Interner Streit in der CDU

Beten hilft nicht mehr

Die Konservativen in der CDU legen sich mit der Kanzlerin an. Der Aufruhr zeugt jedoch lediglich vom Bedeutungsverlust der Traditionalisten.

Seit einigen Wochen machen die innerparteilichen Gegner Angela Merkel (CDU) das Leben schwer. In dem historischen Bündnis aus Marktwirtschaft­lern, Nationalkonservativen und christlichen Arbeitnehmern, das der Union historisch gesehen Erfolge liefern konnte, rumort es kurz vor dem offiziellen Beginn des Wahlkampfs. Wortreich wer­den die »Rostflecken« auf dem »konservativen Tafelsilber« beklagt.
In dieser Lage fordert der hessische CDU-Fraktionsvorsitzende Christean Wagner stellvertretend für die Kritiker in der Partei, die Führung sol­le sich »auf den Markenkern der Union besinnen«. Nicht nur die Reaktion auf die Finanzkrise und die teilweise erfolgte Befürwortung von Staatsinterventionen irritieren einen Teil der Mitglieder. Besonders argwöhnisch wurde gerade in katholischen Parteimilieus Merkels öffentliche Kritik an Papst Benedikt XVI. wegen dessen Meinung zur Pius-Bruderschaft betrachtet. Gerade unter traditionellen, katholischen Wählern werden bei den Bundestagswahl Stimmenverluste befürchtet.

Die derzeitige Unruhe ist nicht nur der Sorge um die Richtung der Partei geschuldet. 32 Prozent der Stimmen erhielt die Union Mitte März in Um­fragen der ARD, also weniger als bei der Bundestagswahl 2005. So ist eine Regierung aus CDU/CSU und FDP keineswegs sicher, der Verbleib von etlichen Unionsabgeordneten im Bundestag ist gefährdet. Allerdings wird in den Medienberichten von FAZ bis Stern über »Merkel und die Konservativen« übersehen, dass es sich bei deren Aufschrei um den Lärm einiger in die Defensive geratener Parteisoldaten handelt. Mag Christean Wagner auch an Alfred Dregger, das große Vorbild der deut­schen Konservativen, erinnern – die »Stahlhelmfraktion« innerhalb der Union stirbt aus. Ihre Nachlassverwalter wie der brandenburgische Generalleutnant a.D. Jörg Schönbohm blieben un­ter Merkel in der zweiten Reihe. Wegen der Auflösung der traditionellen Wählermilieus und der Pluralisierung der Lebensstile wäre eine konservative Offensive zudem der sichere Weg in die Wahl­niederlage. Selbst die CSU ist als Bewahrerin der Tradition in Bayern inzwischen auf Koalitionen angewiesen.
»Zuerst kommt die Stammkundschaft, dann die Laufkundschaft«, zitiert Wagner in einem Artikel für die Welt ein altes Diktum Dreggers. Tatsächlich fühlte sich gerade die »Stammkundschaft« etwa von Merkels Auftritt mit der Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer Ende Januar auf einer Festveranstaltung zu 90 Jahren Frauenwahlrecht im Kanzleramt brüskiert. Für ein ­Milieu, für das der »konservative Feminismus« von Familienministerin Ursula von der Leyen schon einer »Verstaatlichung der Kinderbetten« gleichkommt, war dies offenbar eine Zumutung. Die konservative Basis murrt. Die FAZ berichtete kürzlich unter dem Titel »Das Fass läuft über« von der Verärgerung der Union nahe stehender Katholiken über die kin­derlose, evangelische Kanzlerin aus dem Osten, wegen deren Kritik am Papst sich der Publizist Alexander Gauland im Tagesspiegel gar an Bismarcks Kulturkampf erinnert fühlte.

