Streit zwischen SPD und Linkspartei

Die Angstbeißer

Weil den SPD-Politikern die Argumente gegen die Linkspartei ausgegangen sind, bleiben ihnen nur wüste Beschimpfungen.

Wenn Reinhard Schultz, der Mittelstandsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, die Interessen derjenigen berührt sieht, denen er verbunden ist, dann teilt er gerne mal kräftig aus. So warn­te der Politiker, der über seine Firma Schultz Projekt Consult mit einem Beratervertrag des Energiekonzerns Vattenfall ausgestattet ist, zu den Zeiten der rot-grünen Koalition den »lieben Gerhard« immer mal wieder vor den »überwiegend industriefeindlichen« und »weltfremden« Vorstellungen bestimmter Umweltpolitiker der SPD und der Grünen. Es müsse verhindert werden, dass »Vertreter des Öko-Sozialismus künftig das Sagen haben«, forderte Schultz. Derzeit ist es die »postkommunistische Linkspartei«, die ihn in Wallung versetzt. Wenn die sich nicht grund­legend ändere, gebe es nur eine Möglichkeit: »Die SPD bekämpft die Linkspartei und vernichtet sie Schritt für Schritt«, heißt es in Schultzs »Lehren aus dem Ergebnis der Hessischen Landtagswahl«.

Je größer die eigene Ratlosigkeit, desto schriller tönt es aus den Reihen der Sozialdemokraten. Flügelübergreifend scheint die SPD zu einer Angstbeißerpartei mutiert zu sein. »Sektierer und Spinner des Westens sind in der PDS angekommen, und das nennt sich jetzt ›Linke‹«, poltert Umweltminister Sigmar Gabriel. Eines »Gartenzwergsozialismus« bezichtigt Generalsekretär Hubertus Heil die linke Konkurrenz. Und der Parteivorsitzende Franz Müntefering spricht gar von einer »nationalen sozialen Politik«, die sie betreibe. »Auf der Bundesebene ist die Partei ­Lafontaines ökonomisch ignorant, sozial romantisch, sie ist ablehnend Europa gegenüber und stellt alle Bundeswehrsoldaten, die wir in die Welt entsenden, als aggressive Krieger dar«, sagte Müntefering Ende Januar der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). »Kurzum: Die Linkspartei vertritt auf Bundesebene eine nationale soziale Politik.« Inhaltlich ist seine Kritik konfus, die assoziierende Nähe zum Begriff Nationalsozialismus ist indes nicht zufällig. Er will nicht argumentieren, sondern denunzieren.
Es handelt sich um keinen einmaligen Ausrutscher: Bereits kurz nach seiner erneuten Wahl zum Vorsitzenden der SPD, im November 2008, benutzte Müntefering in einem Interview mit der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte mit Blick auf die Linkspartei diese Formulierung. Offenkundig will er den Begriff der »nationalen sozialen Politik« ganz bewusst zur Diffamierung der Linkspartei im öffentlichen Diskurs platzieren. Besonders originell ist das nicht: Bereits 2007 bezeichneten der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, und der reaktionäre Historiker Arnulf Baring Lafontaine als »nationalen Sozialisten«.

