Die Durban Review Conference in Genf und die Diktatur der Mehrheit

Diktatur der Mehrheit

Die so genannte Antirassismuskonferenz der Uno in Genf droht wie die vorige im Jahr 2001 zur Farce zu werden. Wieder ver­suchen einige islamische Staaten, die Konferenz in ihrem Sinne zu instrumenta­lisieren – gegen Israel und gegen die Meinungsfreiheit.

Vom 20. bis zum 24. April werden sich internationale Prominenz und tausende Angehörige der so genannten Zivilgesellschaft am Sitz des UN-Menschenrechtsrates in Genf versammeln, um die vierte Uno-Antirassismuskonferenz, die so genannte Durban Review Conference, abzuhalten. Dieses Treffen tritt ein äußerst problematisches Erbe an. Die letzte Konferenz dieser Art fand 2001 im südafrikanischen Durban statt und wurde heftig dafür kritisiert, unzählige Menschenrechts­verletzungen weltweit nicht behandelt, aber dafür ein regelrechtes Tribunal gegen Israel abge­halten zu haben. Auf der Konferenz wurde Israel als einziges Land für »staatlichen Rassismus« ver­urteilt und viele Teilnehmer berichteten von antisemitischen Eklats auf dem gleichzeitig statt­findenden NGO-Forum. Dort wurden unter anderem Flyer verteilt mit Hitlers Konterfei und dem Text: »What if I had won? Then there would be no Israel!« Und es kam zu tätlichen Angriffen auf Mitglieder jüdischer Organisationen. Die israelische Delegation und viele jüdische Aktivisten reisten empört ab.
Acht Jahre später droht nun die Nachfolgeveranstaltung in einer ähnlichen Katastrophe zu enden. Die Hoffnungen, welche sich in den vergan­genen Jahren an die Erneuerung der UN-Menschenrechtspolitik im Allgemeinen und den Kampf gegen den Rassismus im Speziellen geknüpft hatten, haben sich weitestgehend als unbegründet herausgestellt. Der UN-Menschenrechtsrat, der 2006 gegründet wurde, um die völlig diskreditierte Menschenrechtskommission zu ersetzen, verabschiedete während seiner 10. Sitzung im März dieses Jahres lediglich vier Resolutionen zu bedenklichen Menschenrechtssituationen in Somalia, Nordkorea, Burma und Kongo. In keiner wurden Verantwortliche direkt erwähnt, sondern lediglich im UN-Sprech »alle Beteiligten« zur »Achtung ihrer Verpflichtungen nach interna­tionalem Recht« ermahnt. Demgegenüber stehen fünf im selben Zeitraum verabschiedete anti-israelische Resolutionen, die den jüdischen Staat heftig verurteilen.

