volkstanz: Christoph Schlingensiefs "Deutschlandsuche" mit Rechtsbeistand.

Manche suchen ihren Schlüssel. Manche eine Freundin. Christoph Schlingensief sucht die Nation. Nachdem er verschiedene Rollen zumeist aus dem Repertoire der Linkskultur durchprobierte, vom Heilsarmisten, der die Obdachlosen aufsammelt, bis zum Arbeiterführer, der mangels Arbeit die Arbeitslosen um sich schart, bot sich jetzt der Deutschlandsucher an.

Auftritt, New York, die Frisur sitzt, Schlingensief: "Ich stehe jetzt vor der Freiheitsstatue. In meinem Sack habe ich die 99 Dinge, die wir von unserer Deutschland-Suche durch die deutsche Provinz mitgebracht haben. Nun werfe ich sie ins Meer. Meldung an Deutschland: Deutschland wurde am 9. November 1999 um 9.20 Uhr im Atlantik vor New York versenkt."

Na schön. Wen aber interessierte das eigentlich, mal abgesehen von den um Szene-Anschluss bemühten Lokal-Redakteuren der FAZ, die Schlingensiefs Feldpost-Prosa auf die Berliner Seiten stellten in der Annahme, es handele sich hierbei um Post-Punk-Juvenilia. Vielleicht den arbeitslos durch New York irrenden Berliner Kultursenator Peter Radunski? "Schön, dass es Sie gibt", will Schlingensief aus dessen Mund beim Treffen der deutschen Community in den USA gehört haben.

Allerdings kam dem nach New York gereisten Heimatkünstler die deutsche Heimat nur kurzzeitig abhanden. Zwei Wochen nach ihrer Versenkung tauchte sie in der Berliner Volksbühne beim "Großen Kameradschaftsabend mit rechten und gerechten Gästen" wieder auf. Mit den gerechten Gästen allein - als solche durften sich Regine Hildebrandt, Käthe Reichel, Dietrich Kuhlbrodt, Alexander Kluge und sogar Benjamin von Stuckrad-Barre und Rüdiger Nehberg fühlen - wäre sicherlich kein Hund, geschweige denn das Volksbühnen-Publikum hinterm Ofen hervorzulocken gewesen.

Wie schon in Hamburg ergänzte Schlingensief das Talkshow-übliche "Rendezvous der Arschgesichter" (Henscheid) in Berlin mit rechten Gästen wie Horst Mahler, Reinhold Oberlercher, Rainer Langhans, NPDlern, die namentlich zu machen, Antifa-Spezialkenntnisse erfordert hätte, und - weil sich die Nazis zu benehmen wissen - dem Provokateur und Stichwortgeber für Antisemiten, Meir Mendelsohn, der sich mit seinem Farb-Attentat auf Ignatz Bubis' Grab inszeniert hatte. Schön, dass es sie gibt.

Kann der Grabschänder Meir Mendelsohn als durchgeknallter Rabbi vorgeführt werden, ohne dass sich die Veranstaltung verdächtig macht? Dass der Trash nicht nur der Destruktion von Ideologien und Affekten dient, sondern in viel größerem Maße ihrer Konstruktion, spielt im Musikantenstadl natürlich keine Rolle. Aber wollte man der als "soziologisches Krisenexperiment 'Deutschlandsuche'" betitelten Schlingensief-Tournee grundsätzlich andere Motive unterschieben als Karl Moiks großer China-Reise, könnte man sich mit dem Wunsch nach Trivialisierung des Politischen auseinandersetzen. Dann ginge auch der Versuch, mit ein paar Atemübungen und Körperarbeit die ideologischen Verspannungen der Nazis entkrampfen zu wollen, als irgendwie noch emanzipatorisches Projekt durch.

