Deutschland, die Krise und die EU

Zu dumm für die Krise

Nützt Deutschland, nützt Deutschland nicht: Die Bundesregierung beurteilt die Maßnahmen gegen die Krise nach einem schlichten Muster.

Die ganze Welt sieht aufgeregt der Rezession entgegen, nur in Berlin herrschen Ruhe und Zuversicht. Angesichts der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten scheint die Bundesregierung wild entschlossen, erstmal nichts zu tun. Dabei forderten Verbände, Gewerkschaften und Parteien vehement, Merkel solle endlich ein umfangreiches Konjunkturprogramm beschließen.
Besonders harsch fielen die Reaktionen im Ausland aus: Der britische Premier Gordon Brown prophezeite, die deutsche Krisenpolitik werde scheitern. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy trumpfte auf: »Deutschland denkt, Frankreich handelt.« Der Nobelpreisträger für Ökonomie, Paul Krugman, bezeichnete Finanzminister Peer Steinbrück gar als zu »dumm«, um das Ausmaß der Krise zu verstehen, und schimpfte über das »German Problem« in seinem Blog.
Dabei reflektiert die deutsche Politik nur, was gut für den »deutschen Standort« ist – und schlecht für Brown und Sarkozy. Aus Merkels Sicht ergibt es durchaus Sinn, vorerst abzuwarten. Steuersenkungen und Konsumgutscheine mögen in Lon­don oder Paris helfen, die Nachfrage wieder zu beleben. Für Dortmund oder Stuttgart gilt das nicht. Die deutsche Wirtschaft ist vor allem von Ausfuhren abhängig, selbst großzügige Steuer­geschenke werden daher vermutlich nicht ausreichen, um die Exportverluste zu kompensieren. Zugleich sind die Beschäftigten gewohnt, Reallohnverluste und steigende Preise hinzunehmen. Warum also die »Politik der ruhigen Hand« aufgeben und mit neuen Schulden teure EU-Konjunkturpakete finanzieren, die vor allem den Nachbarländern nützen?
Das in der vergangenen Woche beschlossene EU-Programm in Höhe von 200 Milliarden Euro ist jedenfalls für die Bundesregierung ein voller Erfolg. Deutschland soll zwar als reichstes Mitglied den größten Anteil übernehmen. Tatsächlich werden aber die bereits geleisteten nationalen Konjunkturmaßnahmen miteinberechnet. So fließen gerade mal fünf Milliarden an die EU – die restlichen 20 Milliarden dienen dazu, Brücken in Hessen auszubessern und Breitbandkabel in Vorpommern zu verlegen. Weitergehende Maßnahmen sollen vielleicht im neuen Jahr folgen – wenn US-Präsident Barack Obama das vermutlich größte Konjunkturprogramm der US-Geschichte verkündigt.
Deutschland kann es sich schließlich leisten, auf Zeit zu spielen. Es verfügt im Gegensatz zu den übrigen EU-Staaten über einen halbwegs ausgeglichen Haushalt. Greifen die Konjunkturprogramme in den anderen Ländern, allen voran den USA, dann wird die deutsche Exportindus­trie davon profitieren. Dauert die Rezession länger als erwartet, stehen immerhin noch finanzielle Reserven zur Verfügung, um zu reagieren.
Für diese Krisenstrategie nimmt die Bundesregierung auch in Kauf, ihre wichtigsten europäischen Partner zu verprellen. Der kleinste gemeinsame Nenner der großen Koalition besteht in ihrem Glauben an den starken Staat und die Nation. Sie führt damit fort, was Gerhard Schröder in seiner Regierungszeit als neues nationales Selbstbewusstsein bezeichnete. Und in Krisenzeiten gilt in Berlin mehr denn je: Richtig ist, was Deutschland nützt.