Die Kontrolle der Finanzmärkte in den USA

Für alle Zyklen gerüstet

Die US-Regierung reformiert die Kontrolle des Finanzmarkts. Das dient nicht der dauerhaften Regulierung, sondern zeigt vielmehr die Flexibilität des Staats, die Wirtschaftspolitik den Anforderungen der Krise anzupassen.

Nach Jahrzehnten der »neoliberalen Konterrevolution« schlägt das zu einem Witz verkommene Gemeinwesen nun zurück. So etwa könnte man Barack Obamas Auftritt während der Pressekonferenz im East Room des Weißen Hauses zusammenfassen, auf der er die Pläne der US-Regierung für die »umfassendste Reform seit der Welt­wirtschaftskrise« im Finanzbereich vorstellte. »Regularien, wie sie nach den Wirtschaftskrisen des 20. Jahrhunderts entstanden sind«, so der US-Präsident, »wurden von der Geschwindigkeit, dem Ausmaß und der Ausdifferenziertheit der Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts überwältigt«. »Es lag nicht in unserer Macht«, führte er weiter aus, »wie diese Krise begonnen hat, aber es liegt an uns, welches Erbe sie hinterlassen wird«. Von den Kapitalisten übertölpelt, scheint das Imperium nun gewillt zu sein, zurückzuschlagen und die Jahrzehnte eines unregulierten, freien Finanz­markts zu beenden.

Der Kern dieses in der vergangenen Woche vorgestellten Konzepts zur Finanzreform in den USA ist dabei die Ausdehnung des Zuständigkeits­bereichs der US-Notenbank Fed. Diese soll in Zukunft die Aufsicht über all jene Konzerne und Finanzinstitute erhalten, die zu einem Zusammenbruch des US-Finanzsystems beitragen könnten. Der Fed an die Seite gestellt werden soll ein vom Finanzministerium geleiteter »Rat für Finanzaufsicht«, der Risiken am Finanzmarkt möglichst frühzeitig erkennen und im Zweifelsfall über die staatliche Übernahme und anschließende Abwicklung krisenhafter Institute entscheiden soll. Insbesondere Szenarien wie der Kollaps des größ­ten Versicherungskonzerns der Welt, AIG, oder der Investmentbank Lehman Brothers, deren Fehlspekulationen keinem der bestehenden Kontrollorgane aufgefallen waren, sollen zukünftig wenn nicht verhindert, so doch in ihrer Wirkung auf die Gesamtwirtschaft zumindest begrenzt werden.
Zusätzlich soll die »Harmonisierung der Regeln« am Finanzmarkt vorangetrieben werden, wie US-Finanzminister Timothy Geithner betonte. Zu den vorgesehenen Regelungen gehören größere Transparenzanforderungen an Hedge-Fonds, eine höhere Eigenkapitalausstattung der Finanzinstitute und feste Normen für einfache Finanzprodukte wie etwa Hypothekenkredite, die durch eine neu einzurichtende Verbraucherschutzbehör­de festgelegt und überwacht werden sollen. Besonders wichtig war dem Finanzminister aber die Aufsicht über den Interbankenhandel, der bei den Pleiten eine zentrale Rolle gespielt hat. Zukünf­tig sollen nach dem Willen der US-Regierung mindestens fünf Prozent der ausgegebenen Kredite in den jeweiligen Finanz­instituten verbleiben. »Alle derivaten Vereinbarungen werden einer Regulierung unterliegen, alle Derivate-Händler einer Aufsicht, und die Regulierer werden die Befugnisse haben, gegen Manipulation und Fehlverhalten vorzugehen«, sagten Geithner und der Präsidentenberater Lawrence Summers.
Wichtigstes Ziel dieses finanzpolitischen Katalogs ist Obama zufolge, dass künftig das Finanzsystem selbst in den Blick gerate. »Regulierer hatten bislang die Aufgabe, die Bäume zu sehen, aber nicht den Wald«, so der Präsident. Man müsse einen Rahmen schaffen, »in dem Märkte frei und fair funktionieren, ohne die Anfälligkeit, die in normalen Geschäftszyklen das Risiko eines Finanzkollapses mit sich bringt«. Dazu gehöre auch, so Obama weiter, dass die USA »die Führung im Ruf nach starker, moderner Regulierung und Aufsicht rund um die Welt« übernähmen. Ob die US-Regierung dieses ehrgeizige Ziel realisieren kann, wird sich in Ansätzen bereits auf den bevor­stehenden Treffen der G8 in Italien oder bei den G20-Beratungen im September in Pittsburgh zeigen.

