Freddy Pulecio im Interview über Arbeiterrechte und Repression gegen Gewerkschafter in Kolumbien

»Regierungen und Investoren wissen Bescheid«

Freddy Pulecio ist Mitglied der kolumbianischen Gewerkschaft der Erdölarbeiter (USO). Wegen seines gewerkschaftlichen Engagements wurden kolumbianische Para­militärs auf ihn aufmerksam. Nachdem er aufgrund von falschen Zeugenaussagen 18 Monate wegen »Verdachts auf Rebellion« im Gefängnis gesessen und dort einen Mordversuch überlebt hatte, flüchtete Pulecio nach seiner Freilassung nach Europa. Seit 2007 lebt er in Brüssel und setzt sich von dort aus für Arbeiterrechte in Kolumbien ein.

Sie haben vor wenigen Tagen in Brüssel an einem Forum teilgenommen, bei dem es um einen Freihandelsvertrag zwischen der Europäischen Union und der Andengemeinschaft ging. Was wollten Sie dort erreichen?

Unser Ziel ist es, auf die Verletzung von Gewerkschaftsrechten in Kolumbien aufmerksam zu machen und den Freihandelsvertrag zwischen der Europäischen Union und der Andengemeinschaft zu verhindern.

Gibt es in Kolumbien Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte?

Auf Kolumbien entfallen 95 Prozent der weltweit verübten Morde an Arbeitervertretern. Wir leben seit über 20 Jahren mit Morden, Entführungen, willkürlichen Inhaftierungen und Bedrohungen – faktisch werden den Arbeitern ihre Rechte voll und ganz verweigert. Nach dem Sudan ist Kolumbien heute das Land mit den meisten Binnenflüchtlingen weltweit – Menschenrechtsorganisationen zufolge sind es vier Millionen. Damit sollten die Dimensionen der Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien klar sein. Wegen dieser Situation sind wir als Gewerkschafter der Meinung, dass man mit Kolumbien keine Handelsverträge abschließen darf. Die Regierung von Präsident Álvaro Uribe Vélez hat weitgehende Verbindungen zum Drogenhandel und zu den Paramilitärs. Aufgrund dieser Verbindungen, deren Existenz eindeutig belegt ist, kommt es zu einer fortwährenden Verfolgung der sozialen Bewegung in Kolumbien.

War es Ihnen möglich, im Rahmen des Forums auch direkt mit den Mitgliedern der Delegationen zu sprechen, die in Brüssel über das Freihandelsabkommen verhandeln?

Wir haben mit vielen Parlamentariern des Europa-Parlaments sprechen können. Zudem waren zahlreiche Gewerkschaften vertreten. Am Forum nahm auch eine ganze Reihe von Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen teil, um über die Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien zu berichten. Diese dürfen bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen nicht ignoriert werden.

Wie hat man in Brüssel auf Ihren Protest reagiert?

Von den EU-Parlamentariern bekamen wir positive Reaktionen. Schon Ende April gab es im Europa-Parlament in Strasbourg eine Veranstaltung über die Situation in Kolumbien. Wichtig in Brüssel war jetzt, dass Tarsicio Mora dort war. Er ist der Präsident des größten gewerkschaftlichen Dachverbandes Kolumbiens, CUT, der gemeinsam mit Gewerkschaftsvertretern aus England und den USA an den Verhandlungen in Brüssel teilnahm. Beide Gewerkschaften, die der Stahlarbeiter in den USA und die Unite in England, haben Kampagnen gegen den Abschluss von Freihandelsverträgen mit Kolumbien initiiert, weil in Kolumbien die Rechte der Arbeiter systematisch verletzt werden.

In den USA wurde der Freihandelsvertrag zwischen den USA und der Andengemeinschaft vom Kongress nicht ratifiziert, weil Parlamentarier und Gewerkschaften protestiert hatten. Welche Bedeutung hat das Einfrieren des Freihandelsvertrags zwischen den USA und Kolumbien?

Es ist jedenfalls ein Hoffnungsschimmer, dass man unsere Situation endlich auf internationaler Ebene zur Kenntnis nimmt. Und das ist auch ein Beispiel dafür, dass soziale Bewegungen in der Lage sind, in Ländern wie den USA, der größten Wirtschaftsmacht der Welt, Einfluss zu nehmen und auf die Realität in einem Land wie Kolumbien aufmerksam zu machen.

Und jetzt möchten Sie Ähnliches in der EU ­erreichen?

Es kann doch nicht sein, dass die EU sich auf der einen Seite für die Wahrung der Menschenrechte weltweit einsetzt und andererseits durch den Abschluss eines Freihandelsvertrags mit Kolumbien einen Staat legitimiert, der für die Verletzung von Menschen- und Arbeitsrechten verantwortlich ist. Wir haben dem Präsidenten der Verhandlungskommission der EU, einem Deutschen, gesagt, dass die EU sehr wohl Mittel habe, um Druck auf die kolumbianische Regierung auszuüben. Dazu scheint aber der politische Wille zu fehlen.
Wir bemühen uns, auf dieses Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der EU aufmerksam zu machen. Schließlich gibt es nicht weniger als 27 Handelsabkommen zwischen Kolumbien und der EU. Darauf weisen wir bei unseren Aktionen in Deutschland, Italien, England, Frankreich, Spanien und Holland hin. Dies sind die EU-Staaten mit dem größten Handelsaustausch mit Kolumbien, mit dem größten Investitionsvolumen und dem größten Importvolumen in Kolumbien.

