Der »Kampf gegen den Extremismus in Sachsen«

88 gerade sein lassen

Wie im »Kampf gegen den Extremismus« in Sachsen die »akzeptierende Sozialarbeit« mit jungen Nazis befürwortet wird.

Termine für Pressefotografen sind nach Razzien gegen Nazis in Sachsen mittlerweile Routine. Stets packt die Polizei Tische mit Waffen, CDs, Stahlhelmen und Hakenkreuzfahnen voll, die mal den »Skinheads Sächsische Schweiz«, mal dem »Sturm 34« aus Mittweida und mal Nazis aus dem Vogtland gehören.
Ende November durchsuchten 136 Polizisten in der ostsächsischen Lausitzregion 16 Wohnungen und den Treffpunkt der Nazitruppe »Nationaler Jugendblock« (NJB). Grund der Razzia in Zittau war der Vorwurf der Körperverletzung und des Raubs gegen 16 Männer im Alter von 20 bis 37 Jahren. 1100 Ton- und Datenträger, Dutzende Hieb-, Stich- und Schusswaffen – darunter ein einsatzfähiger Karabiner, Munition, Stahlhelme und Schlagstöcke –, T-Shirts mit Aufdrucken wie »Ehre im Herzen – Hass in den Augen« und Propagandaschriften wie der Völkische Beobachter und Flugschriften wie »Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter« konnte die Polizei vorzeigen.

Volker Beer, der Jugendbeauftragte der Stadt Zittau, zeigt sich im Gespräch mit der Jungle World überrascht angesichts der Razzia. Die Lage hatte sich aus seiner Sicht »ein Stück weit beruhigt«. Sonderlich schwer hatten es Nazis in Zittau aber nie. Der Umgang der Stadt mit dem NJB wurde um die Jahrtausendwende zum unrühmlichen Bei­spiel für die akzeptierende Sozialarbeit mit jungen Nazis. Seit 1992 hatte der Verein »Nationaler Jugendblock« von der Stadt ein Gebäude gemietet, das sich schnell zum Treff­punkt der Nazis aus Ostsachsen und der sächsischen Schweiz entwickelte. Die Stadt gewährte dem NJB zu dieser Zeit sogar einen »Reparaturzuschuss« von 22 000 Mark für das Haus, setzte sich mit führenden NPD-Mitgliedern an einen »Runden Tisch« und beschäftigte drei Sozialarbeiter, die im Haus der Nazis in der Südstraße 8 ein- und ausgingen. Haupt­sächlich sei es um »die Deeskalation der Gewalt zwischen links und rechts« gegangen, sagt Beer. Doch er räumt auch ein: »So eine Autonomensze­ne gibt es hier nicht. Der Schwerpunkt war rechts.« Im Juni 2002 stimmte der Zittauer Stadt­rat für einen Erbbaupachtvertrag mit dem NJB. Erst infolge der bundesweiten Berichterstattung geriet die Stadt in die Kritik und untersagte nach einer Polizeirazzia die weitere Nutzung des Hauses.
Doch Beer zufolge ist die Zusammenarbeit der Stadt mit dem NJB nicht etwa wegen der Kritik an der akzeptierenden Jugendarbeit mit den Nazis beendet worden. »Nach der Schließung des Hauses ist einiges zerschlagen worden. Seitens des Vereins NJB war die Gesprächsbereitschaft nicht mehr da«, sagt Beer. Der NJB zog um und ist nun auf die Hilfe der Stadt nicht mehr angewiesen. Der neue Treffpunkt befindet sich in der Äußeren Oybiner Straße. Er könnte Lausitzer Antifas zufolge dem nach der Wende führenden Görlitzer Nazi Rene Nierling gehören, der das Haus dem NJB zur Nutzung überlassen habe.
Die derzeitigen Aktivitäten des NJB seien Beer zufolge »nicht spürbar« gewesen. Dabei berichtet die Opferberatungsstelle Amal allein für 2008 mehrfach von eingeschlagenen Scheiben am Büro der Linkspartei, Hakenkreuzschmierereien am Zittauer Landratsamt und auch vom Aufmarsch von 40 Nazis Ende August im Zuge ihrer Kampagne für die »Todesstrafe für Kinderschänder«.

