Die deutsche Rechte rüstet sich ideologisch

Ein Phantom von rechts

Derzeit gibt es keine bundesweit erfolgreiche Partei rechts von der Union. Manchen schwebt eine Lösung vor: »Die Rechte«, eine Partei für Rechtspopulisten, Rechtsextreme und Wertkonservative gleichermaßen.

Während die Bundestagsparteien der letzten Phase des Wahlkampfs entgegensehen, rüstet sich die deutsche Rechte ideologisch. Angesichts der nach Umfragen fehlenden Zustimmung zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan oder zum EU-Beitritt der Türkei konstatiert Karlheinz Weißmann vom Institut für Staatspolitik, das der so genannten Neuen Rechten zugerechnet wird, in einem schmissigen Kasinotonfall, »dass die Deutschen, dieses langmütige Volk, allmählich die Geduld verlieren«. Doch bis der ersehnte »Moment des Umschlags komme«, gelte es, die »Zersetzung des feindlichen Lagers abzuwarten«. Dieses besteht für einen selbsternannten Konservativen wie Weißmann aus einem halluzinierten, deutschen »Linksblock« von Oskar Lafontaine bis Angela Merkel, deren Finanz- und Familienpolitik ihm als Relikt aus der DDR gilt. Eine machtvolle, oppositionelle Kraft sieht Weißmann allerdings nicht, denn es gebe auf der rechten Seite »weder Parteien, noch Einflussverbände, weder Lobbygruppen noch Zugang zu den Medien, die in die Auseinandersetzung eingreifen könnten«.
Die Ergebnisse der Europa-Wahlen 2009 scheinen diesen Befund zu bestätigen. Während rechts­populistische und rechtsextreme Parteien in den Niederlanden, Österreich oder Ungarn beunruhigend hohe Ergebnisse verzeichnen konnten, bleiben in Deutschland Parteien rechts von der Union auf Bundesebene ohne Bedeutung. In den Europa-Wahlen holten die Republikaner 1,3 Prozent der Stimmen, die Deutsche Volksunion (DVU) erlangte gerade einmal 0,4 Prozent. Hohe Stimmenanteile für rechts­extreme Parteien wie die NPD sind örtlich begrenzt. Gegenden wie die Sächsische Schweiz, wo die jahrelange Graswurzelarbeit der NPD Früchte trägt, sind noch eine Ausnahme. Bundesweit liegt die größte Gefahr eher in der Militanz der Nazis. Selbst der Verfassungsschutzbericht 2008 verzeichnete 1 042 Gewalttaten aus diesem Spektrum.

Zwar gibt es ein latentes Potenzial an rechtsextremen, autoritären politischen Geisteshaltungen in der deutschen Gesellschaft. Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Studie »Vom Rand zur Mitte« der Universität Leipzig zeigt, dass 8,6 Prozent der deutschen Bevölkerung ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild haben. Doch dieses Potenzial können die entsprechenden Parteien in Wahlen nur örtlich und zeitlich begrenzt nutzen. 1,6 Prozent der Stimmen erhielt die NPD in den Bundestagswahlen 2005. Die Partei dürfte trotz der Wirtschaftskrise auch im Jahr 2009 außerhalb der einschlägig bekannten Orte und Gegenden nicht nennenswert zulegen. Der Finanzskandal sowie der immer noch schwelende Führungsstreit schwächen die Organisationsfähigkeit der NPD, die sich nach der Aufkündigung des »Deutschland-Pakts« mit der DVU vom Konzept einer parteiübergreifenden »Volksfront von rechts« verabschiedet hat.
Entscheidend ist unter anderem, dass die Rechtsextremen in Deutschland nicht über eine charismatische Führungsfigur verfügen. Einen »deutschen Haider« mit rhetorischer Fähigkeit und einer Ausstrahlung, die sich auch in den Medien vermitteln ließe, gibt es nicht. Bei den Rechtsextremen dominieren Karikaturen, die sich Charlie Chaplin nicht besser hätte ausdenken können. Ihnen gelingt es nicht – anders als beispielsweise dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) –, flächendeckend Anschluss an traditionelle Milieus zu finden.
Die Etablierung einer rechtsextremen Partei wird zudem von einer Politik der Stigmatisierung verhindert. Während einzelne Programmpunkte der Rechtsextremen auch in der bürger­lichen Mitte Zustimmung finden, werden Parteien rechts von der Union politisch und medial geächtet. Bei Aufmärschen von Pro Köln NPD sind die Gegendemonstrationen zahlenmäßig meist weitaus größer. Selbst CDU-Honoratioren demonstrieren manchmal in der ersten Reihe. Und die parlamentarische Opposition gegen die Politik der sozialen Zumutungen wird auf Bundesebene von Lafontaines »Linken« angeführt. Für eine Partei »Die Rechte« scheint da kein Platz zu sein.
Der von der NPD zur DVU übergelaufene Andreas Mohlau phantasiert in Stellungnahmen derzeit dennoch von einer Formation mit dem Namen »Die Rechte«. Für diese haben ehemalige CDU-Mitglieder mit dem Zusatztitel »Partei für Ordnung und Verdienst« bereits 2008 in der brandenburgischen Kreisstadt Seelow ihre Rechte angemeldet. Doch der Ruf nach einer solchen Partei als Pendant zur »Linken« verhallt bislang ungehört. Derzeit ist ein solches Projekt eine bloße Obsession einzelner.