Dass die Reformen die notwendige Zustimmung in den beiden Kammern des amerikanischen Parlaments, im Senat und im Repräsentantenhaus, erhalten werden, gilt als sicher. Anders als im Fall des »Konjunkturpakets« hat sich Obama diesmal schon vor der Entscheidung die Unterstützung der meisten ausschlaggebenden Akteure gesichert. Nicht nur Abgeordnete beider Parteien, sondern auch hohe Vertreter von US-Behör­den, selbstverständlich vor allem der Fed, und die Vorsitzenden der mächtigen Bankenlobby ABA sowie der Versicherungslobby AIA, aber auch die Manager der größten Wall-Street-Unternehmen wie etwa Goldman Sachs, JPMorgan Chase, Citygroup, UBS oder Morgan Stanley, wurden in den vergangenen zwei Wochen ins Weiße Haus zum Brainstorming geladen. Auch die Deutsche Bank durfte bereits ihre Auffassungen darlegen. Das Ergebnis als eine konzertierte Aktion von Staat und Kapital zu begreifen, scheint noch untertrieben zu sein. Auch John Boeh­ner, der Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus, konnte trotz gewisser Kritik ein positives Fazit der gemeinsamen Bemühungen ziehen: »Alles in allem ist da viel drin, dem wir zustimmen können.«
So künden die vorgesehenen Reformen auch von einem Konsens, der allzu sehr an die Aussage Richard Nixons erinnert: »Wir sind alle Keynesianer!« Nur wenige wollten sich dieser Einigkeit in der vergangenen Woche verweigern. Unter ihnen war der Hedge-Fonds-Milliardär George So­ros, der in der Financial Times – wo auch sonst? – grundsätzlichen Protest einlegte. Märkte seien feh­lerhaft, gestand er zu, »aber Regulatoren sind es noch mehr«. Ansonsten bezogen sich die weni­gen weiteren Kritiker zurückhaltend vor allem auf die zunehmende Machtfülle des »Supercops« Fed. Vor allem wurde die Passivität der Fed in den vergangenen Jahrzehnten, insbesondere aber den zurückliegenden Jahren, überwiegend vom linksliberalen Milieu bemängelt.
So sagte der populäre US-Ökonom Dean Baker dem Fernsehsender CNBC, die Fed habe keine besonders gute Arbeit geleistet, die sie für die neue Rolle empfohlen habe. Eine Alternative zum Plan der Regierung sah aber auch er nicht. Etwas konkreter wurde Sheila Bear, die Vorsitzende der Federal Deposit Insurance Corporation – des ame­rikanischen Äquivalents zur deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Sie sagte in einer Senatsanhörung, dass die Aufsichtsbehörden schon in der Vergangenheit über genügend Mittel verfügt hätten, um schädigende Aktivitäten zu begrenzen. »Die bittere Wahrheit ist«, so Bear, »dass viele der wichtigen Finanz­institute, die Hilfe vom Staat in noch nie dagewe­sener Höhe benötigt haben, bereits unter umfangreicher staatlicher Aufsicht standen.« Dieser Sicht pflichtet auch Christian Weller vom Center of American Progress bei, der auf die Praxis der Fed bis zum Ende des vergangenen Jahres verweist. »Das ist die große Angst«, so Weller, »dass man ei­ner Behörde, in diesem Fall der Federal Reserve Bank, mehr Macht gibt und sie diese dann nicht ausnutzen will.«

Dass ein solches Szenario keineswegs unwahrscheinlich ist, verdeutlicht der Blick auf die Politik der Fed selbst. Seit 1994 war die US-Notenbank gesetzlich dazu verpflichtet, gegen »unfaire, irreführende und räuberische Praktiken« vehement einzuschreiten. Weder unter Alan Greenspan noch unter dem derzeitigen Leiter Ben Bernanke ist diese Regelung je zur Anwendung gekommen. In Erinnerung ist noch die Niedrigzinspolitik der beiden höchsten Währungshüter seit 2001, durch die sich Banken mehr oder weniger gratis Geld leihen konnten, das zur Aufblähung der Finanzmärkte, insbesondere des Immobilienmarkts, genutzt wurde. Noch Ende 2008 trat Bernanke vehement für diese Politik ein. Ebenso untätig war auch bis zuletzt die Börsenaufsicht SEC geblieben, die mit den großen Investmentbanken vereinbart hatte, dass diese sich freiwillig selbst regulieren sollten, anstatt von der SEC kontrolliert zu werden. Das Ergebnis ist bekannt. Zwar zeigen sich sowohl Greenspan als auch Bernanke der­zeit selbstkritisch, doch eine Garantie dürfte dies langfristig nicht darstellen.
So verführerisch es derzeit auch für viele Menschen sein mag, sich der Sicht anzuschließen, räuberische Konzerne hätten ohne Rücksicht auf Verluste den Staat übertölpelt: Die Wahrheit sieht anders aus. Es ist die staatliche Wirtschaftspolitik, die die Bedingungen schafft, unter denen die Wirtschaft arbeitet. Das derzeit zu beobachtende Umdenken ist nichts weiter als eine Reaktion auf die Krisenerscheinungen. Häufig genug zeigt sich in ihm lediglich der Wille zur Sozialisierung der Verluste.
Indem die Regierung Obama die Regulierung der Finanzmärkte der Fed und dem Finanzministerium unterstellt, verdeutlicht sie vor allem eines: die Flexibilität des Staates, die Verhältnisse nach den Verwertungsanforderungen in den verschiedenen Zyklen von Konjunktur und Krise einzurichten. Was heute noch verordnete Regulierung ist, könnte morgen schon ihr Gegenteil sein. Wenn es dazu noch eines – besonders albernen – Symbols bedürfen sollte, dann hat sich Ben Ber­nanke empfohlen. Bis vor kurzem noch oberster Phrasendrescher für den freien Markt und dessen Segnungen, musste er nun auswendig Gelerntes im Council of Foreign Affairs zum Besten geben, um wenigstens seinen Job zu sichern. Als hätte er den gleichen Ghostwriter wie Obama bemüht, gab er zu Protokoll, es bedürfe nun einer Strategie, »die das Finanzsystem insgesamt reguliert und nicht nur die einzelnen Teile«. Nur den Gruß an sein deutsch-schweizerisches Pendant Ackermann hat er vergessen.