Aufschlussreich ist, wer sich derzeit als Kritiker Merkels zu Wort meldet oder als Gegenkandidat empfohlen wird: Landesvorsitzende aus Bremen oder Brandenburg, für die 32 Prozent schon sehr solide wäre, oder etwa Roland Koch, der seinen Wiederaufstieg in Hessen nur der Schwäche des Gegners verdankte. Die FAZ bot in ihrem Sittengemälde aus dem katholischen Milieu als Kron­zeugen gegen Merkel Werner Münch auf, der als Importpolitiker aus dem Westen von 1991 bis 1993 Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt war. Doch selbst die Parteihistoriker im Konrad-Adenauer-Haus dürften bis zu Münchs kürzlich erfolg­tem Parteiaustritt kaum eine greifbare Erinnerung an den Mann bewahrt haben. Ansonsten prä­sentierte die FAZ vor allem katholische Widersacher, die das Maß ihrer Unbeugsamkeit dadurch zeigten, dass sie dem Reporter ihren Namen lieber nicht verraten wollten. Lediglich Bernhard Mihm, der Bezirksvorsitzende der Seniorenunion in Paderborn, äußerte furchtlos seine Bedenken gegen die CDU-Regierungspolitik.
Konserviert wird in diesem Rechtskatholizismus vor allem das Ressentiment gegen die ostdeutsche Protestantin Merkel. Der »rheinische Kapita­lismus« der Bonner Republik war eben nicht nur ein ökonomisches Modell, sondern auch eine mentalitätsgeschichtliche Formation, deren Ideologie in einem Bonmot zum Ausdruck kommt, das Konrad Adenauer zugeschrieben wird: »In Köln-Deutz beginnt der Bolschewismus.« Das diffuse Misstrauen gegenüber dem schon jenseits der Rheinbrücke vermuteten Unglauben existiert auch in anderen regionalen Variationen, z.B. bei papsttreuen Westfalen oder in Bayern. Bundes­weit mehrheitsfähig ist derlei nicht. Zwar zeigte eine Mitgliederbefragung der Konrad-Adenauer-Stiftung im Jahre 2006 die vergleichsweise hohe Affinität der Unions­mitglieder zu Religion und Kirchenzugehörigkeit, wobei der katholische Mit­gliederanteil überwog. Unmittelbare politische Konsequenzen folgen aus der gefühlten Nähe zur Religion jedoch nicht.
Vorbei sind die Zeiten, als der katholische Klerus die Union noch als parlamentarischen Arm der Bischofskonferenz betrachten konnte. Der Kölner Kardinal Meisner fordert regelmäßig, die Christdemokraten sollten das »C« aus ihrem Namen strei­chen. Die Klage des Kardinals hat Gründe. Allein die Lebensführung von Unionspolitikern wie Horst Seehofer, Christian Wulff oder Günther Oettinger, deren Eheprobleme denen der rot-grünen Kon­kur­renz gleichen, weicht erheblich vom klassischen katholischen Kanon ab. Während Gerhard Schröder oder Joschka Fischer für ihre Anhänger keinerlei Ablass wegen ihrer privaten Verhältnisse leisten mussten, erfolgt die öffentliche Beichte der Unionspolitiker nicht in der Kirche, sondern in der Bild-Zeitung. Die politische Relevanz des Katholizismus schwindet weiter. »Wäre Meisner CDU-Spitzenkandidat, geriete die Partei in die Gefahr, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern«, sagte der Politikwissenschaftler und Merkel-Biograf Gerd Langguth dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Das Murren der Konservativen in der Union über den Verlust des »Markenkerns« ist eine Reaktion auf den eigenen Bedeutungsverlust. Die »Laufkund­schaft« der politischen Wechselwähler, die heute die Grünen und morgen wieder die Union wählen, wird auf etwa 60 Prozent der Wahlberechtigten geschätzt. Man erreicht sie nicht mit Retro-Slogans. Eine dezidiert konservative Politik wäre für die Union noch fataler als der rabiate Wirt­schafts­liberalismus, der 2005 den Sieg der angestrebten bürgerlichen Koalition vereitelt hat. Auch zahlreiche Unionsanhänger sind dringend auf staatliche Leistungen angewiesen und reagieren empfindlich auf die Politik der Zumutungen. Wer in der Wirtschaftskrise die reine Lehre vom Markt bevorzugt, gibt derzeit in Umfragen seine Stimme der FDP. Und wem der Kurs der Kanzlerin zu antiklerikal ist, spart sich wohl am Wahlsonntag den Umweg zum Wahllokal und geht gleich nach dem Gottesdienst zum Frühschoppen. So regt die politische Apathie der wertkonservativen, traditionalistischen Milieus wenigstens gut keynesianisch die Binnennachfrage in der Wirtschaft an.