Die Abtreibungsdebatte in Spanien

Die Offensive der Lebensschützer

In Spanien rufen die katholische Kirche und die Konservativen zum Protest gegen Pläne der Regierung auf, das restriktive Abtreibungsrecht zu reformieren. Die konservative Kampagne bestimmt die gesellschaftliche und politische Debatte, für linke und feministische Positionen bleibt kaum Platz.

Die spanische Regierung hat sich endlich dazu durchgerungen, das seit 24 Jahren bestehende res­triktive Abtreibungsgesetz zu ändern. Nach ihrem Wahlsieg im März 2008 hatte die sozialdemo­kratische Partei (Psoe) von Premierminister José Luis Rodríguez Zapatero versprochen, das Abtreibungsgesetz zu liberalisieren, um Spanien den meisten europäischen Ländern anzupassen. Dies war nötig geworden, nachdem die katholische Rechte 2006 eine regelrechte Kampagne gegen Kliniken, betrof­fene Frauen und die sozialdemokratische Regierung veranstaltet hatte. Nicht strafbar ist Abtreibung bisher unter drei Indikationen: bei Vergewaltigung – wenn diese angezeigt wird – mit einer Frist von zwölf Wochen, bei Verdacht auf Missbildung des Embryos – in diesem Fall beträgt die Frist 22 Wochen – und bei Gefahren für die physische oder psychische Gesundheit der Frau (ohne zeitliche Begrenzung). In den achtziger Jahren betonten Feministinnen, dass mit dieser Regelung nur drei bis fünf Prozent der Frauen, die abtreiben wollten, dies auch straflos tun könnten. Die Eröffnung von Privatkliniken und ein Erlass des obersten Staatsanwalts, Frauen nicht mehr wegen Abtreibungen anzuklagen, schufen dann die Grundlage für eine liberale Auslegung des Gesetzes.
Die Bedrohung der »physischen und psychischen Gesundheit« einer schwangeren Frau ist seit­dem so weit definiert, dass in den vergangenen Jahren mit dieser Begründung über 90 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in Spanien vorgenommen wurden und sogar Frauen aus Frankreich und den Niederlanden nach Spanien reisten, um dort Abtreibungen vornehmen zu lassen. Dieser inoffizielle Konsens wurde in den vergangenen Jahren gebrochen durch Ermittlungen und Prozesse gegen Ärzte, Krankenpfleger und ehemalige Patientinnen, die wegen angeblicher »ille­galer Abtreibungen« vor Gericht erscheinen mussten. Die Regierung Zapatero will nun durch die Änderung des Gesetzes Rechtssicherheit für Ärztinnen und schwangere Frauen schaffen.
Im März wurden die Berichte zweier Kommissionen vorgestellt, die Vorschläge für eine Gesetzesänderung erarbeiten sollten. Es ist zu erwarten, dass daraus bald ein Gesetzentwurf entwickelt wird. Das wird vor allem die Fristen betreffen. Bis zur 14. Schwangerschaftswoche soll demnach eine Abtreibung aus freier Entscheidung der Frau und ohne Angabe von Gründen möglich sein. Bei einer Missbildung des Fötus und einer Gefahr für die physische und psychische Gesundheit der Frau soll die Frist 22 Wochen betragen. Ebenfalls zur Diskussion stehen eine weitere Indikation bei voraussichtlicher Lebensunfähigkeit des Fötus, eine obligatorische Beratung vor dem Abbruch und eine Regelung, die 16jährigen eine Abtreibung ohne Einverständnis der Eltern erlauben würde. Auch soll künftig garantiert sein, dass Schwangerschaftsabbrüche in öffentlichen Krankenhäusern vorgenommen und von der Kran­kenversicherung übernommen werden. Die Gleich­berechtigungsministerin Bibiana Aído will außerdem die Informationskampagne über Ver­hü­tungs­mittel verbessern und dement­spre­chen­de Unterrichtseinheiten an Schulen einführen.