Erst einige Wochen vor der Polizeirazzia in Zittau und Görlitz hatte der CDU-Landtagsabgeordnete Lars Rohwer in einem Interview mit der Sozialpädagogikzeitschrift Corax zum Umgang mit Nazis betont, wie vorbildlich er die politische Jugendarbeit in der Lausitz finde. Rohwer ist Vorsitzender des sächsischen Landesjugendhilfeausschusses und Leiter des Kuratoriums der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Die Lausitz sei ein gutes Beispiel für die Sozialarbeit »mit allen demokratischen Strömungen – ob schwarz, rot oder grün«, sagte Rohwer. Er bemän­gelte ausdrücklich die Jugendarbeit in einer anderen sächsischen Region: »In Mittweida haben wir den umgekehrten Fall. Hier wird versucht, rechts mit links zurückzudrängen. Das kann nicht gut gehen.«
Die Sozialarbeiter des Vereins »Sächsische Landjugend« sind Rohwer offensichtlich nicht ge­nehm. Sie hatten u.a. alternative Jugendliche in Mittweida bei der »Aktion Noteingang« unterstützt, die sich gegen Nazigewalt richtete. Auf die Sozialarbeiter dieses Vereins angesprochen, sagte Rohwer: »Ob die betroffenen Personen als linksradikal oder -extremistisch zu bezeichnen sind, kann ich nicht beurteilen, aber man sollte sich hüten, politische Affinitäten nach außen dar­zustellen.« Eine »gewisse Parteiferne« sei in der Jugendhilfe »unbedingt notwendig«, »mit linksgerichteter Jugendarbeit bekommen wir die Jugendlichen vom rechten Rand nicht weg«, befand Rohwer im Interview mit Corax.
Der Grund für Rohwers Vorwürfe dürfte zudem darin liegen, dass die »Sächsische Landjugend« versucht hatte, in der mobilen Jugendarbeit in Mitt­weida Mindeststandards einzuhalten und nicht allein die Straßengewalt der Nazis wie z.B. des ver­botenen »Sturm 34« als offensichtliches Problem zu betrachten. Die Sozialarbeiter widmeten sich auch grundlegend dem allgemeinen Alltagsrassismus.
Rohwer tat sich bereits 2002 im Landtag mit Anfragen zu »linksextremistischen Bestrebungen« im »Alternativen Zentrum Conni« in Dresden hervor und versucht derzeit als Vorsitzender des Dresdner CDU-Stadtverbandes, gegen ein hauptsächlich von Gewerkschaften, der SPD und der Linkspartei vorangetriebenes, bundesweites Bündnis gegen den in Dresden geplanten Naziauf­marsch am 14. Februar vorzugehen. »Ich bin der Überzeugung, dass die Dresdner das Gedenken wür­devoll ohne Krawall, ohne Polizei und ohne Demonstration begehen wollen«, sagte Rohwer der Sächsischen Zeitung. Richard von Weizsäcker habe den Aufruf des Bündnisses möglicherweise nur gutgläubig unterschrieben. Für Rohwer steht fest: »Unsere Position ist klar. Es gibt keine Zusammenarbeit mit Feinden der Demokratie, gleich­gültig, ob sie von NPD oder der Linkspartei kommen.« In diesen Äußerungen wie in Rohwers Einlassungen zur Jugendarbeit in der Zeitschrift Corax zeigt sich, wie die Extremismusdoktrin der sächsischen CDU zur Anwendung kommt. Die Nazis werden verharmlost, Linke mit ihnen gleich­gesetzt.

Angesichts der Kürzungen in der Sozialarbeit findet derzeit in Sachsen eine heftige Debatte um die präventive Jugendarbeit statt. Diese habe sich »zu einer defizitorientierten, reaktiven (Hilfe-)Form für ›Dagebliebene‹ und Kinder und Jugendliche mit geringem Bildungsniveau entwickelt«, wie aus der Dissertation »Aufstieg und Fall? – Entwicklung und Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit in Sachsen« unter Berufung auf Experten hervorgeht. Präventive Arbeit finde »kaum noch statt, weil sie zum einen nicht gefördert wird und zum anderen aufgrund der täglich zu bewältigenden Arbeit zurückstecken muss«, fasst die Autorin Sandra Rech die derzeitige Kritik zusammen.
Angesichts der häufig bestehenden Vorherrschaft von Nazis in Jugendzentren dient die Bezeichnung »akzeptierende Jugendarbeit« meist nur dazu, die gegenwärtige Situation zu beschönigen. Das vermeintlich geeignete Konzept taucht auch häufig unter dem Begriff der so genannten konfrontativen Jugendarbeit auf. Wo Nazis die offenen Jugendtreffs beherrschen, sollen die Sozialarbeiter mit schlagfertigen Argumenten die Jugendlichen zum Grübeln bringen. Die Sozialarbeiter geraten dabei in die Gefahr, von Nazis erpresst und im Fall des ungenügenden Entgegenkommens als fachlich unfähig oder »links­extrem« diskreditiert zu werden. Häufig wer­de nach dem Motto verfahren, »wir stellen einen Sozialarbeiter hin und damit muss sich das Problem erledigt haben«, gibt ein Mann aus der Branche an, der seinen Namen lieber nicht nennen möchte. »Wir erleben hier wirklich gerade einen unglaublichen Backlash, so dass man sich vorkommt wie im Jahr 1992.«