Warum tut sich die Uno so schwer mit einer Men­schenrechtspolitik, die diesen Namen verdient? Die Antwort liegt in der grundsätzlichen Struktur dieser Organisation. Die Uno ist ein Kind des Westfälischen Staatensystems. Die unantastbare Souveränität des Nationalstaates ist Grundlage und Modus Operandi der Weltorganisation: ein Staat – eine Stimme. Die Qualität der internationalen Menschenrechtspolitik wird dementsprechend zu einer Frage der Mehrheit, und die ist in fast allen UN-Gremien, den Sicherheitsrat ausgenommen, auf der Seite der arabischen und islamischen Länder. Diese haben ein Drittel der Stimmen im Menschenrechtsrat und bilden zusammen mit vielen Dritte-Welt-Ländern aus der Bewegung der »Blockfreien Staaten« (sowie Russ­land und China als Gelegenheitsmitläufern) eine automatic majority. Innerhalb dieser Mehrheit hilft man sich gegenseitig, wählt sich in Menschenrechtsgremien und sorgt dafür, dass Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land nicht zur Sprache kommen. Gleichzeitig sind Angriffe auf Israel das allgemein anerkannte Mittel, um das eigene Engagement in Menschenrechtsfragen zu demonstrieren. Innerhalb dieser Mehrheit können wichtige Posten nach Belieben verteilt werden. So ist es auch zu erklären, dass ausgerechnet Libyen den Präsidenten und Iran und Syrien die Vizepräsidenten des »Preparatory Committee« stellen, welches mit der Erarbeitung der Abschluss­resolution der Durban-II-Konferenz betraut ist.
Bereits 2008 begannen die verschiedenen Regionalgruppen, inhaltliche Vorschläge für die Abschlussresolution zu übermitteln. Genau wie auf der ersten Konferenz in Durban verweigerte die Regionalgruppe Asien, zu der Israel nominell gehört, dem Land den Zutritt zu den Vorverhandlungen und warf dem Staat in mehreren Paragrafen »ethnische Säuberungen« und »Apartheid« vor.
Die Europäer kündigten dennoch ihre Teilnahme unter gewissen Bedingungen an, die in diplomatischen Kreisen als »red lines« bezeichnet wurden. Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft stellte klar, dass in der schriftlichen Ab­schluss­resolution Israel nicht erwähnt und keine Einschränkung der freien Meinungsäußerung gefordert werden dürfe. Denn gerade die Meinungsfreiheit steht in der UN-Menschenrechtspo­li­tik nicht besonders gut da. Die Länder der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) verabschieden mit ihrer Mehrheit seit mehreren Jahren Resolutionen, die sich gegen die so genann­te »Diffamierung von Religionen« richten. Diese Staaten verlangen, Religionen und vor allem den Islam zum Träger von Menschenrechten zu erklären, deren »Verletzung« z.B. durch »beleidigende Bilder« von Staaten verfolgt und bestraft werden kann. Im selben Kontext verlangen sie die »freiwillige« Beschränkung der Pressefreiheit. Eine entsprechende Resolution verabschiedete der Menschenrechtsrat erst vor zwei Wochen und verlieh damit der Verfolgung von Oppositionellen oder Minderheiten in diktatorischen Staaten einmal mehr den Segen der Vereinten Nationen.

Auch hinsichtlich anderer Themen zeigte sich beim Feilschen um die Abschlussresolution der Durban-II-Konferenz grundsätzlicher Dissens. So wurde beispielsweise der europäische Antrag, Homosexuelle in der Resolution als schützenswerte Opfer diskriminierender Gewalt zu erwähnen, von den islamischen Ländern abgelehnt. Die kompakte Begründung dafür lieferte der Iran. In der Islamischen Republik, so der Delegierte, existiere Homosexualität nicht. Ebenso wandte sich der Iran gegen den europäischen Vorschlag, »Geschlechtergleichheit« als positives Ziel in dem Text festzuschreiben, und schlug stattdessen den Begriff »Geschlechtergerechtigkeit« vor. Der Delegierte wollte auf britische Nachfrage nicht weiter auf diesen Begriff eingehen, aber auch so war es relativ offensichtlich, an welchem Recht sich diese »Gerechtigkeit« im Iran orientieren wird.
Das vielleicht deutlichste Armutszeugnis zum Stand der internationalen Menschenrechte legten wiederum der Iran sowie Syrien und der Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehör­de ab, als sie sich dem europäischen Antrag verweigerten, in der Abschlussresolution den Holocaust zu erwähnen. Eine Erwähnung des Holocaust an prominenter Stelle sei, so der palästinen­sische Delegierte, nur akzeptabel, wenn an gleicher Stelle das palästinensische Leid erwähnt wer­de. Syrien zweifelte an, dass tatsächlich, wie in dem Text genannt, ein Drittel aller Juden während der Shoah ermordet wurden, und der Iran sah in der Formulierung »condemning without reser­vation any denial of Holocaust« eine unzulässige Einschränkung der Meinungsfreiheit, die ihre legitimen Grenzen anscheinend nur vor dem Islam hat.
Das gesamte bisherige Frühjahr verging damit, dass die Tschechische Republik als Vertreterin der EU in informellen Verhandlungen versuchte, das Dokument nach ihren Vorstellungen zu verändern. Die fast 600 Artikel wurden einer nach dem anderen durchgearbeitet, und zu jedem einzelnen gab es europäische Änderungsvorschlä­ge. Zwar bemühte sich die unermüdliche tschechische Delegierte ihre »red lines« zu verteidigen, andere europäische Delegationen ließen aber immer klarer durchscheinen, dass ihre Grenze eh­er rosarot ist, die Bedingungen also so strikt nicht seien, und deuteten Verhandlungsbereitschaft an. Neu war, dass sich die Amerikaner im Sinne von Barack Obama (»America is back«) entschlossen, an den Verhandlungen teilzunehmen. Es dauerte aber nur zwei Wochen, bis die Regierung der USA ihre Delegation resigniert abzog. Das Dokument, so das State Departement in seiner offiziellen Stellungnahme, »has gone from bad to worse«. Aufgrund »substantieller Verbesserungen« im Entwurf der Abschlusserklärung überdenkt die US-Regierung derzeit aber erneut ihre Entscheidung, die Konferenz zu boykottieren. Ein Sprecher des Außenministeriums betonte, der Entwurf enthalte zwar noch immer »Besorgnis erregende Elemente«, Sollten jedoch weitere Änderungen erfolgen und unter anderem die positive Bezugnahme auf die Beschlüsse von Durban I gestrichen werden, könnten die USA noch von einem Boykott absehen.
Während die USA so weiterhin versuchen, diplomatischen Druck auszuüben, hat Italien bereits Ende März beschlossen, der Konferenz fernzubleiben. Der Zugzwang für die verbliebenen Europäer ist seitdem groß. Entweder muss eine erhebliche Verbesserung der Resolution herbeigeführt oder die Konsequenz aus dem stän­digen Bruch der selbst gesetzten Bedingungen (»red lines«) ge­zogen werden: der Boykott.

