Über die Strategien der französischen Linken

Drei Linke, kein Profil

Die französischen Sozialisten suchen nach Wegen aus ihrer eigenen Krise. Der Versuch, sich als Opposition zu profilieren, scheitert jedoch an einem internen Streit. Dabei geht es um »Regierungskultur« und eine Annäherung an die radikale Linke.

Excusez! Die neue Oppositionsstrategie in Frankreich scheint ihr Schlüsselwort zu haben. Jedenfalls sofern es nach Ségolène Royal geht, die damit derzeit Furore macht – jedoch auch mehr und mehr ihre Partei, die französischen Sozialisten, gegen sich aufbringt.
Royal hatte vor zwei Jahren erfolglos als sozialdemokratische Präsidentschaftsbewerberin gegen den jetzigen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy kandidiert. Zuvor war sie im November 2006 als Siegerin aus einer innerparteilichen Urabstimmung hervorgegangen. Die folgende Wahlkampagne Royals enttäuschte viele ihrer Anhänger, denn sie erwies sich weitgehend als inhaltsleer. Untaug­liche soziale Versprechen standen da neben patriotischem Kitsch – jeder Haushalt, so schlug Royal damals beispielsweise vor, solle eine Trikoloreflagge besitzen – und auch dem einen oder anderen umstrittenen sicherheitspolitischen Vorschlag.

Der Versuch Royals, auf dem vorigen Parteitag der französischen Sozialisten die Führung zu übernehmen, scheiterte einige Zeit später. Im vergangenen November setzte sich die frühere Arbeits- und Sozialministerin Martine Aubry sehr knapp gegen Royal als neue Parteivorsitzende durch. Seitdem hat aber ein erbitterter Wettstreit begonnen zwischen der amtierenden Parteiführung und Royal, die aus »ihrer Provinz« – sie regiert derzeit als Regionalpräsidentin im westfranzösischen Poitiers – weiterhin ihre eigene »Nebenaußenpolitik« betreibt. Beide sind intensiv um Profilierung bemüht. Dabei geht es unweigerlich auch um den Kurs der stärksten parlamentarischen Oppositionspartei in Frankreich, die trotz der sinkenden Popularität der Wirtschaftspolitik unter Nicolas Sarkozy bislang kaum als Alternative aufzutreten vermag.
Der Begriff »Nebenaußenpolitik« wurde einst für CSU-Chef Franz Josef Strauß geprägt, der sich in den achtziger Jahren von München aus neben der Bundesregierung in Bonn zu profilieren suchte, er eignet sich derzeit aber auch für Ségolène Royals Vorgehen.
Schlagzeilen machte sie jüngst mit ihrer Strategie der Entschuldigungen. Zunächst hielt sie am 6. April eine viel beachtete Rede im westafrikanischen Dakar, wo Nicolas Sarkozy Ende Juli 2007 eine der umstrittensten Reden seiner bisherigen Amtszeit gehalten hatte. Sarkozys »discours de Dakar« findet heute noch in universitären und politischen Kreisen ihren – meist negativen – Nachhall. »Der afrikanische Mensch ist nicht genügend in die Geschichte eingetreten«, lautet einer der meistzitierten Sätze aus dieser Rede. Sarkozy bezog sich dabei auf ein Bild vom afrikanischen Bauern, der nur die ewig gleiche Abfolge der Jahreszeiten, aber kein Gestern und kein Morgen kenne – während rund um ihn herum das Leben in der modernen Großstadt Dakar pulsiere. Nur durch die Öffnung gegenüber den Europäern, so tönte Sarkozy, sei eine höhere Entwicklung der Afrikaner denkbar geworden. Zwar distanzierte er sich von einigen Schrecken des Kolonialismus. Gleichzeitig plädierte er um Nachsicht für die Kolonialisten, die oft in bestem Glauben daran gehandelt hätten, dass sie die Zivilisation verbreiteten.
In ihrer Rede Anfang April bat Royal »im Namen Frankreichs um Entschuldigung« für diese Sätze Sarkozys. Diese hatten tatsächlich unter afrikanischen Intellektuellen heftige Gegenreaktionen hervorgerufen, Bücher wurden dazu verfasst, allein drei Sammelbände gegen den »discours de Dakar« und zur Geschichte des Kontinents sind seitdem in Paris verlegt worden. Royal plädierte in ihrer Ansprache für ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Europa und Afrika.
Eine weitere »Entschuldigungsaffäre« sorgte in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen. Kurz nach dem G 20-Gipfel in London hatte Libération einige unflätige Sprüche des französischen Staatschefs über seine Amtskollegen veröffentlicht, Aussprüche, die der Zeitung offenbar von Insidern zugetragen worden waren. Unter anderem war folgender Satz über den spanischen Premierminister zu lesen: »Vielleicht ist er nicht sehr intelligent.« In Wirklichkeit habe Sarkozy eine ironische Wendung benutzt und die französischen Sozialisten ärgern wollen, hieß es in den folgenden Tagen in der französischen Presse. Royals briefliche Entschuldigung an Zapatero wirkte daher ein wenig übertrieben und etwas deplatziert. Sie sorgte bei ihren Parteifreunden bestenfalls für verhaltene Reaktionen bis hin zu offener Ablehnung.

