Ein Jahr Republik in Nepal

Regieren und rebellieren

Die Maoisten führen die nepalesische Regierung, doch sie beteiligen sich auch an der Protestbewegung.

Es waren eher ungewöhnliche Worte für einen Finanzminister. »Wir sind hier, um für Anarchie zu sorgen«, sagte Baburam Bhattarai, Vordenker der Vereinigten Kommunistischen Partei – Maoisten, Anfang April auf einer Veranstaltung. »Die Revolution kann nur durch eine Phase der Anarchie zum Erfolg gebracht werden. Wir müssen uns die Macht erst noch aneignen«. Die Maoisten führen die Koalitionsregierung, doch sie protestieren auch.
Am Montag vergangener Woche legte abermals ein Streik den Verkehr in der Hauptstadt Kathmandu lahm. Barrikaden und Autos brannten, An­gehörige linker, auch maoistischer, Gruppen, demonstrierten gegen den Stillstand im politischen Prozess. Über 50 Maoisten, darunter zwei Mitglieder des Politbüros, wurden verhaftet. Doch die Öffentlichkeit hat sich sowohl an die Streiks als auch an die Identitätsfindungsschwierigkeiten der Maoisten gewöhnt.
Im April 2006 zwang eine Massenbewegung König Gyanendra in die Defensive, die Maoisten legten die Waffen nieder. Im April vorigen Jahres fanden die Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung statt. Die Maoisten gewannen und setzten die Ausrufung der Republik durch. In diesem Jahr ist die Aufbruchstimmung verflogen, die Koalitionsregierung konnte keines der relevan­ten Probleme lösen.
Die Herausforderungen waren gewaltig. Das System staatlicher Leistungen brach zusammen, die Energieversorgung ist unzureichend und die Gesundheitsversorgung ist eine der schlechtesten weltweit. Die Wirtschaft stagniert seit Jahren, im Süden des Landes gewinnen bewaffnete separatistische Gruppen an Einfluss.

Nach ihrem Wahlsieg umwarben die Maoisten mehrere Monate lang die beiden größten Parteien, den konservativen Nepali Congress und die Sozialdemokraten der Kommunistischen Partei – Vereinigte Marxisten/Leninisten. Der Nepali Congress ist inzwischen in die Opposition gegangen, doch nach wie vor setzen sich die Parteiführungen immer wieder zusammen und verkünden Fortschritte, nur um wenig später abermals Kom­promisse abzulehnen. Als »durchschaubares, intrigantes Spiel alter Männer mit Machthunger« charakterisiert die Tageszeitung Himalaya Times diese Politik.
Heftig umstritten ist der maoistische Vorschlag, Nepal in 15 Bundesstaaten mit weitreichender Autonomie zu gliedern. Die jahrhundertelange Un­terdrückung der Minderheiten durch die Kasten und die Dynastie soll beendet werden, deshalb sind 13 Bundesstaaten ethnisch konzipiert. Diese Einteilung wird jedoch neue Minderheiten schaffen, überdies dürfte es die ökonomische Benachteiligung diskriminierter Gruppen eher verstärken, wenn sie, wie von den Maoisten geplant, in der Schule die Lokalsprache statt der Landessprache Nepali lernen.
Premierminister Pushpa Kamal Damal, besser bekannt unter seinem maoistischen Kampfnamen Prachandra, wendet sich lieber der Außenpolitik zu. Vor allem die Beziehungen zu China will er verbessern, deshalb geht die Polizei mit zu­nehmender Härte gegen tibetische Exiloppositionelle vor. Prachandra sucht auch die Annäherung an Indien, doch die nationalistische Rhetorik der Maoisten hat eine dezidiert anti-indische Kom­ponente, derzeit kritisieren sie das Treffen des ehemaligen Königs Gyanendra mit der Parteispit­ze der hindunationalistischen BJP.

Angesichts zunehmender Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem demokratischen Prozess könnten die Royalisten gefährlich werden, vor allem falls es ihnen gelingen sollte, einflussreiche Partner in Indien zu gewinnen. Dort wird in diesem Monat eine neue Regierung gewählt, ein Wahl­sieg der BJP ist nicht auszuschließen. Den Maoisten dient die Gefahr einer monarchistischen Restauration als Rechtfertigung für ihr wenig kompromissbereites Vorgehen.
Gänzlich unberechtigt sind die Befürchtungen allerdings nicht, denn die überwiegend royalistische Militärführung blockiert den von der Uno aus­gehandelten Plan, 15 000 Guerilleros in die Armee zu integrieren. Im April begann stattdessen die Rekrutierung neuer Soldaten. Der maoistische Verteidigungsminister Ram Bahadur Thapa drohte daraufhin, neue Kombattanten für die maoistische Guerilla anzuwerben. Der Konflikt konnte durch Vermittlung der Uno vorerst entschärft werden, eine Lösung ist indes nicht in Sicht. Andererseits sind auch die Mittel, mit denen sich die Maoisten die Macht »noch aneignen« wollen, dubios. Insbesondere der paramilitärische Jugendverband Young Communist League operiert weiterhin mit den bewährten Mitteln aus den Zeiten des »Volkskrieges«, vor allem gegen kritische Journalisten.

Die Maoisten haben sich zu einer Teilung der Macht verpflichtet, können jedoch die Maxime, dass diese Macht aus Gewehrläufen kommt, nicht hinter sich lassen. Die anderen Parteien fürchten eine vollständige Machtübernahme Prachandras und seiner Organisation. Die konservativen Honoratioren des Nepali Congress, der zweitgrößten Partei des Landes, haben jedoch in den vergangenen Monaten bewiesen, dass mit ihnen kaum Fortschritte zu erreichen sind.
Die Maoisten müssen einerseits kompromissbereite Koalitionspartei sein, andererseits erwarten ihre Anhänger weitreichende soziale Veränderungen. Das bereitet Prachandra Probleme, wie er jüngst in Kathmandu bekannte: »Manchmal fällt es mir schwer, zu unterscheiden, ob ich ein Rebell oder der Premierminister bin.«