Plano fatal

Die neoliberale Wirtschaftspolitik des brasilianischen Präsidenten Cardoso steckt kurz vor den Wahlen in ernsthaften Schwierigkeiten

Der größte Deal in der brasilianischen Privatisierungsgeschichte ist perfekt. Für rund 19,1 Milliarden US-Dollar wurde Ende Juli an der Börse von S‹o Paulo das staatlich kontrollierte Fernmeldesystem Brasiliens, die Telebr‡s, meistbietend verkauft. Während drinnen ein Angebot das andere übertrumpfte, hatten außerhalb der Börse rund 3 000 Militärpolizisten alle Hände voll zu tun, um Gewerkschafter und Telebr‡s-Beschäftigte, die gegen die Privatisierung protestierten, auf Distanz zu halten.

Präsident Fernando Henrique Cardoso hatte hingegen Grund zur Freude. Zufrieden zeigte er sich mit dem Erfolg der Transaktion, die wesentlich mehr Geld in die chronisch leeren Kassen der Regierung spült als ursprünglich erwartet. Das Mindestgebot, das zuvor von der Regierung bei 13,47 Milliarden Real (11,3 Milliarden US-Dollar) fixiert worden war, wurde zur Freude Cardosos um 63,75 Prozent übertroffen.

Ein Erfolg, der dem amtierenden Präsidenten im laufenden Wahlkampf neue Munition gegen die Opposition liefert. Cardoso konnte es sich denn auch nicht verkneifen, die Proteste gegen den Verkauf der Telebr‡s, bzw. der aus ihr jüngst hervorgegangenen zwölf Gesellschaften, als unbegründet zurückzuweisen: Der Erfolg der Auktion spreche schließlich für sich, das Geld werde der Bevölkerung zugute kommen.

Mit der Auktion hat Cardoso sein "Entstaatlichungsprogramm" weiter vorangetrieben und das Modell des "Unternehmer-Staates", das in den Jahren der Militärdiktatur (1964 bis 1985) implementiert worden war, weiter zurückgestutzt. Ein Erfolg, der den selbsternannten "Modernisierer" der brasilianischen Wirtschaft und Gesellschaft nach langer Zeit wieder positiv in die Schlagzeilen bringt.

Das hatte FHC, wie der Präsident der Kürze halber genannt wird, auch bitter nötig, denn in Brasilien herrscht Wahlkampf. Im Oktober stehen die Präsidentschaftswahlen an, und Cardoso hat in den letzten Monaten stark an Boden gegenüber seinem Herausforderer Luis Ignacio "Lula" da Silva von der Arbeiterpartei (PT) verloren. Verantwortlich dafür ist Cardoso höchstpersönlich, denn dessen Wirtschaftspolitik droht der Zusammenbruch.

FHC war vor knapp vier Jahren angetreten, um den brasilianischen Staat von Grund auf zu modernisieren. Getragen von einer Welle der Euphorie, die sich auf das Verschwinden der Hyperinflation durch Cardosos "Plano Real" stützte, hatte der weltbekannte Soziologieprofessor und "Vater der Dependenztheorie" die Präsidentschaftswahlen leicht gegen "Lula" gewonnen. Doch der Glanz des "Plano Real" verblaßt und damit auch der Stern des ehrgeizigen Reformers.

Verantwortlich dafür ist zum einen die leichtsinnige Haushaltspolitik der Regierung, zum anderen die "asiatische Grippe", die sich in Brasilien zur Lungenentzündung ausgewachsen hat - wegen der instabilen Haushaltslage wird das Land wird mittlerweile in einem Atemzug mit Rußland genannt. So klagt die Zentralbank schon seit einiger Zeit über massive spekulative Währungsattacken auf den Real. Die Ende Oktober letzten Jahres über Nacht verdoppelten Zinssätze brachten zwar die erhoffte Entspannung auf dem Devisenmarkt, sorgten aber gleichzeitig für einen Zinsschock, unter dem Brasilien bis heute zu leiden hat.

Die Zinsen sind jedoch vom Höchstkurs von 43,4 Prozent auf mittlerweile mehr als die Hälfte gesunken, doch an Investitionen im Inland ist nicht zu denken. Im Gegenteil - die Hochzinspolitik der Regierung hat für zahlreiche Pleiten gesorgt und die Zahl der Arbeitslosen in ungeahnte Höhen schnellen lassen. Im Juni wurden für die Region S‹o Paulo, das wichtigste Wirtschaftszentrum des Landes, eine Arbeitslosenquote von 19 Prozent gemeldet. Allerdings betrifft dies nur die offiziell registrierten Arbeiter und Angestellten, für die Sozialversicherungsbeiträge geleistet werden. Diejenigen, die sich im informellen Sektor durchschlagen, fallen aus dieser Statistik heraus.

