Berlusconi, die Macht und die Frauen

Der Sultan und sein Harem

Die Macht, das Geld und die Frauen: Der Skandal um Silvio Berlusconis Scheidung und sein angebliches Verhältnis zu jungen Frauen schadet dem italienischen Regie­rungs­chef politisch kaum. Stattdessen liefert er vielen italienischen Machos eine Projektionsfläche und bedient damit chau­vinistische Männerphantasien, die ein wesentlicher Bestandteil seiner autoritär-sexistischen Politik sind. Und das kommt gut an, wie auch das Ergebnis der Europa-Wahl zeigt.

Der Name des italienischen Regierungschefs blieb unerwähnt, als die katholische Tageszeitung L’Avvenire vor knapp einem Monat verlauten ließ, sie wünsche sich einen Präsidenten, der sich zu mäßigen wisse und es verstehe, der kaum verzerr­te Spiegel der Seele seines Landes zu sein. Fromme Mäßigung ist zwar nicht die Sache Silvio Berlusconis, doch spiegelt die seit Wochen anhaltende Diskussion um sein vermeintliches Privatleben fast unverzerrt den Zustand der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse in Italien wider.
Die Ereignisse, die auch in der internationalen Presse für Aufsehen sorgten, sind bekannt. Nachdem Berlusconi im neapolitanischen Hinterland an einer Feier zum 18. Geburtstag der Schülerin Noemi Letizia teilgenommen hatte, kündigte ihm seine Ehefrau Veronica Lario in einem offenen Brief in der linksliberalen Tageszeitung La Repub­blica an, sich scheiden lassen zu wollen: »Ich kann nicht mit einem Mann zusammen sein, der sich mit Minderjährigen trifft.« Dieser Satz wurde zum Skandalon. Seither wird über Berlusconis Verhältnis zu Noemi und anderen jungen Frauen spekuliert, zumal da die Erklärungsversuche des Regierungschefs und der direkten Beteiligten von Anfang an widersprüchlich waren und durch inzwischen aufgetauchtes Foto- und Videomaterial widerlegt werden.
In den Kommentaren überwiegt ein frivoler Ton. Im Stereotyp vom italienischen Macho klingt Bewunderung mit, und die Frage, ob Berlusconi »sexsüchtig« sei, entschuldigt sein Verhalten vorauseilend als pathologische Abweichung. Auch die zuletzt in der spanischen Zeitung El Pais veröffentlichten Fotos haben eine ambivalente Wirkung. Einerseits dokumentieren sie den Machtmissbrauch des Regierungschefs, der seine Gäste auf Staatskosten nach Sardinien einfliegen und die in seiner Villa veranstalteten Feste von Armee­einheiten bewachen lässt, andererseits aber konsolidieren sie Berlusconis Popularität, schließlich bewundern ihn seine Anhänger für genau jene Macht, die diese Bilder zur Schau stellen.
Dennoch zeigt sich Berlusconi ungewohnt nervös. Seit Wochen weigert er sich, zehn Fragen, die ihm La Repubblica hinsichtlich seines Verhältnisses zur Familie Letizia gestellt hat, zu beantworten, und nach den jüngsten ausländischen Presseberichten vermutete er sogar ein von den italienischen linken Medien arrangiertes »internationales Manöver« gegen seine Person.
Dabei hat er nichts zu befürchten: Rücktrittsforderungen und Aufrufe, sich an die demokratisch-institutionellen Regeln zu halten, mögen mo­ralisch korrekt sein, bleiben aber politisch wirkungslos. Die italienische Demokratie hat sich, so der Politologie Giovanni Sartori, zu einem »Sultanat« entwickelt. Dank der Gesetze ad personam sei es Berlusconi gelungen, sich gegen Anklagen der Staatsanwaltschaft immun zu machen und sich innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung eine nahezu unangreifbare Machtposition aufzubauen. Zu diesem Herrschaftsstatus gehöre selbstverständlich auch ein Harem schöner Damen.
Gegen diese Selbstverständlichkeit richtet sich Larios öffentliche Kritik an ihrem Mann, dem Ministerpräsidenten. Wenige Tage vor der Bekannt­gabe ihrer Scheidungsabsichten hatte sie die Kandidatur junger unerfahrener Showgirls zur Europa-Wahl als »Förderung des Vergnügens des Imperators« und die journalistische Berichterstat­tung zum Thema als »Schund ohne Scham« bezeichnet. In ihrem Trennungsbrief wird sie noch deutlicher: Jungfrauen würden sich dem Drachen anbieten, um Erfolg, Ruhm und Reichtum zu erlangen, und Italien würde »aufgrund einer seltsamen Alchimie seinem Herrscher alles erlau­ben und alles rechtfertigen«.