Doch nicht nur kleinere Streitigkeiten trüben derzeit das Profil der französischen Sozialisten. So hatte die neue Parteiführung unter Martine Aubry kurz vor der Weihnachtspause angekündigt, die Sozialdemokratie werde nach längerer Pause wieder stärker in sozialen Bewegungen aktiv werden – von der Unterstützung für Streiks bis zu jener für illegalisierte Immigranten. Damals waren es Ségolène Royal und ihr Umfeld, die sich dagegen sperrten und mahnten, ein solches Vorgehen schade der »Regierungskultur« der Sozialdemokratie – diese sei nun einmal keine Protestpartei. Wenige Wochen später aber veröffentlichte Royal einen Artikel in der bürgerlichen Sonntagszeitung JDD, in dem sie ihre Theorien von den »drei Linken« entwickelte. Demnach gebe es die »Regierungslinke«, die »zivilgesellschaftliche« und die »radikale« Linke. Alle drei, führte Royal aus, könnten und müssten bei wichtigen Anliegen zusammenarbeiten. Dadurch überholte sie die Führung ihrer eigenen Partei von links, die zu dem Zeitpunkt jegliche Zusammenarbeit mit der extrême gauche kategorisch ausschloss. Der Aufstieg der radikalen Linken wird von der sozialistischen Parteiführung gemeinhin als ein Vorgang eingeschätzt, den Sarkozy erfolgreich dazu nutzt, um die etablierten Linksparteien zu spalten.
Jüngst versuchten die Sozialisten erneut, sich als Opposition zu profilieren. Im März organisierte die Parteiführung eine Großveranstaltung im Pariser Konzertsaal Le Zénith, um dort gegen die »Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte« unter Sarkozy zu protestieren. Statt der erwarteten mehreren tausend kamen jedoch nur rund 1 000 Teilnehmer. Unter den Anhängern erhofft man sich derzeit wohl eher Opposition und eine Profilierung in wirtschafts- und sozialpolitischen denn in bürgerrechtlichen Themen.
Die schärfste Kritik nach der Veranstaltung im Zénith wurde vom Bürgermeister der Pariser Vorstadt Evry, Manuel Valls, formuliert: »Die Sozialdemokratie soll aufhören, einen primitiven Antisarkozysmus zu kultivieren«, sagte er. Kurz darauf lud er Sarkozys Minister für Einwanderung und nationale Identität, Eric Besson, zu einer Veranstaltung in Evry ein. Besson ist bei den Sozialisten der am meisten gehasste Regierungs­politiker überhaupt, der auch »Monsieur Verräter« genannt wird: Er hatte den Wahlkampf 2006/07 als Berater der Kandidatin Royal begonnen und als Minister Sarkozys beendet.
Am 1. Mai jedoch, zu dem die Gewerkschaften in diesem Jahr eine »historische Mobilisierung« versprechen, soll über diese Auseinandersetzungen vorübergehend geschwiegen werden: Royal, Aubry und Valls haben versprochen, gemeinsam demonstrieren zu gehen.