Alarmierend ist allerdings auch die schwindelerregende interne Verschuldung des Landes. Allein zwischen 1994, dem Zeitpunkt der Einführung des "Plano Real", und Mai 1998 sind die Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand auf 320 Milliarden Real gestiegen. Das "Schulden machen" ist quasi zu einer Spezialität der Regierung geworden: Während der Präsidentschaft Cardoso stieg die Schuldenlast um mehr als 190 Prozent.

Das macht auch dem Internationalen Währungsfonds (IWF) mittlerweile Sorge. Angesichts fehlender Haushaltsdisziplin ist es alleinige Sache der Fiskalpolitik, die Stabilisierungslast zum Preis einer Wachstumsdämpfung sowie zusätzlicher Zinskosten zu tragen. Die steigenden Zinsen haben ihren Teil zum chronischen Haushaltsloch beigetragen; allein im Mai belief sich das Defizit auf 539 Millionen Real. In der Öffentlichkeit kommt der Regierung Cardoso ihre Untätigkeit angesichts einer verheerenden Dürre in den nordöstlichen Bundesstaaten allerdings wesentlich teurer zu stehen. Erst nach Plünderungen von Lebensmittelläden und -transporten begannen die staatlichen Stellen, die Trinkwasser- und Lebensmittelversorgung zu organisieren.

Damit haben die Verantwortlichen der Landflucht weiteren Vorschub geleistet, worüber nicht nur die Bürgermeister der Küstenstädte klagen, sondern auch die Kirche. Fahrlässige Naturzerstörung und ineffiziente Wasserbewirtschaftung habe die Krise hervorgerufen. Entwicklungsgelder seien in den Taschen der lokalen Eliten, zumeist Großgrundbesitzer, gelandet, die die Alphabetisierung der Landbevölkerung genauso wie die Landreform blockieren würden.

Auf diese Kritik hat Cardoso in der Vergangenheit empfindlich reagiert.

Die Landreform ist unter der Ära FHCs kaum vom Fleck gekommen - er muß sich bei seiner Politik gerade auf jene Parlamentarier stützen, die den Großgrundbesitz repräsentieren. Attacken der Opposition und vor allem der Landlosenbewegung, der Trabalhadores Rurais Sem Terra (MST), haben dem Präsidenten, selbst Großgrundbesitzer, einige Schlappen und einen massiven Imageverlust zugefügt.

FHC weist daher auf vermeintliche Erfolge bei der Armutsbekämpfung hin, die jedoch fast ausschließlich auf der Währungsstabilität und damit dem "Plano Real" beruhen - zu weiteren Anstrengungen konnte sich die Regierung kaum aufschwingen. Die Linke hat daher zum ersten Mal seit Jahren wieder Chancen, die Wahl zu gewinnen, zumal sie sich mit "Lula" auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt hat. Zudem hat sich "Lula" ein gemäßigtes Image verpaßt und präsentiert sich an der Spitze einer breiten Allianz.

Allerdings spricht der Amtsbonus des amtierenden Präsidenten und dessen Nähe zu den Medien für Cardoso, der den Erfolg der spektakulären Privatisierung auch sogleich für sich zu nutzen begann. Allerdings gelang es ihm nicht, das Argument der Opposition zu entkräften, daß der Verkauf der Telebr‡s wesentlich mehr Geld in die Kassen hätte bringen müssen. Der jüngst verstorbene Kommunikationsminister, Sérgio Motta, soll laut dem Präsidenten der PT, José Dirceu, mit einer Einnahme von 40 Milliarden Real gerechnet haben - immerhin rund 18 Milliarden Real mehr als die Kaufsumme von 22,1 Milliarden Real. Vom Ausverkauf der nationalen Reichtümer ist deshalb die Rede - ein Argument, welches ergänzt wird durch den Vorwurf, daß die Privatisierungseinnahmen eben nicht, wie von Cardoso angekündigt, der brasilianischen Bevölkerung zugute kommen werden.

Die Einnahmen müssen wohl eher für den Abbau der überbordenden Staatsverschuldung aufgewendet werden als für die Einlösung der zahlreichen sozialen Versprechungen, die Präsident Cardoso zum Amtsantritt gemacht, aber bisher kaum eingehalten hat. Dessen dürftige soziale Bilanz bedarf daher in Zeiten des Wahlkampfs noch viel Make-Up, sonst könnte er kurz vor dem Ziel doch noch schlapp machen.