Ende Oktober 2008 rechnete der Rostocker Rechtswissenschaftler Ralph Weber in der Jungen Freiheit einer solchen Partei für den kommenden Bundeswahlkampf noch große Chancen aus. Als mögliche Führungsfiguren galten dem zu neuen Taten drängenden CDU-Mitglied ehemalige Unionsrechte wie Henry Nitzsche und Martin Hohmann. Auch Friedrich Merz wurde genannt. Nach der Notwendigkeit einer neuen Parteigründung gefragt, äußerte sich der Mitbegründer des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie, Jürgen Liminski, Anfang Juli in der Jungen Freiheit: Eine solche Partei böte »vielen Wertkonservativen wieder eine Heimat«. Liminski nannte »zwei, drei wirklich seriöse und etablierte Köpfe« als Voraussetzung für das Unterfangen.
Allerdings ist eine Partei »Die Rechte« als mi­lieu­übergreifende Allianz schwer denkbar. Henry Nitzsche und Martin Hohmann hegen keine allzu großen Sympathien beispielsweise für die NPD. Zwar stammt der Name von Nitzsches 2008 gegründeter Wählervereinigung »Arbeit, Familie, Vaterland« direkt aus dem Arsenal des französischen Vichy-Faschisten Marschall Philippe Pétain, der auch der NPD als Inspirationsquelle dient. Eine direkte, parteipolitische Komplizenschaft folgt daraus aber nicht. Die NPD gilt in so genannten wertkonservativen Kreisen als eher unfein und wegen ihrer antikapitalistischen Phrasen (»Sozial geht nur national!«) als sozialistisch.
Der Name Friedrich Merz wird ohnehin eher willkürlich lanciert. Zwar sind Merz nationalkonservative Anwandlungen nicht fremd, mit seinem Credo »Mehr Kapitalismus wagen!« wäre er jedoch als Führungsfigur einer auf Massenzustimmung zielenden rechten Partei nur begrenzt geeignet. Wirtschaftsliberalen gilt schon der Mindestlohn als Schritt zu einer DDR ohne Schießbefehl. Und für Arbeitslose, Kurzarbeiter und Hartz-IV-Empfänger hat Merz außer der Kürzung der kargen Bezüge nichts zu bieten. Eine Rechtspartei müsste aber auch den reaktionären Teil des abgehängten Prekariats integrieren.

Jürgen Liminski fordert im Gespräch mit der Jungen Freiheit, das Geld und die leitenden Funktionäre für eine neue Partei müssten »aus der Bürgerschaft kommen«. Zwar konnte aus »der Bürgerschaft« heraus in der auf ihren Liberalismus so stolzen Hansestadt Hamburg im Jahr 2001 ein zuvor kaum bekannter »Richter Gnadenlos« 19,4 Prozent der Stimmen erreichen. Doch derzeit sind die möglichen Repräsentanten einer bundesweit antretenden Rechtspartei schwer auszumachen. Überhaupt stelle man sich den Karneval der Ideologien im Rahmen von Parteitagen vor, auf denen der urbane Wirtschaftsjurist Merz mit dem völkischen Waldorfpädagogen Mohlau über regionale Wirtschaftsräume und Wurzelrassen streiten müsste. In der Sphäre zwischen der Union und der NPD überwiegen die inhaltlichen und strategischen Unterschiede, »die Rechte« existiert nicht als homogener Block.
2009 bleibt die durch Gazetten wie Junge Freiheit oder Eigentümlich frei geisternde »Rechte« deshalb nur ein diffuses Konstrukt. Wenn jedoch der Legitimationsverlust der Parteien der Großen Koalition zunimmt, könnte die fixe Idee auf ein gesellschaftliches Interesse stoßen. Die Krise der politischen Repräsentation wird auch die Freunde des autoritären Durchregierens vor neue Fragen stellen. Und schon die Republikaner des Waffen-SS-Apologeten Franz Schönhuber waren zunächst eine rechte Abspaltung der Unionsparteien. Wenn die Abwendung der Wähler von den ehemaligen Volksparteien weiter zunimmt und die Linke ebenfalls Stimmen verliert, bleibt die Frage offen, wer die Massenzustimmung zur Klassenpolitik von oben filtern und organisieren soll. Es entstünde ein Vakuum, das im schlimmsten Fall das Phantom »Die Rechte« ausfüllen könnte – mit welchem Geld und welchen Führungs­figuren auch immer.