Die kalkulierten Ausfälle Münteferings sind allerdings nicht mehr als ein Ausdruck jener tiefen Depression, die seine Partei erfasst hat. Münteferings Polemik entspringe »dem Abwehrdenken einer in Bedrängnis geratenen Sozialdemokratie«, analysiert der Göttinger Politikwissenschaftler Walter Reese-Schäfer.
Tatsächlich haben die von der SPD präferierten Rezepte zur Bekämpfung die Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Lage zusätzlich verschlechtert. Es ist noch nicht allzu lange her, da glaubte das sozialdemokratische Führungspersonal, mit dem Vorwurf der finanzpolitischen Unseriösität gegen die Linkspartei vorgehen zu können. Diese »Rattenfänger« strebten »mit untauglichen Rezepten die Restauration des alten, nicht mehr lebensfähigen Wohlfahrtsstaates« an, schrieb vor eineinhalb Jahren der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Peter Struck, in einem Brandbrief an seine Parteikollegen im Parlament. »Eine Politik, die jährlich mit ungedeckten Schecks in Höhe von hundert Milliarden Euro arbeitet, treibt den Staat in den Bankrott.« Vor dem Hintergrund Hunderte Milliarden schwerer »Rettungs- und Konjunkturpakete« wirkt diese Kritik an der Linkspartei heutzutage nicht mehr so ganz überzeugend. So sind von den vollmundigen Ankündigungen, die Linkspartei inhaltlich »stellen« zu wollen, inzwischen nur verbale Kraftmeiereien übrig geblieben.
Die SPD scheint einerseits vor nichts mehr Angst zu haben, als dass irgendjemand glauben könnte, sie würde nach der Bundestagswahl mit der Linkspartei regieren wollen. Also verteufelt man die Konkurrenz mit allen rhetorischen Mitteln. Um sich jedoch nicht auch noch auf der Ebene der Länder jeder Machtperspektive jenseits einer Großen Koalition zu berauben, müssen sich die Sozialdemokraten andererseits ­genau diese Möglichkeit ausdrücklich offen halten. Diese absurde Lage meinen die Chefstrate­gen im Willy-Brandt-Haus durch eine eigentüm­liche Sprachregelung meistern zu können. Eine Kooperation im Bund wird wegen der von der Linkspartei vertretenen Positionen für gänz­lich »unmöglich«, gleichzeitig jedoch in einem Land für »prinzipiell möglich« erklärt. In Münte­ferings FAS-Interview klingt das dann so: »Wenn auf Länderebene eine vernünftige Zusammen­arbeit klar vereinbart wird zu unseren Bedin­gungen, ist das in Ordnung.« Bleibt die Frage: Wenn auf Bundesebene eine »vernünftige« Zusammenarbeit »klar vereinbart« würde zu den ­Bedingungen der SPD – warum sollte das dann für sie nicht in Ordnung sein?

Die Aussichten der SPD im »Superwahljahr« 2009 werden durch solche Verrenkungen jedenfalls nicht besser. Nach den jüngsten Erhebungen liegen die Sozialdemokraten bei der »Sonntagsfrage« je nach Meinungsforschungsinstitut zwischen 22 Prozent (Forsa) und 26,9 Prozent (Allensbach). Das ist bitter. Nach der Wahl des Bundes­präsidenten am 23. Mai – wo die SPD-Kandidatin Gesine Schwan auch dank der Verbalattacken gegen die »Linke« damit rechnen muss, nicht einmal einen Achtungserfolg zu erzielen – folgen die Europa-Wahl und zwölf Kommunalwahlen. Ende August, wenige Wochen vor der Bundestagswahl am 27. September, entscheiden die Thüringer, Sachsen und Saarländer über die künftige Zusammensetzung ihrer Landesparlamente. Ungünstiger hätte es für die SPD nicht kommen können: In allen drei Bundesländern besteht die Gefahr, nicht nur weit abgeschlagen hinter der CDU, sondern auch noch hinter der Linkspartei zu landen. »Ich gehe davon aus, dass die SPD in keinem Land vor uns liegen wird«, sagte der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch, siegessicher. In der Endphase des Bundestagswahlkampfs käme das für die Sozialdemokraten einer Katastrophe gleich.
Auch wenn der worst case nicht eintreten sollte, dürfte die SPD nicht ungeschoren aus den drei Landtagswahlen herauskommen. Sie kann nur verlieren. Denn weder in Thüringen noch in Sachsen noch im Saarland besteht derzeit eine realistische Perspektive, es könnte für eine rot-grüne oder auch für eine Ampel-Koalition rechnerisch reichen. Es blieben also nur zwei Varianten, falls nicht ohnehin die CDU und die FDP die Regierungen stellen: Entweder koaliert die SPD mit der CDU oder mit der Linkspartei. Beide Optionen wären mit Blick auf die Bundestagswahl wahlwerbetechnisch äußerst misslich. Ein Bündnis mit der Linkspartei in einem oder mehreren der drei Länder würden Christ- und Freidemokraten dazu nutzen, um noch aufge­regter das vermeintlich Fürchterliche an einem Bündnis von SPD und Linkspartei auch im Bund beschwören zu können. Der wahrschein­lichere Fall, dass sich die SPD lieber als Juniorpartner der CDU andient, würde hingegen ihre – ohnehin arg konstruierte – Lagerwahlkampfstrategie konterkarieren. Dann werde die SPD bei der Bundestagswahl »ein Desaster erleben«, prophezeite Dietmar Bartsch. Damit könnte er Recht behalten.