Zwar war Meir Mendelsohn von der Volksbühne offiziell ausgeladen worden, dennoch freute sich der Gastgeber sichtlich über dessen Erscheinen, als dieser die Showtreppe heruntereilte. Grabschändungen, teilte der Mann, der auf eigene Kosten angereist war, dem Publikum mit, seien eine deutsche Erfindung, was man so falsch ja nicht gefunden hätte, hätte Mendelsohn nicht ausgeführt, wie er sein Statement verstanden wissen wollte. Deutschland habe sich den Antisemitismus nur einreden lassen, und erst die Bild-Zeitung habe aus dem Farbanschlag auf Bubis' Grab eine Schändung gemacht.

In Ermangelung eines prominenten Antideutschen, um dessen Beteiligung bei der "Deutschlandsuche" sich Schlingensief vergeblich bemüht hatte, musste der den Part bisweilen selbst übernehmen, so gut es eben ging: Schlingensief als die Bühnenversion des Antideutschen minus Kritische Theorie plus Volkstanz.

Geht das? Und macht es überhaupt noch einen Unterschied? An diesem Abend des Differenz-Indifferenz-Spiels zumindest, zu dem sich ausgewiesene Rechte und bekennende Linke, Großintellektuelle und Kleinkünstler, Prominente und No-Names trafen, mochte den so recht niemand erkennen. Die Bereitschaft, einem verschwitzt-verdrückten Kameradschaftsabend, der den gerechten Gästen den Schweiß buchstäblich ins Gesicht trieb, weil sie nicht genau wussten, ob es jetzt auch wirklich okay war, neben echten Nazis zu stehen, kritisches Potenzial zu unterstellen, war jedenfalls erstaunlich groß. Ebenso das Bedürfnis, der Einladung ins "Lager" nachzukommen, die, kaum ausgesprochen, das Publikum in Bewegung setzte, denn im "Lager", wie der hintere Bühnenraum genannt wurde, lümmelte, zum links-rechten Crossover bereit, die Prominenz.

Die Spielanweisung: Stellt Euch vor, Ihr seid im Lager, was ist Eurer Thema? Mit dem todsicheren Gespür des Hooligans für das, worauf die Öffentlichkeit gerade anspringt, hat sich Schlingensief den von Zygmunt Baumann zur Jahrhundert-Metapher erklärten Begriff des "Lagers" geschnappt, um ihn zur Millenniums-Metapher zu stylen. Mein Thema im Lager, erklärten die Gäste, ist "der Sex" (Molly Luft), "der Faschismus" bzw. "der Sex" (die Freundin von Rainer Langhans), "das Nichts" (Rainer Langhans), "die Nachbarschaft" (Regine Hildebrandt). Manche hatten zwar kein Thema, aber trotzdem was zu sagen, wie FAZ-Redakteur Benjamin Stuckrad-Barre, der angewidert-abgestoßen einen Kommentar zu den Strompreisen der Bewag aus der Super Illu vortrug und sich dabei alle Mühe gab, nach Wiglaf Droste und Weltekel zu klingen. Simulation, Alter.

Für den Simulationseffekt allerdings war eigentlich Alexander Kluge zuständig, der die Aufgabe übernommen hatte, einem delirierenden Kameradschaftsabend den Anschein eines intellektuellen Ereignisses zu geben, indem er das Spektakel aufzeichnete - Achtung, Kamera! - und damit eine zweite Spielebene, die der medialen Vermittlung, einzog, womit jeder Essenzialismus- und Authentizitätsverdacht von vornherein ausgeräumt schien.

Ging es also nicht gerade darum, durch die mediale Entblößung von Figuren wie Mahler und Meir Mendelsohn ihnen jede Unmittelbarkeit abzusprechen, sie zu entdämonisieren, ironisieren und zu denunzieren? Daran allerdings glaubte nicht mal Alexander Kluge, der die Bühne gleich zum mythischen Ort der Wahrheit stilisierte und sich frei heraus zum Schlingensief-Kult bekannte. "Nur das Theater ist der Ort, wo Unmögliches, Unwirkliches zusammentreffen kann, was man im normalen Leben auseinanderhalten kann", erklärte er in der FAZ. Okay, okay, es gibt ein richtiges Leben im falschen, wir haben es gesehen, neulich in der Volksbühne, demnächst auf Vox.