Urteil im Fall der Kassiererin »Emmely«

Aufmucken, Zähne spucken

Das Urteil im Fall der Kassiererin »Emmely« ist ein Signal an die
arbeitende Bevölkerung.

Die Kommentare ergeben folgendes grobes Bild: Aus der eher rechten Ecke kommt der Hinweis, Kaiser’s habe recht gehandelt, Barbara E., ­genannt Emmely, fristlos zu kündigen, die gefundene Pfandbons im Wert von 1,30 Euro ein­gewechselt haben soll. Der Verdacht sei hinlänglich bestätigt, dass E. Unrecht getan habe. Vertrauen kaputt, Kündigung richtig. Diese Kommentare sind nicht ohne Witz, etwa wenn in der Bild-Zeitung ausgerechnet Franz-Josef Wagner für eine harte Strafe plädiert – der hat sei­nen Arbeitgeber, den Axel-Springer-Verlag, als Chefredakteur der B.Z. 30 000 Leser gekostet. Denn so weit fiel die Auflage unter seinem Regiment.
Von links wird meist gegengerechnet. Das Urteil möge rechtens sein, richtig sei es nicht. Abmahnen hätte allemal ausgereicht. Manager rennen schließlich auch frei rum. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) nannte das Urteil auf dieser Basis »asozial«.
Die nun schon zweite Gerichtsinstanz schloss sich lieber der ersten Auffassung an: Kündigung auf Verdacht gehe mit dem Gesetz konform. ­Juristen zitieren gern den berühmten Bienenstich. Die Kündigung einer Bäckereifachver­käuferin, die sich am Kuchen vergriffen hatte, sei rechtens, befand ein Arbeitsgericht im Jahr 1984. Von den seither vergangenen 25 Jahren regierte Thierses Partei mehr als zehn und hätte hier Abhilfe schaffen können. Lieber führte sie Krieg und für Fälle wie Emmely, die seit einem Jahr arbeitslos ist, die Hartz-Gesetze ein.
Fakt ist: Die Dame war 31 Jahre in Supermärkten beschäftigt. Deshalb spart man eine Menge, wenn die Alte weg ist – Betriebsrente, Alterszuschlag und all das. Wozu ein Festgehalt bezahlen, wenn man als Ersatz drei Minijobber kriegen kann?
Fakt ist auch: Deutsche Arbeitsgerichte mögen nicht in jedem Fall Leute, die arbeiten. Während die Mittelschicht sich ab und an eine Abfindung erstreitet, schafft die Unterschicht meist nicht einmal das. Gleichzeitig mit Emmely erhielt eine Praktikantin ihr Urteil. Sie hatte auf Lohn geklagt, konnte aber nicht nachweisen, regulär beschäftigt gewesen zu sein. Ausbeutung gibt es eben manchmal nicht schriftlich.
Im Fall Emmely wird zwar die ganze Zeit von Diebstahl gesprochen, aber die Eigentumsfrage ist nicht einmal geklärt. Denn Waren mögen dem Supermarkt gehören. Die Pfandbons gehören ihm nicht. Zudem wurde nicht letztgültig festgestellt, dass Emmely sich die Bons geklemmt hat.
Rechtens, das wäre also möglicherweise gewesen: wenn der Richter der Supermarktkette attestiert hätte, sie habe nicht alle Tassen im Regal. Denn was falsch ist, kann nicht rechtens sein. Und wieso sollte es bitte schön nicht falsch sein, dass man nach 31 Jahren Schufterei wegen zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro fristlos rausfliegt?
Hier geht es um die Signalwirkung für die arbeitende Bevölkerung: aufmucken, Zähne spucken. Insofern steht das Urteil weniger im Zusammenhang mit dem Verzehr konzerneigener Nahrungsmittel als vielmehr mit Arbeitsgerichts­entscheidungen, wie sie etwa im Zusammenhang mit den Arbeitskämpfen bei der Bahn ergingen: Streiken sei verboten, weil das den Konzern unverhältnismäßig viel Geld koste.
Und die mäßigen Verhältnisse, die müssen natürlich gewahrt bleiben.
Auch heute steht es jedem Politiker frei, eine Gesetzesvorlage ins Parlament einzubringen. Die Begründungen, mit denen ein verbessertes Arbeitsrecht in Sachen 1,30 Euro abgelehnt würde, dürften sehr interessant zu lesen sein.