Allerdings nehmen die Investitionen in Kolumbien offiziellen Quellen aus Bogotá zufolge weiter zu, und die Regierung fördert den Handel mit der EU nach Kräften. Fehlt es in der EU an Informationen über die Situation in Kolumbien?

Nein, denn grundsätzlich gibt es ja diese Informationen. Man muss sich nur an Amnesty international wenden, an die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen oder an die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). All diese Organisationen wissen Bescheid, aber international werden oft die Augen verschlossen. Das hat sich unter der Regierung von Álvaro Uribe noch verschärft, denn die kommerzialisiert de facto den Schmerz der Opfer, indem sie die Menschenrechtsverletzungen verbirgt und internationale Investoren ins Land holt. Regierungen, Investoren und internationale Institutionen wissen allerdings genau, was in Kolumbien passiert.

Unterstützen die europäischen Gewerkschaften die kolumbianischen Gewerkschafter?

In den letzten Jahren sind die kolumbianischen Gewerkschaftsdachverbände gemeinsam vor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) aufgetreten und haben dort über die Situation in Kolumbien berichtet. Das hat dazu geführt, dass die Unterstützung der ILO auf internationaler Ebene zugenommen hat. Wichtig ist die Solidarität der US-amerikanischen Stahlarbeiter und der Unite aus Großbritannien. Aber wir haben auch exzellente Beziehungen zu Gewerkschaften in Spanien, zum DGB hier in Deutschland, zu den französischen und belgischen Arbeiterorganisationen. Die kolumbianische Gewerkschaftsbewegung kann auf eine beachtliche internationale Solidarität bauen. Nicht nur bei Gewerkschaften, sondern auch bei Parlamentariern, unter anderem in den USA und Großbritannien.

Ist die Globalisierung des Gewerkschaftskampfes die zentrale Option angesichts der ­Situation im eigenen Land?

Der internationale Kampf und der auf nationaler Ebene bedingen einander. Die Straflosigkeit für die Taten der Paramilitärs lässt sich auf Dauer genauso wenig verschleiern wie die Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien. Und die Regierung eines kleinen Landes wie Kolumbien hat auf längere Sicht nicht den Einfluss und die ­Ressourcen, um die Welt an der Nase herumzuführen.

Abgesehen von der Menschenrechtslage – ­welche wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen hätte das Freihandelsabkommen für die Menschen in Kolumbien?

Das Freihandelsabkommen hätte negative Konsequenzen für die Rechte der Bevölkerung – im Gesundheitswesen, bei der Wahrung der intellektuellen Eigentumsrechte und generell im wirtschaftlichen Bereich. Kolumbien verfügt über erhebliche Energieressourcen, neben Erdöl und Erdgas immens große Kohlevorkommen. Wir möchten diese Reichtümer nutzen, um Arbeitsplätze, gesellschaftlichen Wohlstand und soziale Sicherheit zu schaffen. Das ist mit den Freihandelsabkommen, wie sie derzeit verhandelt werden, jedoch kaum vereinbar.

Sowohl die USA als auch die Europäer interessieren sich für Kolumbiens Energievorkommen. Was bedeutet das für die Arbeit Ihrer Gewerkschaft?

Uns ist klar, dass Amerikaner wie Europäer ein Energieproblem haben und Rohstoffvorkommen in Ländern wie Kolumbien, Bolivien oder Venezuela ausbeuten wollen. Allerdings wollen wir selbst die Konditionen der Ausbeutung dieser Vorkommen festlegen. Die Integrationsbemühungen in Lateinamerika sind ein Schritt in diese Richtung. Dabei haben wir auch das europäische Integrationsbeispiel vor Augen, nur schwebt uns ein eigenständiges Wachstum in allen Bereichen vor.

In Kolumbien gibt es Regionen wie Catatumbo, wo sowohl Erdöl- als auch große Kohlereserven lagern, die besonders umkämpft sind.

Zu diesen Kämpfen gehört eben auch die Verfolgung der Gewerkschaften. In Catatumbo hat es wiederholt Offensiven von Militär und Paramilitärs gegeben, die sich gegen soziale Bewegungen richteten. In rohstoffreichen Regionen scheint die Strategie zu lauten: Vertreibung der Zivilbevölkerung und Auslöschen der sozialen Bewegung, um mit der Extraktion beginnen zu können. Dieses skrupellose Vorgehen muss ein Ende haben.

Der Regierung von Álvaro Uribe zufolge gibt es Erfolge bei der Wahrung der Menschenrechte in Kolumbien.

Da werden Zahlen manipuliert. So werden beispielsweise nicht alle ermordeten Gewerkschafter in der Regierungsstatistik aufgeführt. Diese Behauptung ist zynisch.