Die Verhandlungen waren Ende März derart festgefahren, dass viele die baldige Entscheidung der europäischen Gemeinschaft zum Boykott erwarteten. Anders als im Menschenrechtsrat, in dem die islamisch dominierte Mehrheit nach Belieben schalten und walten kann, ohne sich mit solchen Drohungen auseinandersetzen zu müssen, beschloss die OIC in einem Vermittlungsausschuss zur Abschlussresolution der Antirassismuskonferenz, vorerst auf die Erwähnung von Israel und der »Diffamierung von Religionen« zu verzichten, um Durban II nicht platzen zu lassen. Diese informellen Verhandlungen sind jedoch in keiner Weise bindend. Kaum hatte sich die Situation etwas beruhigt, lag am 7. April ein Antrag des Iran auf dem Tisch, den Kampf gegen »Diffamierung von Religionen« in das vorläufige Dokument einzufügen, und Syrien verlangte, die »Besetzung fremder Gebiete«, ein bei den UN übliches Synonym für die israelische Politik, als rassistisch zu verurteilen.
Sowohl die Verhandlungen zu Durban II als auch die 10. Sitzung des Menschenrechtsrats haben weitgehend die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Die Welt der UN-Menschenrechte hat mit der Realität nichts mehr zu tun und treibt die absurdesten Blüten. So rechtfertigte die sudanesische Delegation die Ausweisung von 13 humanitären Organisationen nach der Anklage des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir durch den Internationalen Strafgerichtshof damit, diese hätten einer westlichen »neokolonialen Kons­piration« angehört und im Sudan lediglich »Uran­vorkommen« ausgekundschaftet. Abgesehen von einigen Ausnahmen verhielten sich die Nicht-Regierungsorganisationen nicht viel besser. Exemplarisch sei die NGO »Organization For Defending Victims Of Violence« genannt, welche im Rat unwidersprochen auf die antisemitische Ritualmordlegende zurückgriff, als sie behauptete, die Israelis würden »in ihren Gefängnissen mus­limische Kinder foltern«. Egal wie Durban II ausgehen wird, die universellen Menschenrechte werden verlieren.