Damit kommt die Regierung in einigen Punkten vorsichtig den Forderungen nach, die (nicht nur) die spanische Frauenbewegung in den siebziger Jahren stellte: Es soll ausschließlich die Entscheidung der Frauen sein, ob sie eine Schwangerschaft austragen möchten. Entscheiden sie sich dagegen, müssten die Kosten dafür von der Krankenversicherung gedeckt werden. Schwangerschaftsabbruch sei ein Recht und kein Verbrechen und müsse daher aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden.
Bei den Sozialisten ist allerdings extreme Vorsicht bei diesem Thema zu beobachten. Rhetorisch gehen sie beispielsweise auch auf den Diskurs der selbsternannten »Lebensschützer« ein und sprechen ausdrücklich von einem »Interessenkonflikt« zwischen der schwangeren Frau und dem Fötus. Die Sprecherin des Psoe in Fragen der Gleichberechtigung, Carmen Montón, benutzte auf einer Veranstaltung feministischer Grup­pen zum zukünftigen Abtreibungsgesetz sogar die Bezeichnung »Nasciturus« für den Fötus, ein Terminus, der bisher hauptsächlich von Abtreibungsgegnern verwendet wurde.

Dieses Entgegenkommen reicht den Abtreibungs­gegnern jedoch nicht. Die katholische Bischofskonferenz hat bereits eine Anzeigen- und Plakatkampagne vorgestellt (Jungle World 13/09) und angekündigt, ihre Ablehnung während der großen Prozessionen in der Osterwoche deutlich zum Ausdruck zu bringen. Dass an den Demonstrationen der Abtreibungsgegner, die Ende März mehrere zehntausend Menschen in einigen spanischen Städten auf die Straße brachten, auch Mitglieder des Psoe teilnahmen, zeigt, dass auch in der regierenden Partei keine Einigkeit in diesen Fragen herrscht. In der Tat ist es fraglich, ob der Psoe, der in einer Minderheit mit wechselnden Bündnissen regiert, genügend Unterstützung für eine Gesetzesänderung finden wird. Abgesehen von den Unstimmigkeiten innerhalb der Partei haben viele Abgeordnete auch große Angst vor Rechten und Katholiken und wollen weitere »Provokationen« lieber vermeiden. Auch mit möglichen Bündnispartnern sieht es für die Sozialdemokraten derzeit anders aus als in der vergangenen Legislaturperiode. 2005 führte der Psoe die gleichgeschlechtliche Ehe ein und räumte damit homosexuellen Paaren die gleichen Rechte ein wie heterosexuellen. Damals hatten die Sozialdemokraten genügend Stimmen anderer linker Parteien auf ihrer Seite, um das Gesetz gegen die Konservativen durchzubringen. Seit den Wahlen 2008 stützt sich der Psoe hauptsächlich auf Stimmen der nationalistischen Parteien, die in der Mehrheit ebenfalls konservativ sind.
Ob das neue Gesetz konkrete Verbesserungen für schwangere Frauen zur Folge haben wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Es ist liberaler als das alte Gesetz, jedoch keineswegs permissiver als die derzeitige Praxis. Bei der einzigen offensichtlichen Verbesserung, dem Entscheidungsrecht für Minderjährige ab 16 Jahre, haben die Verantwortlichen des Psoe bereits angedeutet, dass es Änderungen geben könnte. Um das neue Gesetz mehrheitsfähig zu machen, könnten Minderjährige verpflichtet werden, sich von einem Erwachsenen begleiten zu lassen.
Die Furcht vor den Kampagnen der Abtreibungs­gegner und die Sorge um die fehlende parlamentarische Mehrheit bestimmen derzeit die Debatte. Für Stimmen aus der feministischen Bewegung, die auf die vielen Frauen hinweisen, die nach den zurzeit diskutierten Vorschlägen wieder im Ausland oder illegal abtreiben müssten, ist vor diesem Hintergrund kein Platz.