Die Sätze wurden wiederholt zitiert, doch aufgrund eben dieser »seltsamen Alchimie« nicht ernst­haft diskutiert. Anhänger und Gegner Ber­lusconis beteuerten vielmehr, sich nicht in den Streit der Eheleute einmischen zu wollen, die Schei­dung sei eine »private Angelegenheit«.
Diese Argumentation stützt sich auf die katholische Doppelmoral, wonach strenge Sitten vorgegeben sind, deren Missachtung seitens des Man­nes jedoch stillschweigend toleriert wird. In Hinblick auf den Regierungschef ist der Verweis auf eine zu respektierende »Privatsphäre« besonders absurd. Denn: Berlusconis politischer Er­folg basiert auf der Aufhebung der Grenze zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen.
2001 verschickte er an alle italienischen Haushalte sein Familienalbum mit dem Titel »Eine italienische Geschichte«, einen Fotoroman, der später in den Boulevardblättern seines Medienunternehmens zahlreiche Fortsetzungen erlebte. Dass mit der Behauptung, es handele sich um eine »private Angelegenheit«, nur der Macht- und Kompetenzbereich der Frau eingegrenzt werden soll, zeigt die unerbittliche Hetzkampagne gegen Lario seitens der von Berlusconi kontrollierten Presse. Solange die Gattin öffentliche Bloßstellun­gen brav erduldete, wurde sie – gerade wegen ihrer Zurückhaltung – geschätzt und bewundert. Seit sie es gewagt hat, selbst in der Öffentlichkeit aufzutreten, wird sie als »undankbare Hure« diffamiert.
Auf Kritik stößt diese paternalistische Darstellung bei einigen Feministinnen, die bereits in den siebziger Jahren der Unterscheidung zwischen Privatem und Öffentlichem die These »Das Persönliche ist politisch« entgegensetzten.
In der Tageszeitung il manifesto erklärt Ida Dominijanni den politischen Charakter des »Rosenkriegs«. Die Penetranz von Berlusconis sexuellen Anspielungen lasse sich nicht mehr mit dem Temperament des Latin Lover erklären. Lario habe nichts Privates öffentlich gemacht, sondern die persönliche Auffassung ihres Mannes hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse kritisiert und damit die Basis seiner politischen Macht und seines gesellschaftlichen Konsenses angegriffen. Tatsächlich ist es Berlusconi inzwischen sogar gelungen, in einem vorgeblich streng katholischen Land – in dem anlässlich des Gay Pride Schwule auf Plakaten als Pädophile beschimpft werden – den Vorwurf, er verkehre mit Minderjährigen, zum running gag seiner öffentlichen Auftritte zu machen.
Dominijanni beschreibt, wie es Berlusconi verstand, das zunehmende weibliche Autonomiebedürfnis innerhalb der italienischen Gesellschaft umzudeuten innerhalb der italienischen Gesellschaft umzudeuten und die vom Feminismus destabilisierten Geschlechterrollen zu rehabilitieren. Einer­seits habe Berlusconi eine bestimmte Idee von Weiblichkeit vertreten, indem er sich durch seinen obsessiven Körperkult und seinen offenen Gebrauch der plastischen Chirurgie »verweiblicht« habe. Andererseits habe er die von den Frauen errungene Freiheit auf die Freiheit reduziert, zunächst in seinen Fernsehprogrammen, später dann in seiner Partei aufzutreten. Er gefalle sich in der Rolle des Eroberers, der der Männerwelt das Versprechen gibt, dass die Frauen immer noch zu haben sind: als Gadget für den erfolgreichen Mann.
Die Mailänder Philosophin Luisa Muraro betont, dass Lario mit ihrer öffentlichen Trennung unbefestigtes post-patriarchalisches Neuland betritt. Ihre Rolle sei weder »beruhigend wie die der First Lady, noch eindeutig bestimmt wie die der Feministin«.

Der Kampf gegen die triumphalen sexistischen Auftritte des Machthabers gestaltet sich deshalb schwierig. Die Feministinnen wissen nur zu gut, dass der emanzipatorisch gemeinte Ansatz derjenigen, die auf Facebook einen moralistischen »Appell für die Frauen« veröffentlicht und »Respekt« für die geschundene »weibliche Identität« eingeklagt haben, politisch ebenso falsch wie wirkungslos ist. Unklar ist dagegen, wie der weib­lichen Komplizenschaft, auf die sich die Geschlech­terpolitik Berlusconis verlassen kann, entgegenzuwirken ist. Diese manifestiert sich in der altbekannten weiblichen Misogynie, die Frauen aus Berlusconis Partei dazu antreibt, öffentliche Schmäh­briefe an die Noch-Ehefrau zu schreiben und ihr eine Liebesaffäre zu unterstellen, um sie als Ehebrecherin anzuschwärzen; vor allem aber im Verhalten der unzähligen Noemis, die um die Gunst des Sultans buhlen und ihn ungeachtet der vermeintlich post-patriarchalischen Zeiten als »Papi« verehren.
Der autoritär-sexistische Konsens scheint nicht zu brechen. Der Ausgang der Europa-Wahl zeigt, dass auch die Katholiken bereit sind, ihrem Präsidenten jede Verfehlung zu vergeben. Zwar haben sich Berlusconis eigene hohe Erwartungen nicht erfüllt, doch der Sieg über die Opposition ist eindeutig, er kann zum nächsten Fest in die Villa einladen.